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LKA-Ermittlerin zu Hanau: "Anschlag hat mich betroffen gemacht und erschüttert"

Forensic police are seen at the crime scene in front of a bar and a shisha bar at the Heumarkt in the centre of Hanau, near Frankfurt am Main, western Germany, on February 20, 2020, after at least nin ...
Spurensicherung am Tatort des Anschlags von Hanau.Bild: AFP / THOMAS LOHNES
Interview

LKA-Ermittlerin zu Hanau: "Anschlag hat mich extrem betroffen gemacht und erschüttert"

19.02.2021, 10:5619.02.2021, 16:52
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Am 19. Februar 2020 tötete ein rechtsextremer Attentäter neun Menschen, die er für Ausländer hielt und anschließend seine Mutter und sich selbst. Es war der zweite große rechtsextreme Anschlag in Hessen innerhalb von weniger als einem Jahr. Im Juni 2019 hatten Rechtsextreme den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke getötet.

Auch ein Jahr nach dem Anschlag sind viele Fragen noch offen und eine der drängendsten sowieso ungeklärt: Wie können Anschläge wie der in Hanau verhindert werden?

Uta Prenzel ist seit 1998 im Dienst bei der hessischen Polizei. Nach mehreren Funktionen innerhalb der Polizei hat sie ein Studium an der Polizeihochschule in Münster absolviert und ist seit Oktober 2020 Leiterin des Bereichs Rechtsextremismus und politisch motivierte Kriminalität beim LKA Hessen.

Watson hat mit ihr über den Täter von Hanau, die rechtsextreme Szene in Hessen und das Bewusstsein für Rechtsextremismus in der Bevölkerung gesprochen.

"Es gibt selbst in meinem privaten Umfeld Momente, wo ich merke, wie eigentlich rechtsextremes Gedankengut verharmlost wird."

Watson: Frau Prenzel, Sie sind zuständig für Rechtsextremismus beim LKA Hessen. Was wissen Sie über die rechtsextreme Szene in Hessen?

Uta Prenzel:
Die Szene an sich ist sehr heterogen. Was sie eint, ist eine rechtsextremistische Weltanschauung, aber es sind auch Menschen darunter, die an sich jeder gewaltbereiten Ideologie offen gegenüberstehen. Viele agieren im Verborgenen, ohne direkt eine Anbindung an eine Gruppierung zu haben.

Wie gefährlich ist die rechtsextreme Szene in Hessen?

Sie ist gefährlich. Neben Taten wie der in Hanau oder dem Mord an Walter Lübcke besteht die Gefährlichkeit darin, dass rechtsextremes Gedankengut durch Bewegungen wie der Neuen Rechten immer tiefer in die Gesellschaft sickert und anschlussfähig wird.

Wie meinen Sie das?

Es gibt selbst in meinem privaten Umfeld Momente, wo ich merke, wie eigentlich rechtsextremes Gedankengut verharmlost wird und gesellschaftsfähig gemacht wird. Da müssen wir aufpassen, dass das nicht weiter geschieht.

Wo erleben Sie solche Äußerungen?

Letztlich sind das normale Unterhaltungen im privaten Umfeld, wo negative Äußerungen über Migranten fallen. Daher halte ich es für wichtig, dass jeder sich bewusst ist, was er sagt und was das am Ende auch bedeutet.

Meinungsfreiheit ist in Deutschland allerdings ein hohes Gut. Können Polizei und LKA dort überhaupt eingreifen?

Was die Polizei tun kann, sind Erkenntnisse aus den Sozialen Medien zu sammeln. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft können wir dann auch dagegen vorgehen. Hass im Netz ist ein wichtiges Thema aktuell und ein Wegbereiter für Hass in der realen Welt.

Auch der Täter von Hanau hat sich im Internet radikalisiert. Wie könnte man Verbrechen wie das in Hanau verhindern?

Wichtig ist hierfür, dass wir gefährliche Personen frühzeitig erkennen. Und dann auch entschlossen und früh vorgehen. Dafür sind wir allerdings auch auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Da hilft es, wenn Angehörige oder Freunde darauf hinweisen, wenn sich jemand in bestimmter Weise merkwürdig verhält.

"Wir haben uns absichtlich für diesen Beruf entschieden und wissen, dass es nicht immer einfach ist."

Haben Sie den Eindruck, dass in der Bevölkerung seit den Anschlägen in Hanau mehr Bewusstsein dafür da ist, wie gefährlich Rechtsextremismus ist?

Durch solche fürchterlichen Taten werden Menschen sensibilisiert und melden auch früher, wenn sie etwas Auffälliges beobachten. Den Eindruck habe ich schon und dazu möchte ich auch anregen.

Und bei der Polizei? In den vergangenen Monaten sind auch rechtsextreme Chatgruppen bekannt geworden und eine Gruppe, die sich selbst "NSU 2.0" nennt, hat unter anderem auch auf Datenbanken der hessischen Polizei zurückgegriffen. Wie kann man dem entgegenwirken?

An die Polizei werden zurecht hohe moralische Anforderungen gestellt, denen der Großteil der Polizistinnen und Polizisten auch gerecht wird. Die Polizei steht in der Pflicht für die Integrität ihrer Angehörigen Rechnung zu tragen. Für mich ist das unvereinbar, rechtsextremes Gedankengut in sich zu tragen und Polizeibeamter zu sein. Das hat auch nichts damit zu tun, ob das schon strafrechtlich relevant ist, solche Menschen haben nichts in unseren Reihen zu suchen.

Ist es eine mögliche Erklärung für solche Chatgruppen, dass viele Polizeibeamte vor allem die Schattenseiten von Zuwanderung zu sehen bekommen?

Ich habe in verschiedenen Bereichen der Polizei gearbeitet. Aus meiner Sicht ist das keine Entschuldigung für rechtsextreme Einstellungen. Wir haben uns absichtlich für diesen Beruf entschieden und wissen, dass es nicht immer einfach ist. Möglicherweise würde aber eine Supervision oder Beratung durch Psychologen in manchen Fällen helfen. Wichtig ist es, mögliche Einflussfaktoren, die sich auf die Integrität von Polizeivollzugsbeamteninnen und Beamten auswirken, zu identifizieren.

Die Hinterbliebenen des Anschlags in Hanau bemängeln nun, dass die Ermittlungen zum Anschlag zu lange dauern und sie zu wenig informiert worden sind. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Mich selbst hat der Anschlag extrem betroffen gemacht und erschüttert. Ich erinnere mich noch, dass ich gerade beim Studium an der Polizeihochschule in Münster war und mit zwei Kollegen aus Hanau im Auto saß, als uns die Meldung erreicht hat. Ich kann die Trauer und die Wut der Angehörigen durchaus nachvollziehen, aber die Ermittlungen liegen nicht im Hessischen Landeskriminalamt, daher kann ich dazu nicht mehr sagen.

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