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Lanz fragt Yücel nach Folter im türkischen Knast – bewegende Antwort

Neun Monate verbrachte der Journalist Deniz Yücel in Isolationshaft in der Türkei - ohne Anklageschrift.
Neun Monate verbrachte der Journalist Deniz Yücel in Isolationshaft in der Türkei - ohne Anklageschrift.zdf/screenshot
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Deniz Yücel nach 367 Tagen Isolationshaft:"Ich war ganz schön krass, Alter!"

16.10.2019, 05:3816.10.2019, 11:27
Deana mrkaja
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367 Tage verbrachte der Journalist Deniz Yücel unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda und Volksverhetzung in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis. Die meiste Zeit davon in Isolationshaft. Er wurde zum Spielball der Politik und seine Inhaftierung zum Streitfall deutsch-türkischer Beziehungen.

Am Dienstagabend war Yücel zu Gast in der ZDF-Sendung von Markus Lanz. Anfangs hektisch, in abgebrochenen Sätzen und nervös wirkend, beschreibt der Journalist, wie er bunte Wäscheklammern in eine abgeschnittene Plastik-Flasche steckte, um etwas Farbe in die Zelle zu bekommen. Oder wie er es schaffte, Petersilie, Minze und Dill zu züchten und diese bei den täglich durchgeführten Zählungen vor den Wärtern zu verstecken.

Deniz Yücel zeigt auf den Ring an seinem Finger: "Ich habe meine Frau Dilek im romantischen Ambiente eines Hochsicherheitsgefängnisses in der Türkei geheiratet."
Deniz Yücel zeigt auf den Ring an seinem Finger: "Ich habe meine Frau Dilek im romantischen Ambiente eines Hochsicherheitsgefängnisses in der Türkei geheiratet."

Doch wie überlebt ein Mensch eigentlich eine solche Isolation? Während der Zeit seiner Gefangenschaft, wo Yücel über Monate hinweg ohne Anklageschrift festgehalten wurde, beginnt der Journalist zu schreiben. Zunächst mit Tomatensoße als Tinte und einer abgebrochenen Plastikgabel als Stift. Bei einem späteren Arztbesuch klaut er sich dann einen echten Stift und schmuggelt fortan mithilfe seiner Anwälte Texte nach draußen, die auch in der "Welt" veröffentlicht wurden.

"Das war meine Art der Genugtuung. Sie wollten mich zum Schweigen bringen, aber das haben sie nicht geschafft."
Deniz Yücel über seine Art mit der Gefangenschaft umzugehen.

Für den heute 46-Jährigen war diese Rebellion auch ein Kampf um seine Freiheit. Nach seiner Freilassung verfasste der Publizist ein Buch, das in der vergangenen Woche erschien. Erst beim Schreiben bemerkt er, was er alles durchgestanden hatte und sagte zu sich selbst:

"Ich bin ganz schön krass, Alter!"

Er ergänzt: "Das soll gar nicht heroisch klingen, schließlich habe ich mich selbst mit meinem Verhalten in Gefahr gebracht. Genauso auch meine Freunde und meine Familie. Aber dass ich die ganze Zeit über unbeugsam war, das hat mich gerettet."

Doch dann kommt auch bei dem hart wirkenden Deniz Yücel ein kurzer Moment der Sprachlosigkeit. Als Markus Lanz versucht, ihn nach der Folter, die er im Gefängnis erlebt hat, zu fragen, bleibt er erst lange still und schaut nach unten. Dann hebt er seinen Kopf und redet wieder über die Freiheit und sagt dabei einen Satz, der das Geschehene zusammenfasst: "Die Freiheit beginnt dort, wo sie einem genommen wird."

Über die Folter, die Deniz Yücel im Gefängnis erlebt hat, spricht er nicht.
Über die Folter, die Deniz Yücel im Gefängnis erlebt hat, spricht er nicht. zdfS/screenshot

Doch nicht nur um die Freiheit, die dem Journalisten Yücel genommen wurde, sondern auch die erkämpfte Freiheit der Kurden in Nordsyrien, die seit dem Einmarsch der Türkei in das Kurdengebiet gefährdet ist, ist Thema in der Sendung.

Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, die bereits seit 2014 viel Zeit in vielen umkämpften Gebieten Syriens verbrachte, analysiert nun die neue Sicherheitslage Deutschlands seit dem Einmarsch türkischer Truppen in das Gebiet Rojava: "Dieser Angriff schwächt die Kurden und stärkt den IS."

Doch nicht nur die Terroristen könnten eine Gefahr für den Westen werden, sondern insbesondere die Konflikte, die nun zwischen den 1,3 Millionen Kurden und den 2,5 Millionen Türken in Deutschland entstehen könnten:

"Erdogan hat den Krieg in deutsche Wohnzimmer gebracht."
Die Aktivistin Düzen Tekkal über den Einmarsch der Türkei ins Kurdengebiet in Syrien.
Die Journalistin Düzen Tekkal kritisiert die Bundesregierung stark aufgrund des mit der Türkei vereinbarten Flüchtlingspakts.
Die Journalistin Düzen Tekkal kritisiert die Bundesregierung stark aufgrund des mit der Türkei vereinbarten Flüchtlingspakts.

Einige Moscheen in Deutschland, die der türkischen Religionsbehörde unterstehen, rufen laut Tekkal bei ihren Freitagsgebeten sogar zu unglaublichen Dingen auf: "In diesen Moscheen wird für den Krieg gebetet. Man muss sich mal vorstellen, in Kirchen würde für einen Krieg gebetet werde. Das ist Wahnsinn!"

Die Journalistin warnt nicht nur davor, dass der IS nun zu neuer Kraft in der Region kommen könnte, sondern kritisiert die Bundesregierung wegen ihres Flüchtlingspakts mit der Türkei:

"Wir haben uns erpressbar gemacht."
Düzen Tekkal

Denn Erdogan droht mit 3,8 Millionen Geflüchteten, die er jederzeit losschicken könne, wenn die Türkei beispielsweise Sanktionen durch Deutschland erteilt bekommt. Tekkal plädiert dafür, einen neuen Bündnispartner zu finden und die Fluchtursachen zu bekämpfen, anstatt weiterhin mit der türkischen Regierung am genannten Pakt festzuhalten.

Zudem sagt sie, habe die Türkei als Gründungsmitglied der Anti-IS-Koalition Zugriff auf sensible Daten zu ganz Syrien – wie beispielsweise Luftbilder, die von deutschen Truppen zur Verfügung gestellt wurden. Das erkläre nicht nur die gezielten Angriffe der türkischen Armee auf Bäckereien und die Stromversorgung, um Lebensgrundlagen zu zerstören, sondern auch den Angriff auf ein Gefängnis im Norden Syriens.

Dort sollen vor dem Einmarsch noch rund 10.000 IS-Kämpfer und 70.000 ihrer Familienmitglieder eingesessen haben, die mühsam von den Kurden in Schach gehalten wurden. Doch nach dem Angriff auf das Gefängnis konnten diese nun fliehen. Was das bedeute, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar.

"Lassen wir die Kurden gerade im Stich, die für uns den Kopf im Kampf gegen den IS hingehalten haben", fragt Lanz. "Ja", lautet die einfache Antwort Tekkals am Ende einer emotionalen Sendung.

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