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Streeck, Drosten, Brinkmann: Das sagen Virologen zum Lockdown

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Hendrick Streeck positioniert sich klar gegen einen weiteren Lockdown.Bild: imago
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Streeck, Drosten, Brinkmann: Das sagen Virologen zum Lockdown

30.10.2020, 17:40
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Der Lockdown ist beschlossen, die Nerven sind strapaziert. Die Meinungen zu der Regierungsentscheidung gehen weit auseinander. Viele halten sie für überzogen, nicht richtig, vielleicht sogar unfair. Andere glauben hingegen, dass das ein sinnvoller Weg ist, um die stark gestiegenen Infektionszahlen wieder zu drücken. Manche fluchen, manche akzeptieren.

Doch nicht nur Normalsterbliche sind sich uneins. Auch Virologen, die Profis in der Krise, haben bezüglich des Lockdowns unterschiedliche Ansichten. Die können sie allerdings wesentlich fundierter verteidigen als jemand, der diesbezüglich fachfremd ist – oder eine schlecht zusammengewürfelte Facebookgruppe besorgter Bürger. Und ja: auch unter den erklärten Gegnern der aktuellen Beschränkungsmaßnahmen befinden sich Virologen.

Streeck und Kollegen im Kampf gegen den Lockdown

Kurz bevor die Bundesregierung den Lockdown beschloss, veröffentlichten mehrere Wissenschaftler, Ärzte und Verbände ein Positionspapier, in dem sie eine neue Strategie in der Corona-Pandemie fordern. Federführend waren dabei unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn sowie Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg. Streeck sagt dazu in einer Pressekonferenz: "Ein pauschaler Lockdown ist weder zielführend noch verhältnismäßig."

Der Preis für die durch einen Lockdown sinkenden Fallzahlen wäre zu hoch. "Wir erleben bereits die Unterlassung anderer dringlicher medizinischer Behandlungen, ernstzunehmende Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen durch soziale Deprivation", außerdem würden ganze Wirtschaftszweige lahmgelegt, was laut Streeck zu nachhaltigen Schäden führen könnte.

Es ginge darum, schwere Verläufe zu mindern, ohne neue Schäden zu verursachen. Ein bundesweiter Lockdown kippt diesen Grundsatz. Es gehe dabei um mehr Eigenverantwortung statt Zwang. Risikogruppen sollten hingegen besser geschützt werden, etwa durch verpflichtende Schnelltests vor einem Besuch in einem Pflegeheim, sagt Streeck.

Neben dem Positionspapier äußerten sich Virologen, darunter Alexander Kekulé, zum Lockdown und gaben eine Einschätzung ab, ob dieser sinnvoll sei. Wir haben die Aussagen der Virologen gesammelt.

Das sagt Alexander Kekulé

Auch Virologe Alexander Kekulé hält den Lockdown nicht für zielführend. Ähnlich wie Schmidt-Chanasit plädiert er dafür, bei Verstößen gegen bestehende Regeln härter durchzugreifen. Das sagte er am Mittwoch dem "Mitteldeutschen Rundfunk".

"Die Probleme sind tatsächlich im privaten Bereich – das ist der Bereich, in dem wir mit den Ordnungsmaßnahmen sowieso nicht hinterherkommen."

Doch es gibt auch Virologen, die sich für den Lockdown aussprechen. Einer von ihnen ist Christian Drosten.

Das sagt Christian Drosten

Der Leiter der Virologie der Berliner Charité hält einen Lockdown für sinnvoll. In der am Dienstag veröffentlichten Folge des "NDR"-Podcast "Coronavirus-Update" sagt er:

"Wenn die Belastung zu groß wird, dann muss man ‘ne Pause einlegen. Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Dieses Virus erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfach einen Lockdown."

Das sagt Melanie Brinkmann

Die Virologin Melanie Brinkmann erforscht an der Universität Braunschweig die Genetik von Viren. Sie ist der Auffassung, dass die massiven Kontaktbeschränkungen die Corona-Infektionszahlen in Deutschland wieder drücken können, wie sie im Talkformat "Maybrit Illner" erklärte.

"Aus infektionslogischer Sicht können wir natürlich nicht vier Wochen auf einen Baum klettern und dann ist wieder alles gut. Wir leben in einer Pandemie, wir müssen einen Weg finden, der am wenigsten wehtut."

Der Lockdown sei diesbezüglich nicht ideal, aber laut Brinkmann müsse man irgendwo anfangen.

Das sagt Klaus Stöhr

Der Virologe Klaus Stöhr arbeitete einige Zeit bei der WHO, bis er in die Impfstoffentwicklung der Pharmafirma Novartis wechselte. In einem Interview mit der "Welt" sagte er auf die Frage, ob er den Lockdown für sinnvoll hält:

"Ich finde es gut, dass reagiert wird. Gut finde ich auch, dass man bis Montag mit der Umsetzung wartet."

Allerdings vermutet er, dass die Fälle künftig stark zunehmen, "weil nach dem Ende dieses Teil-Lockdowns in etwa vier Wochen 80 Prozent der Deutschen für das Virus immer noch voll empfänglich sein werden." Trotzdem denkt er, die Bundesregierung handle richtig, es fehle aber eine Langzeitstrategie und die richtige Kommunikation. Noch glauben die Menschen, denkt Stöhr, dass man das Virus aufhalten könne. Das sei aber nicht der Fall, da es sich um ein Naturereignis handelt, das sich schlicht nicht stoppen lässt.

Unterschiedliche Aussagen, trotzdem ein Konsens

Wie bereits erwähnt, gibt es selbst unter den Experten einige, die sich gegen die Maßnahmen aussprechen. Das ist in der Wissenschaft normal. Jeder entwickelt aufgrund von Erfahrungen und persönlichen Ansichten eine eigene Meinung. So unterschiedlich die Expertenmeinungen auch ausfallen, am Ende sind sie sich in einem Punkt einig: Es braucht Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen. Bestenfalls sollten diese langfristig sein. Wie sich das aber umsetzen lässt, ist noch unklar.

(tkr)

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