Sie warten auf Einfahrt zum Hafen von Dover: Tausende Lkw können derzeit Großbritannien nicht verlassen.Bild: ap / Frank Augstein
International
Seit Tagen warten zahlreiche Lastwagen in Südostengland auf die Ausreise nach Frankreich. Nun stehen die Grenzen wieder offen - aber nur bei negativem Corona-Test. Noch immer geht es nicht voran.
23.12.2020, 16:1024.12.2020, 16:16
Die Nerven bei tausenden Lastwagenfahrern in England
liegen blank. Mit Hupkonzerten haben die Trucker am Hafen von Dover
ihrem Ärger Luft gemacht. "Wir wollen nach Hause", schrien sie. Eine
kleine Gruppe geriet mit Polizisten aneinander, die den Zugang zum
Hafen absperrten. Es kam zum Handgemenge, ein Mann wurde
festgenommen.
Seit Tagen haben die Fahrer ausgeharrt. In der Nacht zum Mittwoch
öffnete Frankreich nach zwei Tagen zwar wieder die Grenze für
Lastwagen aus Großbritannien – doch für die Einreise ist nun ein
negativer Corona-Test vorgeschrieben.
Verkehrsministerium: 5000 Fahrzeuge stauen sich in der Graftschaft Kent
In der nordfranzösischen Hafenstadt Calais verließen am Mittwoch zwar
einige Autos Fähren aus Großbritannien, wie die Nachrichtenagentur
AFP berichtete. Es seien auch Lastwagenanhänger angekommen, aber
keine kompletten Sattelzüge – denn ohne Corona-Test könnten Fahrer
nicht an Bord kommen.
"Es wird einige Tage dauern, bis der Rückstau behoben ist", räumte
der britische Bauminister Robert Jenrick ein. Er vertrat die
Regierung am Morgen in den Frühstückssendungen der Fernsehsender – eine undankbare Aufgabe. Das Verkehrsministerium sprach am Vormittag
von mehr als 5000 Fahrzeugen, die sich in der Grafschaft Kent
stauten. Der britische Spediteursverband RHA schätzte, dass es
sogar bis zu doppelt so viel sein könnten.
Das Hauptaugenmerk lag auf dem stillgelegten Flugplatz Manston gut
30 Kilometer nördlich von Dover. Allein hierhin wurden etwa 3000
Lastwagen umgeleitet. Wie Tetris-Klötze sortiert standen sie auf der
Startbahn. Der Bundesverband Spedition und Logistik teilte der
Deutschen Presse-Agentur mit, er gehe von 300 bis 400 Betroffenen aus
Deutschland aus.
Arme baut Testzentrum auf
Der deutsche Botschafter Andreas Michaelis twitterte, es sei kein
Durchkommen nach Manston gewesen. Er habe nur mit einigen deutschen
Brummi-Fahrern telefonieren können. "Weiterhin sehr schwierige
Situation für sie", schrieb Michaelis. RHA-Chef Richard Burnett
warnte: "Hunderte Fahrer laufen Gefahr, nicht rechtzeitig zu
Weihnachten zu Hause zu sein." In Manston baute die britische Armee
das größte Testzentrum auf.
Die Fahrer sollen einen Schnelltest erhalten, erklärte Minister
Jenrick das Prozedere. Wer negativ getestet wird, darf zum Hafen und
mit der Fähre übersetzen. Bei einem positiven Schnelltest soll ein
ausführlicherer PCR-Test das Ergebnis überprüfen. Fällt auch dieser
positiv aus, wird der Fahrer von den britischen Behörden in einem
"covid-sicheren" Hotel untergebracht. Auch in Dover wurde direkt am
Hafen ein Testzentrum eingerichtet.
Züge durch Eurotunnel fahren wieder
Frankreichs Beigeordneter Minister für Verkehr, Jean-Baptiste
Djebbari, twitterte an die Adresse der Wartenden: "Wir arbeiten hart
daran, dass so viele von Ihnen wie möglich nach Hause kommen können,
um die Weihnachtsferien mit ihrer Familie zu verbringen." Frankreich
hatte wegen der rasanten Ausbreitung der neuen Coronavirus-Variante
die Grenzen zu Großbritannien auch für den Warenverkehr geschlossen.
Die Züge durch den Eurotunnel nahmen den Betrieb bereits in der Nacht
wieder auf. Auch die Niederlande lassen wieder Reisende aus
Großbritannien ins Land. Seit Mitternacht sei die Einreise wieder
erlaubt, teilte die Regierung in Den Haag mit. Passagiere müssen
allerdings einen negativen Corona-Test vorweisen. Fluggesellschaften
und Reeder sind verpflichtet, dies zu kontrollieren. Norwegen
verlängerte hingegen das Verbot für Direktflüge aus Großbritannien
bis einschließlich dem 26. Dezember.
Spediteursverband warnt vor Verknappung frischer Waren in Großbritannien
RHA-Chef Burnett betonte, dass auch der Einsatz von Schnelltests für
erhebliche Verzögerungen in der Lieferkette sorgen würde. Zudem
warnte Burnett vor Gesundheitsrisiken. Zahlreiche Fahrer hätten noch
immer keinen Zugang zu Sanitäranlagen. Zudem seien logistische Fragen
ungeklärt, etwa die Reinigung von Fahrerkabinen bei positiv
Getesteten. Um den Rückstau schneller aufzulösen, lockerte
Verkehrsminister Grant Shapps erneut die Ruhezeiten: Lkw-Fahrer
dürfen nun elf statt neun Stunden am Steuer sitzen.
Wegen der Grenzschließungen besteht die Sorge, dass in Großbritannien
bestimmte frische Lebensmittel wie Salat oder Blumenkohl spätestens
nach Weihnachten knapp werden könnten. "Bis der Rückstau beseitigt
ist und sich die Lieferketten wieder normalisieren, erwarten wir
Probleme mit der Verfügbarkeit einiger frischer Waren", sagte Andrew
Opie, der beim Handelsverband BRC für Lebensmittel zuständig ist.
Die Regierung rief dazu auf, auf Hamsterkäufe zu verzichten.
Supermarktketten betonten, alle Waren seien vorrätig. Dennoch waren
in einigen Läden die Gemüseregale leer gekauft.
Sorgen bereitet aber auch die Ausfuhr. Handelsverbände schätzen, dass
Ware im Millionenwert wegen der Warterei verloren ist. "Für
diejenigen, die frische und verderbliche Waren exportieren, vor allem
Meeresfrüchte und Lachs aus Schottland, waren es katastrophale Tage",
sagte David Thomson, Chef des Verbands der Lebensmittel- und
Getränkehersteller FDF in Schottland, der BBC. "Das wird für diese
Unternehmen ein schwarzes Weihnachten sein."
(andi/dpa)
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