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Wo Trump Wähler gewonnen – und welchen Rekord Biden gebrochen hat

PITTSBURGH, PA - NOVEMBER 02: Democratic presidential nominee Joe Biden speaks during a drive-in campaign rally at Heinz Field on November 02, 2020 in Pittsburgh, Pennsylvania. One day before the elec ...
Joe Biden hat bei der US-Wahl einen neuen Meilenstein setzen können. Bild: Getty Images North America / Drew Angerer
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Fast unbemerkt: Joe Biden bricht ewigen Rekord

04.11.2020, 17:2004.11.2020, 19:18
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"Nail-Biter Election" nennt CNN seit Mittwochmorgen deutscher Zeit die US-Präsidentschaftswahl – frei übersetzt: eine Wahl zum Fingernägelknabbern. Selten war das Rennen ums Weiße Haus so spannend. Auch am Tag nach Schließung der Wahllokale ist nicht klar, ob Donald Trump oder Joe Biden Präsident der USA werden.

Doch diese Wahl ist auch bemerkenswert, weil sie interessante und teils überraschende Erkenntnisse über manche Bevölkerungsgruppen in den USA geliefert hat. Ein paar Erkenntnise aus den Analysen zum Stimmverhalten im Überblick.

Trump hat bei Latinos und Afroamerikanern dazugewonnen

Aus Europa betrachtet, schien die Lage vor der US-Wahl vielen Beobachtern ziemlich klar: Präsident Trump hat mit seinen Worten über die Anti-Rassismus-Proteste in den USA und seiner Migrationspolitik viele Wähler verschreckt – vor allem aber Latinos und Afroamerikaner. Die Wählerbefragungen, die nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht wurden, zeigen aber: Das stimmt so nicht.

Trump hat laut der Befragung des Instituts Edison Research bei Afroamerikanern und Latinos nicht verloren, sondern deutlich dazugewonnen: je vier Prozent bei afroamerikanischen Frauen und Männern, je drei Prozent bei Latinas und Latinos. Bei jeder dieser Gruppen liegt Trump zwar noch deutlich hinter Biden. Aber die Stimmenverschiebung hat ihm geholfen.

Besonders deutlich wird das in Florida: In dem umkämpften Bundesstaat hatten die meisten Umfragen vor der Wahl Biden als den wahrscheinlicheren Gewinner gesehen. Doch unter Latinos konnte Trump wohl entscheidende Stimmen dazugewinnen: Fast die Hälfte der Latinos dort haben laut CNN-Befragung für den Präsidenten gestimmt, 2016 waren es nur 35 Prozent. Laut mehreren US-amerikanischen Analysten liegt das vor allem an den Latinos, die aus Kuba und Venezuela stammen. Kuba ist seit den 1950er-Jahren eine kommunistische Diktatur, Venezuela seit Anfang der 2000er eine sozialistische Autokratie. Bei vielen kubanisch- und venezolanischstämmigen haben offenbar Trumps (faktisch unbegründete) Parolen gegen die angebliche sozialistische Revolution durch den Demokraten Biden und seine Vizekandidatin Kamala Harris verfangen.

Auch andere nicht-weiße Wähler haben offenbar Trumps Rhetorik gegen illegale Einwanderung und für härtere Kriminalitätsbekämpfung nicht als rassistisch empfunden, wie Soziologe Musa al-Gharbi schreibt.

Biden hat klare Mehrheit bei jungen US-Amerikanern

Je älter, desto Trump-affiner: Das ist die wichtigste Erkenntnis, die sich aus dem Blick auf die unterschiedlichen Altersgruppen ergibt.

Laut den Wählerbefragungen von CNN hat Biden bei den Wählern zwischen 18 und 29 Jahren US-weit einen Vorsprung von 27 Prozent. Bei den älteren Bevölkerungsgruppen schmilzt Bidens Vorsprung dahin, bei den Senioren über 65 hat Trump einen Vorsprung von drei Prozent vor Biden. Allerdings ist er um vier Prozent kleiner als der, den Trump vor vier Jahren vor Hillary Clinton hatte.

In allen Altersgruppen hat Trump US-weit Stimmenanteile verloren – außer bei den 30- bis 44-Jährigen. Dort lag Clinton mit 10 Prozent vorne, Biden nur noch mit sieben Prozent.

Rekord: Biden hat so viele Stimmen bekommen wie keiner vor ihm

So knapp das Rennen ums Weiße Haus ist: Mit ziemlicher Sicherheit hat Joe Biden – wie alle demokratischen Kandidaten seit 2008 – US-weit die meisten Stimmen bekommen. Dass ihm das nicht automatisch den Sieg sichert, liegt am US-Wahlsystem mit dem Electoral College (hier eine Erklärung dazu, wie es funktioniert), bei dem es auf die Mehrheit in einzelnen Staaten ankommt. Joe Biden hat, Stand Mittwochnachmittag, einen Vorsprung von über 2,6 Millionen vor Donald Trump. Insgesamt haben mindestens 68,8 Menschen ihre Stimme für Biden abgegeben. Damit steht schon jetzt fest, dass er so viele Stimmen bekommen hat wie kein Präsidentschaftskandidat vor ihm.

Auf den ersten Blick ist das ein spektakuläres Ergebnis, auf den zweiten ein bisschen weniger. Denn erstens waren 2020 deutlich mehr Menschen wahlberechtigt als 2016: ein Zuwachs um über acht Millionen auf 293,2 Millionen Menschen. Zweitens deutet einiges darauf hin, dass auch die Wahlbeteiligung gestiegen ist. Und drittens hat auch Trump in absoluten Zahlen mehr Stimmen bekommen als 2016: Sein Zuwachs liegt bei mindestens 3,1 Millionen Stimmen.

Die Wirtschaftslage war vielen Menschen wichtiger als die Gesundheit

Die Corona-Pandemie war ein zentrales Thema während der TV-Debatten zwischen Trump und Biden – und im gesamten Wahlkampf. Doch sie hat die Wahlentscheidung vieler Menschen offenbar anders beeinflusst, als viele dachten: Den meisten Menschen ging es mehr um die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie als um die gesundheitliche Gefahr durch die Seuche.

Laut der Umfrage von Edison Research glauben 48 Prozent der Wähler, dass die US-Wirtschaft – trotz eines heftigen Einbruchs und heftig gestiegener Arbeitslosigkeit – in guter oder ausgezeichneter Verfassung ist. Und während die Bekämpfung der Corona-Pandemie nur für 17 Prozent das wichtigste Thema war, war es die Wirtschaft für 35 Prozent.

Vermutlich hat das damit zu tun, dass wirtschaftliche Einbrüche bei Bürgern in den USA den Alltag der meisten Menschen deutlich schneller und heftiger betreffen als in Deutschland. In den USA gibt es üblicherweise deutlich schwächere staatliche Unterstützung für Arbeitslose, Instrumente wie Kurzarbeit, die Entlassungen verhindern würden, gibt es fast nicht.

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