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Greta Thunberg kommt. So hat #fridaysforfuture sich verändert

March 29, 2019 - Berlin, Berlin, Germany - Luisa Neubauer (5-L) and Swedish environmental activists Greta Thunberg (6-L) stand together with other activists on stage under the Brandenburg gate during  ...
Da stehen sie alle.bild: imago
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Greta kommt und alle rasten aus – so hat sich #FridaysForFuture verändert

Am Anfang war da nur ein Mädchen in Schweden, heute ist #FridaysForFuture eine Massenbewegung. Ein Besuch auf der Demo am Freitag zeigt, was sich verändert hat. Und was nicht.
29.03.2019, 17:3829.03.2019, 20:19
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Stockholm, Schweden, August 2018: Ein 15-jähriges Mädchen mit blonden Zöpfen steht vor dem schwedischen Parlament. Es ist Freitag und eigentlich müsste es gerade im Unterricht sitzen. Doch in den Händen hält das Mädchen ein schlichtes Schild, dass ihr Anliegen erklärt: "Skolstrejk för klimatet", steht darauf, zu deutsch: "Schulstreik für das Klima". Das Mädchen heißt Greta Thunberg. Noch kennt kaum einer ihren Namen.

Berlin, Deutschland, 29. März 2019: Greta Thunberg läuft mit 25.000 weiteren Schülerinnen und Schülern, Lehrenden und Eltern durch die Straßen vom Invalidenpark zum Brandenburger Tor in Berlin. Neben Greta marschiert auch Luisa Neubauer. Greta und Luisa führen den Zug an, um die hundert Journalisten umkreisen sie und das vorderste Banner wie Raubvögel. Eine dieser Medienmenschen, die unbedingt ein Foto von der Klimaaktivistin Greta knipsen wollen, bin ich.

Eine Rede, die alles verändert

Als ich zum ersten Mal von Greta Thunberg hörte, kursierte online gerade ihre Rede von der UN-Klimakonferenz in Katowice im Dezember 2018. Darin wusch Greta den Mächtigen der Welt den Kopf und verlangte ein Umdenken in der Klimapolitik:

Schaut es euch hier an:

Innerhalb von wenigen Wochen organisierten daraufhin weltweit kleine Gruppen Proteste, bei denen Schülerinnen und Schüler protestierten. Genau wie Greta schwänzen sie seitdem jeden Freitag die Schule, um vor Parlamenten zu demonstrieren. #FridaysForFuture hat als Bewegung weltweite Aufmerksamkeit erreicht.

Im Januar 2019 ging ich zu einem der ersten Proteste von der Berliner Gruppe um Luisa Neubauer. Etwa 500 Jugendliche kamen zwischen zehn und zwölf Uhr vor dem Berliner Reichstagsgebäude zusammen, um eine klimafreundliche Politik zu fordern. Ein bunter Haufen war das, Kinder zwischen sechs und 18 Jahren, Studierende, ein paar Erwachsene dazwischen, Schilder mit Eisbären und Pinguinen, die gerettet werden sollten und Solidaritätsbekundungen mit den Aktivisten im Hambacher Forst. Die Gesänge klangen damals mangels Stimmen noch etwas dünn:

"Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut."
"Hüpf! Hüpf! Wer nicht hüpft, der ist für Kohle!"
"Es gibt. Kein Recht. Auf Kohlebaggerfahrten."

Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter gaben ein paar Lokaljournalisten damals Interviews.

"Beim letzten Streik waren wir in 14 Städten. Heute wollten wir in 40 Städten sein. Wir sind in 55 Städten dabei."
Luisa Neubauer, 18.01.2019, FridaysForFuture, Berlin

Niemand musste sich anmelden. Auf Fotos lohnte es sich, geduldig zu warten, schließlich freuten sich die Aktivisten, dass sich die Medien für sie interessierten. Bereitwillig gaben sie Gesicht und Stimme für einen Beitrag her. Um zwölf Uhr war die Aktion dann zu Ende, nur ein paar vergessene Demoschilder lagen dann noch vor dem Parlamentsgebäude.

Greta Superstar

Eine Woche nach meinem ersten Besuch bei #FridaysForFuture in Berlin, versammelten sich dann Tausende Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland vor dem Bundesfinanzministerium. Da wurde klar, dass die Bewegung keine Eintagsfliege mehr sein, und dass sie wohl nicht mehr so schnell im Sande verlaufen würde.

Als Politiker von CSU, CDU und AfD sich öffentlich über die "Schulschwänzer" und Greta Thunberg aufregten, war genauso klar: Diese Schülerinnen und Schüler hatten einen Nerv getroffen. Trotz jahrelanger Regierungsverantwortung gibt es immerhin noch immer keine bessere Klimapolitik und trotz wissenschaftlich bewiesener Erderwärmung gibt es noch immer diejenigen, die den Klimawandel leugnen. Greta Thunberg wird vor allem von diesen Menschenim Internet bis heute als geistige Brandstifterin dargestellt, von einigen beleidigt und bedroht.

Für die Schülerinnen und Schüler weltweit und auch in Deutschland ist sie dagegen längst zum Vorbild geworden. "Make the world Greta again" steht etwa auf Plakaten, die jeden Freitag nun zu den Klimademos der Jugendlichen getragen werden. Als Thunberg, die in Schweden mittlerweile zur "Frau des Jahres gekürt wurde", ankündigte, am 29. März mit den deutschen Jugendlichen gemeinsam zu demonstrieren, war sofort klar, dass das eine Großdemonstration sein würde. Zunächst ging man von 10.000 Personen aus.

Unantastbare Helden

Als ich am Freitag auf der Demo ankomme, sind Straßen abgesperrt, mehrere Rollwagen mit Lautsprechern aufgebaut und eine riesige Masse aus Kindern, Teenagern, Eltern und Sympathisanten setzt sich in Bewegung. Nahezu jeder, den ich frage, warum er oder sie heute zur Demo gekommen ist, gesteht: "Ich bin auch gekommen, um Greta zu hören."

Von den früheren Demos hat diese Veranstaltung kaum mehr etwas. Am Tag von Gretas Besuch ist alles anders. Ein Pulk aus Kameramenschen umkreist im Dauerlauf Greta, Luisa Neubauer und das vorderste Banner. Mit Greta oder Luisa mal eben sprechen? Als ich eine Ordnerin das frage, lacht sie. "Nein. Nicht heute."

Der Marsch endet vor dem Brandenburger Tor. Eine riesige Bühne ist dort aufgebaut. "Wir sind 25.000", brüllen die Veranstalteter immer wieder von der Bühne. Luisa, Greta und der weniger prominente Rest der Organisation sind eine Zeit lang nicht zu sehen. Neben der Bühne steht ein Zelt, abgesperrt vom Rest. Die Aktivisten sind unantastbar. Der Protest dauert jetzt schon dreieinhalb Stunden. Eine Band spielt auf der Bühne, die Leute im Publikum starten ihre Sprechchöre: "Greta, Greta!" Dann kommt Luisa Neubauer auf die Bühne und kündigt mehrere Redende an.

Kurz vor Ende der Veranstaltung dann kommt sie tatsächlich. Greta ist endlich auf der Bühne. Sie spricht in perfektem Oxford-Englisch. "Das Haus brennt", sagt sie. "Wir sollten in Panik verfallen", sagt sie. Und die Erwachsenen sollen sich fürchten.

Die Menge jubelt. Greta sagt es noch mal: 25.000. Dann verschwindet sie auch schon wieder von der Bühne. Ich stelle mir vor, ich hätte mit 16 da oben gestanden. Vor tausenden Menschen. Dieses Mädchen nötigt einem Respekt ab. Und ihr folgen die Schülerinnen und Schüler. Aber wird das etwas verändern?

Zwei Welten

Ja, es hat sich etwas verändert. Aus einer kleinen Schülergruppe ist eine weltweite Massenbewegung geworden. Wo früher liebenswerte Versammlungen stattfanden, gibt es heute Großveranstaltung mit einem enormen Administrationsaufwand.

Und auch die Leitfiguren sind zu idealisierten Helden gewachsen, die man auf einer Bührne anhimmeln kann. #FridaysForFuture ist nun unfassbar populär, aber keine Bewegung zum Anfassen mehr. Das könnte dem Klimaschutz bei jungen Menschen bei seiner Tragweite helfen. Das könnte ihm aber auch bei seiner Umsetzung schaden.

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