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England während EM-Finale: Englische Mannschaft hat ein Fan-Problem

Englische Fans im Fussballstadion in Wembley.
Englische Fussballfans im Londoner Wembley-Stadion.Bild: Sven Simon / Frank Hoermann/SVEN SIMON
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Unfaires Verhalten der englischen Fans während der EM – Fanforscher äußert sich besorgt: "Hat einen dicken Kratzer am englischen Fußball hinterlassen"

13.07.2021, 07:07
Felix Graf
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Ein ganzes Land ist euphorisiert. Die englische Nationalmannschaft kann Finale der Fußball-Europameisterschaft gegen Italien am Sonntag Historisches schaffen und ihren ersten großen Titel seit 1966 gewinnen. Doch das Verhalten der englischen Fans sorgt für Kritik.

Die normalerweise für ihre "feine englische Art" bekannten Anhänger der "Three Lions" zeigten während des gesamten Turniers immer wieder eine hässliche Seite. Das "Fair Play", eigentlich eine Art nationales Heiligtum, wurde des Öfteren mit Füßen getreten. Wie schon im Achtelfinale gegen Deutschland kam es im Spiel gegen Dänemark zu Buhrufen und Pfiffen bei der Nationalhymne der Skandinavier.

Fanforscher zeigt sich verwundert

"Das ist ein Stück weit unerklärlich. Eigentlich ist gerade die englische Fankultur eine Kultur, die durch ausgesprochenes Fairplay auffällt", wundert sich Harald Lange im Gespräch mit watson.

Lange ist Sportwissenschaftler an der Universität Würzburg und leitet dort den Studiengang Fanforschung. Er beobachtet das Verhalten der englischen Fans während der Europameisterschaft mit Sorge.

Beim Viertelfinal-Spiel zwischen Spanien und Italien waren auch englische Fans zu hören gewesen, wie sie den Gassenhauer "Football is coming home" anstimmten.

Das Fass zum Überlaufen brachten aus Sicht vieler Fans jedoch zwei Aktionen: Nach dem Spiel gegen Deutschland ging ein Bild eines weinenden deutschen Mädchens viral. In den Sozialen Medien kam es zu solch üblen Entgleisungen gegen den jungen Fan, dass selbst ein England-Anhänger so unangenehm berührt war, dass er eine Spendensammlung für das Kind startete.

Beim Halbfinale gegen Dänemark folgte die nächste grobe Verfehlung. Vor dem entscheidenden Elfmeter in der Verlängerung versuchten "Fans", Dänemarks Torhüter Kasper Schmeichel mit einem Laserpointer zu blenden.

Schmeichel, der bei Leicester City in England unter Vertrag steht, hielt den Elfmeter sogar, doch Schütze Harry Kane konnte den Ball anschließend im Nachschuss zum entscheidenden 2:1-Siegestreffer im Tor unterbringen.

"Das sind natürlich Makel, die dem englischen Fußball auch international anhaften werden. Das irritiert schon deutlich", so Lange.

Die Schmähungen könnten als Indiz dafür gewertet werden, dass sich die populäre Fankultur in England verändert hat. "Wir sprechen dabei nicht von der traditionellen Fankultur, sondern eben nur von jenen, die von solchen Länderspielen vorwiegend angezogen werden."

Image scheint beschädigt

Das habe nicht mehr viel mit der eigentlich vorbildlichen, fairen sportlichen Fankultur in England zu tun, so Lange.

"Dabei kann man nicht zwischen der Mannschaft und den Fans unterscheiden. Das hängt zusammen und wirkt sich somit auch negativ auf das Team aus."
Fanforscher Harald Lange

Das Image der "Three Lions" sieht der Fanforscher durch diese Aktionen als beschädigt an. "Das hat einen dicken Kratzer am englischen Fußball hinterlassen. Dabei kann man nicht zwischen der Mannschaft und den Fans unterscheiden. Das hängt zusammen und wirkt sich somit auch negativ auf das Team aus. Es wirft einen Schatten auf den englischen Fußball insgesamt."

"Rauer Umgangston im Stadion normal"

Lange stellt heraus, dass ein rauer Umgangston in den Fussballstadien rund um die Welt vor allen bei Turnieren zwar normal sei. "Da gehört das Thema Schmähgesang gegenüber dem Gegner selbstverständlich zur Fußball-Folklore dazu."

Aber auch hier gebe es Grenzen des guten Geschmacks.

Aber wo beginnt die rote Linie? Wo sind Grenzen zu ziehen? Für Lange unter anderem dann, wenn die Nationalhymne des Gegner ausgebuht wird: "Das ist schlicht respektlos", sagt er und nennt auch noch den Laserpointer-Angriff als Beispiel. "Das ist schlichtweg unsportlich und kriminell. Das geht eindeutig zu weit. Da muss eine gesunde, gewachsene Fankultur auch ein Gespür dafür haben, an welchen Stellen man im Grenzbereich zu dieser roten Linie experimentiert." Eine "platte" Fankultur überschreite diesen Grenzbereich ständig.

Harald Lange ist Sportwissenschaftler an der Universität Würzburg und leitet dort den Studiengang Fanforschung.
Harald Lange ist Sportwissenschaftler an der Universität Würzburg und leitet dort den Studiengang Fanforschung.privat

Allerdings würde Lange das mit Blick auf die englischen Fans noch nicht zu hoch hängen. Es gebe genügend Beispiele, bei denen sich die Fußballfans von der Insel fair verhalten hätten.

Englischer Verband muss sich positionieren

Die Uefa leitete Ermittlungen wegen der Vorfälle ein, auch der englische Fußballverband FA reagierte empört. Was jetzt passieren muss, um die krass unsportlichen Vorfälle einzudämmen, sei nach Lange ein Kommunikationsprozess.

Bestrafungen und Sanktionen würden nichts bringen, so Lange. "Die gehen an allen, die da mitgemacht haben, spurlos vorbei." Wichtig sei ein Zeichen des englischen Verbandes. "Und zwar dahingehend, dass man unmissverständlich auf diese Überschreitungen der roten Linie hinweist, sich dagegen positioniert und zeigt, dass man sich für so ein Verhalten schämt."

Auch die Mannschaft, bekannte Persönlichkeiten und Personen innerhalb der Fankultur müssten die Thematik zur Sprache bringen. Das gehe besonders dann am besten, wenn man selbst eine ethische Instanz sei.

Fanforscher kritisiert Uefa

An der Uefa lässt der Sportwissenschaftler indes kein gutes Haar. Sie könne in diesen Prozess nicht eingreifen, auch nicht mit besagten Ermittlungen. "Die Verfahren werden nicht wirken, weil die Uefa all ihre Ansprüche als ethische Instanz, die ethisches Fehlverhalten sanktionieren will, durch ihr Verhalten während der Europameisterschaft verwirkt hat."

"Wir müssen uns darüber austauschen, welche Werte wir für wichtig halten und welche Konsequenzen das auf allen Ebenen des Fußballs hat."
Fanforscher Harald Lange

Auch der englische Verband müsse sich auch immer wieder fragen, wie authentisch und glaubwürdig er im Ansprechen ethischer Fragen sei. Das sei gerade dann bei Verbände natürlich schwierig, "die die Ethik quasi über Bord geworfen haben."

Das Klima in einer Fankultur zeige sich bei den Fans, bei der Mannschaft und sogar in der Art, wie diese spielt.

Wie wertebasiert ist Fussball?

Es gehe bei der Debatte auch darum, wie wertebasiert der Fußball sei. "Und wenn es an irgendeiner Stelle plötzlich Auffälligkeiten gibt, dann tut man gut daran, nicht nur diese eine Stelle in den Blick zu nehmen, sondern den gesamten Fußball innerhalb des Verbandes. Und das würde ich jetzt in Großbritannien beziehungsweise in England tatsächlich auch tun."

Einen allgemeinen Wandel in der Fankultur in Europa sieht der Sportwissenschaftler Lange allerdings nicht. "Wir haben Ausrichterländer, bei denen das (unsportliche Verhalten, Anm.d.Red) häufiger passiert ist und Länder, bei denen das weniger vorkam."

"Wir sprechen dabei nicht von der traditionellen Fankultur, sondern eben nur von jenen, die von solchen Länderspielen vorwiegend angezogen werden."
Fanforscher Harald Lange

Man dürfe bei dem Thema nicht außer Acht lassen, dass Fußballstadien Orte seien, bei denen der Tonfall wie schon zuvor beschrieben traditionell rauer sei. Deshalb könne man seinen Erwartungen in Bezug auf den Umgang miteinander nicht "so justieren, als würden die Menschen dort ins Theater, in die Oper oder ins Kino gehen." Man gehe zu einem Fußballspiel, bei dem es quasi folkloristisch verbrieft sei, dass man dort auch mal Wörter höre, die unter der Gürtellinie gingen.

Respekt sei ein Wert, der untrennbar zum Sport und dem Fußball dazugehöre. "Und dieser Wert steht im Moment in vielerlei Hinsicht auf der Probe."

Lange fordert deshalb eine ethische Debatte um die Werte im Fußball: "Wir müssen uns darüber austauschen, welche Werte wir für wichtig halten und welche Konsequenzen das auf allen Ebenen des Fußballs hat."

Fussball-Fans in Wembley.
Spannend wird sein, wie sich die englischen Fussball-Fans im Finale gegen Italien geben werden.Bild: Sven Simon / Frank Hoermann/SVEN SIMON

Dies sei ein Lernprozess, der für eine Gesellschaft sehr wichtig sein könne. Dabei gebe es immer wieder Beispiele, an denen man über das Ziel hinausgeht. Deshalb würde Lange die englischen Fans in den nächsten Jahren weiter im Blick behalten und beobachten, wie sie mit der jetzigen Situation umgehen.

Wenn am Sonntagabend das Spiel gegen Italien in Wembley angepfiffen wird, wird das Augenmerk mancher Zuschauer in ganz Europa wohl nicht nur auf den 22 Spielern auf dem Feld gelten, sondern auch den englischen Fans. Die Frage ist dann, ob sie ihre Mannschaft anfeuern oder für einen neuen Tiefpunkt in Sachen Fairness bei dieser Europameisterschaft sorgen.

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