Die vergangenen beiden Saisons in der US-amerikanischen Football-Liga NFL waren in mehrerer Hinsicht historisch. Zum Einen holte Quarterback-Superstar Tom Brady seinen siebten Super-Bowl-Titel im ersten Jahr bei seinem neuen Team in Tampa Bay. In der Nacht zu Freitag, zum Start seiner 22. NFL-Saison, machte er nun genau da weiter, wo er im Februar aufgehört hatte: Mit vier Touchdown-Pässen führte der 44-Jährige seine Bucs zum 31:29-Auftaktsieg gegen die Dallas Cowboys. Das sorgte nicht nur bei Fans der Bucs für enorme Freude, sondern auch bei Lori Locust und Maral Javadifar, die beide zum Trainerstab gehören.
Denn die NFL erlebt in den vergangenen vier Jahren nicht nur Spielerrekorde, sondern auch Veränderungen, die den gesellschaftlichen Wandel zeigen. Das Washington Football Team legte seinen Namen "Redskins" ab, weil er rassistisch und nicht mehr tragbar sei, die Spieler stehen wie nie zuvor für die "Black Lives Matter"-Bewegung ein – und in den Trainerteams und im Managementbereich werden die 32 NFL-Teams immer diverser und weiblicher.
"Wenn man sich die NFL-Teams in dieser Saison anschaut, dann haben wir zwölf Trainerinnen und mehr als zwölf weibliche Scouts. Wir haben Schiedsrichterinnen, Team-Präsidentinnen. Frauen arbeiten in NFL-Teams in jedem Bereich", sagte Sam Rapoport, Senior Direktorin für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion der NFL gegenüber dem US-Sender CNBC kurz vor dem Start der aktuellen Saison.
Und das hat alles mit einem ziemlich einfachen Konzept zu tun, das Rapoport vor vier Jahren ins Leben rief und das nun immer mehr Früchte trägt. In den kommenden Jahren soll das "Womens Careers in Football Forum" noch weiter ausgebaut werden, denn von einem Posten als Cheftrainerin und General Managerin sind sie auch in der NFL noch ein großes Stück entfernt. "Aber das wird es auch bald geben", fügt die gebürtige Kanadierin hinzu.
Lori Locust und Maral Javadifar sind aber nicht erst seit dieser Saison beim Team in Tampa Bay, sondern waren auch schon beim Super-Bowl-Triumph ein Teil des Teams und hatten so auch ihren Anteil am Sieg der Bucs gegen die Kansas City Chiefs.
Die 57-jährige Locust arbeitet seit 2019 in Florida als Assistenztrainerin der Defensive Line und war die erste Positionstrainerin in der NFL, und die dritte, die in Vollzeit angestellt ist. Und auch die 30-jährige Maral Javadifar ist seit 2019 als Assistenz-Athletiktrainerin Teil des Teams um Cheftrainer Bruce Arians.
Dass sich beide ausgerechnet im Trainerstab von Chefcoach Bruce Arians wiederfinden, ist kein Zufall. Der 68-Jährige ist regelmäßig Teilnehmer des "Womens Careers in Football Forum". Die von Rapoport und der Liga konzipierte Veranstaltung soll dabei helfen, hochqualifizierte Frauen mit den Entscheidungsträgern der NFL-Teams zusammenzubringen.
"Es gibt einige General Manager und Trainer wie Ron Rivera, Andrew Berry, Kevin Stefanski und Bruce Arians, die voll hinter dem Projekt stehen und so viele wie möglich kennenlernen wollen", sagt Rapoport.
Die Teilnahme am Forum ist für alle Teams freiwillig, doch laut Rapoport waren bisher 31 der 32 NFL-Teams im Forum dabei. Und 21 Teams hätten im Anschluss an das Event eine der Frauen angestellt.
Ron Rivera, Chefcoach des Washington Football Teams erklärt gegenüber NFL.com: "Dieses Forum setzt uns Leute, die mehr als qualifiziert sind für einen Job in der NFL, direkt vor die Nase. Du siehst diese Frauen und ihre ganzen Erfolge und ihren Ehrgeiz, hart zu arbeiten, nur um die Chance zu erhalten, vor uns zu sitzen, um ihren Fuß in die Tür der NFL zu bekommen. Daher ist es mir sehr wichtig, voller Ernsthaftigkeit an diesem Forum teilzunehmen."
So erinnert sich auch Bucs-Coach Arians in einem von der NFL produzierten Instagram-Clip, an das erste Treffen mit Javadifar. "Ihre Qualifikationen waren außergewöhnlich gut."
Javadifar spielte College Basketball an der Pace Universität (New York), machte ihren Bachelor in Molekularbiologie und ihren Doktor in Physiotherapie am New York Medical College. Doch ihr fehlten eben die richtigen Kontakte, um einen Fuß in die Tür der NFL zu bekommen. "Wir wollen den Frauen eine Bühne bieten, um mit den Entscheidungsträgern der NFL-Teams zusammenzukommen, mit denen sie so sonst nie in Kontakt kommen würden", macht Venessa Hutchinson, Senior Managerin zur Entwicklung der NFL, gegenüber CNBC deutlich.
"Wir haben schnell festgestellt, dass viele Personen ihren ersten Job in der Liga bekommen haben, weil sie mal am College Football gespielt haben und jemanden kennen, der wiederum einen kennt." Hutchinson bezeichnet es als "Bro Network". Da es für Frauen diese Option nicht gibt, "soll das Forum genau diese Lücke schließen."
Beim WCFF, das jedes Jahr im Februar für zwei Tage stattfindet, gibt es dann für die geladenen 40 Teilnehmerinnen Präsentationen, Workshops in Kleingruppen und Panel-Diskussionen mit Trainern, Managern und Führungskräften der NFL-Teams.
Doch die Teilnehmerzahl am Forum ist begrenzt. Rapoport und Hutchinson suchen mit ihren Teams über das Karriereportal "LinkedIn" nach Frauen, die im Football auf College oder High-School-Niveau arbeiten. Zudem holen sie die Meinungen verschiedener NFL-Talentscouts ein, die potenzielle Teilnehmerinnen über die jahrelange Arbeit an den Colleges kennengelernt haben.
Nach dieser ersten Vorauswahl folgen Gespräche mit den weiblichen Coaches, ehe eine endgültige Einladung an die 40 Teilnehmerinnen geht.
Eine von ihnen war 2018 Jennifer King, die ab dieser Saison als erste schwarze Frau Vollzeit einem Trainerteam der NFL angehört. Die 36-Jährige arbeitet für das Washington Football Team als Assistenztrainerin für die Position des Running Backs.
King hatte bereits 2018 und 2019, damals noch in der Saisonpause und -vorbereitung, bei den Carolina Panthers unter dem heutigen Washington-Cheftrainer Ron Rivera hospitiert. Und auch im kompletten Jahr 2020 arbeitete sie als Praktikantin im Coachingteam von Rivera. Von den insgesamt zwölf Trainerinnen, die aktuell in der NFL arbeiten, sind sechs in Vollzeit angestellt.
"Ich habe viele Nachrichten von Spielern und anderen Trainern bekommen, die mir gratuliert haben. Einige Spieler waren sogar verwirrt, weil sie dachten, ich würde schon voll zum Trainerteam gehören", erzählt King in einem Videointerview mit der NFL.
Der 59-jährige Rivera holte zudem Natalie Dorantes als Chef-Koordinatorin des Coachingteams in seinen Stab. Die 26-Jährige ist die erste Latina auf einer derartigen Führungsposition in der NFL.
Dabei legt die NFL großen Wert darauf, dass nicht nur weiße Frauen von dem WCFF-Programm profitieren. "Wir achten zudem sehr auf Gleichberechtigung innerhalb unseres Programms und so müssen 50 Prozent unserer Teilnehmerinnen People of Color sein", sagt Hutchinson.
Und das Programm erweist sich als voller Erfolg. Allein 2021 haben 44 Frauen, die in den Jahren zuvor am WCFF teilgenommen haben, einen Job im professionellen Football oder auf College-Niveau erhalten.
Und so erklärt Rapoport: "Das Gesicht der NFL ändert sich und wird sich weiter verändern. Und dieser Prozess wird sich in der Zukunft auch nicht verlangsamen."