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Migrationspakt: Warum es gefährlich ist, dass so wenig informiert wird

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Warum es so gefährlich ist, dass so wenig über den Migrationspakt informiert wird

31.10.2018, 12:4731.10.2018, 19:05
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Das ist der Migrationspakt:
Die Vereinten Nationen wollen den "Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration" im Dezember auf einer Konferenz in Marokko verabschieden. Mit diesem Migrationspakt wollen mehr als 190 Länder die weltweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration verstärken.

Sowohl die AfD, als auch diverse rechte und rechtsextreme Organisationen wie die "Identitäre Bewegung" haben den Globalen Migrationspakt in den vergangenen Wochen zu einem ihrer wichtigsten Kampagnenthemen auserkoren.

Um Stimmung dagegen zu machen, verbreiten sie Falschbehauptungen und Lügen über die Inhalte und die möglichen Auswirkungen des Migrationspaktes. Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen behauptet etwa, durch den Pakt wolle Bundeskanzlerin Angela Merkel "allen Migranten weltweit den Zugang nach Deutschland ermöglichen". Der Faktencheck zeigt: Solche Behauptungen sind an den Haaren herbeigezogen.

Was tatsächlich im Migrationspakt steht, kannst du hier nachlesen:

Warum das so gefährlich ist

Die AfD und rechtsextreme Aktivisten schüren mit diesen Falschbehauptungen über den Globalen Migrationspakt Ängste in der Bevölkerung. Die Bundesregierung, die den Pakt im Dezember annehmen wird, setzt dem öffentlich kaum etwas entgegen. Und auch die Medien haben bislang wenig darüber informiert, was tatsächlich in dem Pakt drinsteht – und was an den von rechts heraufbeschworenen Weltuntergangs-Szenarien dran ist.

Nun verbreiten AfD und rechtsextreme Kreise regelmäßig falsche Behauptungen über alle möglichen Themen – vor allem aber über Migranten und Flüchtlinge. Warum sollte ausgerechnet dem Migrationspakt eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden?

So gehen die Behauptungen viral

Die Falschbehauptungen über den Pakt tauchen nicht nur vereinzelt auf, sie werden gezielt und planvoll verbreitet. Die zahlreichen Posts, rechten Aktionen auf der Straße und mehreren Petitionen sind Teil einer breit angelegten Desinformationskampagne.

Dabei geht es nicht nur um den Migrationspakt, die Kampagne ist Teil eines Narrativs, das versucht, durch wiederholte Lügen eine eigene "Wahrheit" jenseits der Fakten  zu schaffen. 

Die Falschbehauptungen werden in den Sozialen Medien tausendfach geteilt. Hunderttausende lesen die Texte und schauen sich die Fotos und Videos an.

Die zehn erfolgreichsten Posts von öffentlichen Facebookseiten der vergangenen 30 Tage, in denen das Stichwort "Migrationspakt" vorkommt, stammen alle von rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Accounts. Das ergibt eine Untersuchung mit dem Social-Media-Analysetool "Crowdtangle".

An erster Stelle steht die Behauptung des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen. Dieser Post wurde über 8.500 Mal geteilt.

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screenshot: faceook

Die zweit-meisten Interaktionen hatte dieser Post des rechten Motorrad-Rockers Tim Kellner.

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Bild: screenshot: facebook

An dritter Stelle steht ein Video der heute parteilosen Europaabgeordneten Ulrike Trebesius, die ursprünglich AfD-Mitglied war. Ihr Video wurde fast 130.000 Mal angesehen.

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Bild: screenshot: facebook

Ähnlich sieht es bei Youtube aus. Die Videos, die dort bei einer Suche nach dem Wort "Migrationspakt" vorgeschlagen werden, stammen fast alle von rechten oder rechtsextremen Accounts.

Darunter ist etwa der Chef der rechtsextremen "Identitären Bewegung". Sein Video wurde mehr als 135.000 Mal gesehen.

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screenshot: youtube

Auch ein Video des rechten Verschwörungstheoretikers Gerhard Wisnewski wurde über 100.000 Mal angeschaut.

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screenshot: youtube

All diese Posts und Videos verbreiten ähnliche Behauptungen und bedienen das gleiche Narrativ: "Die da oben" wollen Millionen von Flüchtlingen ins Land holen und wollen nicht, dass "wir" darüber informiert werden.

Die Bundesregierung informiert zu wenig über den Migrationspakt

Auch wenn ein Großteil der rechten Behauptungen über den Migrationspakt sich bei näherer Betrachtung als falsch herausstellt – der Eindruck, die Bundesregierung würde  wenig über den Pakt informieren, ist nicht unberechtigt.

Auf der Website des Auswärtigen Amts etwa findet sich zum Migrationspakt lediglich ein knapper Text über den Abschluss der Verhandlungen der Vereinten Nationen im Juli.

Zwei Sprecher der Bundesregierung äußerten sich in einer Regierungspressekonferenz am 12. Oktober knapp zum Migrationspakt und den Fehlinformationen, die im Umlauf sind. 

Auf die massive rechte Desinformationskampagne, die schon seit September im Gange ist, reagierte das Auswärtige Amt erst in der letzten Woche aktiv mit einem Video auf Facebook und Twitter. Darin erklärt der Staatsminister Michael Roth, worum es im Migrationspakt geht. 

Dadurch, dass die Bundesregierung selber stärker über den Migrationspakt informiert, überlässt sie die Debatte rechten und rechtsextremen Kreisen.

Hat die Bundesregierung Angst vor einer offenen Debatte? Hat sie schlicht unterschätzt, welche Relevanz das Thema hat? Das Ergebnis ist in jedem Fall fatal.

Hat der Petitionsausschuss des Bundestags eine Petition zum Migrationspakt gelöscht?
Das behaupten AfD-Politiker und rechte Medien seit der vergangenen Woche. Die Faktenchecker von Correctiv haben diese Behauptung überprüft und sind zu dem Schluss gekommen: Das stimmt nicht. Hier kannst du den Faktencheck dazu im Detail nachlesen.

Auch auf Google dominieren rechte Seiten

Wer sich via Google News informieren möchte, findet auch dort vor allem die Artikel rechter Blogs und und unseriöser Fake-News-Schleudern.

So sahen die ersten Google-News-Treffer zum Suchbegriff "Migrationspakt" am Dienstag aus:

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screenshot: google

Ein Grund: Ein Großteil der deutschen Medien hat bislang wenig über den Migrationspakt berichtet. Vor allem seitdem die "Identitäre Bewegung", die AfD und andere rechte Kreise im September eine Kampagne gegen den Pakt gestartet haben, ist eine seriöse Berichterstattung umso wichtiger. 

Das führt dazu, dass Menschen, die sich informieren wollen, am Ende schnell auf unseriösen Seiten landen.

Darunter die "Epoch Times", die immer wieder Falschmeldungen verbreitet und zu den Leitmedien der Neuen Rechten gehört, oder die rechtspopulistischen österreichischen Websites "Wochenblick" und "Unzensuriert.at". Außerdem mehrere Artikel aus Schweizer und Österreicher Medien – in denen teilweise ebenfalls Falschinformationen wiedergegeben werden.

Warum berichten die Medien so wenig?

Das liegt nicht daran, dass sie "nicht darüber berichten dürfen", wie teils von rechten Aktivisten behauptet wird. Es liegt auch nicht daran, dass die deutschen Medien den Migrationspakt im Sinne der Regierung totschweigen wollen. Schließlich wird in diversen Medien immer wieder kritisch über die Migrationspolitik der Bundesregierung berichtet.

Nein, es liegt viel eher daran, dass die Relevanz des Themas und die Ausmaße der Desinformationskampagne gegen den Migrationspakt unterschätzt werden. Auf "Fake News" und Desinformationen schauen Politiker und Journalisten vor allem vor Bundestagswahlen – und wenn es etwa um Russland und die USA geht.

Was dabei oft außer Acht gerät: Gezielte Falschmeldungen werden auch in Deutschland dauerhaft verbreitet und sie haben massive Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Zwei Beispiele:

  • In Chemnitz haben Falschinformationen über einen zweiten Toten zur Mobilisierung für die gewaltsamen Proteste beigetragen.
  • In Köthen wurden kurze Zeit später die Erkenntnisse von Polizei und Rechtsmedizin über die Todesursache eines jungen Mannes in Zweifel gezogen. Tausende erklärten in den Sozialen Medien ihr Misstrauen in die Behörden – angefacht durch eine Desinformationskampagne von rechts.

Wenn eine Vielzahl an Menschen sich nicht mehr für Fakten interessiert und Desinformationskampagnen glaubt, ist das nicht nur eine Gefahr für die Debattenkultur, sondern für die Demokratie.

Umso wichtiger ist es, dass solche Aussagen nicht unwidersprochen dastehen, sondern von Journalisten überprüft und eingeordnet werden. Wer sich informieren will, muss zumindest die Chance dazu haben. 

Im Video: Die AfD bejubelt das Aus von Angela Merkel

Video: watson/Max Biederbeck, Lia Haubner

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