Die SPD hat ein Problem. Sie sitzt in der Spahn-Seehofer-Falle. Die beiden hatten, kaum war die neue Regierung am Start, ein paar Duftmarken gesetzt:
Es scheint so, als spielten da einige in Reihen der Union gerade so eine Art Bullshit-Bingo:
Verteilungsdebatte in der Tradition "Spätrömischer Dekadenz" (Guido Westerwelle). Check. Abtreibung. Check. Islam. Check.
So macht man Quote. Im Eiltempo stecken Unionisten ihr konservatives Terrain ab. Dahinter steckt Kalkül, gilt es Merkels Union der Mitte für Ultrakonservative und Abtrünnige wieder attraktiv zu machen. Denn 2017 holte die CDU mit knappen 33 Prozent der Stimmen das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte (gleiches gilt für die CSU in Bayern mit knappen 38 Prozent). Gut eine Million Wähler verlor die Union an die selbsternannte Alternative für Deutschland (AfD).
Die übt sich in großkoalitionärer Zurückhaltung. Zuckt kurz und guckt genervt zur Kanzlerin. Moment, das hatten wir anders besprochen.
Merkel soll bitteschön ein Machtwort sprechen. Doch mit dieser Strategie hat die SPD ein Problem im doppelten Sinne: Weil sie Provokation und Mäßigung CDU/CSU überlässt.
Dabei wollte die SPD doch aus den letzten Groko-Jahren lernen: Sie hatte es versäumt, als Juniorpartner der CDU ihre Themen zu setzen. Und den Kompromiss viel zu oft als sozialdemokratische Position verkauft. Fleißig, seriös, strebsam stand die SPD im Maschinenraum der GroKo – der Preis: Unkenntlichkeit.
An Deck winken andere.
Die Zeilen bestimmen andere.
Wie hätte die Antwort einer selbstbewussten alten Dame auf Jens Spahns Hartz-Polemik lauten können? In etwa so: Arbeitsmarktreform.
Im Kleinen hat die SPD reagiert. Der Berliner Bürgermeister Michael Müller forderte in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost“ ein solidarisches Grundeinkommen. Mit dem Hartz-IV-System müsse Schluss sein. Gehör findet das kaum.
Das Resultat: Die Union bestimmt Tempo und Debatte. Und Jens Spahn trifft sich mit der Hartz-IV-Empfängerin Sandra S., die in einer Petition forderte, Spahn solle einen Monat von Hartz-IV leben.
Horst Seehofers Satz "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" war ähnlich am Thema vorbei, wie die Vorlage des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulf. Seehofer setzte ein Signal der Abgrenzung: Heimat vs. Islam. "Wir" gegen "Die". Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Wer auf dem Boden des Grundgesetzes steht, gehört zu Deutschland.
Doch wo steht die SPD in der Diskussion? Wie wäre es mit einer nach vorne gerichteten Debatte statt markiger Sätze, ob und welcher Islam denn jetzt eigentlich zu Deutschland gehört. Eine Debatte über den Stellenwert und Anstrengung von Integration, über Diversität jenseits von Religionszugehörigkeit. Eine, die Zuwanderung nicht allein unter dem Vorzeichen von "Verlust" diskutiert. Eine Debatte adressiert an hier lebende Menschen, weder von Heimatministern noch von konservativen Islamverbänden dominiert.
Und dieses Recht setzt Information voraus, die gut zugänglich sein muss. Und darum geht es in der Diskussion um den Paragraphen 219a.
Auslöser für die Debatte war ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2017. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel hatte auf ihrer Homepage via Link über Schwangerschaftsabbrüche informiert und wurde zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt.
Denn eigentlich gibt es im Bundestag eine Mehrheit jenseits der Unionsfraktionen für die Reformierung des Strafrechtsparagraphen. Ärzte hätten dann Rechtssicherheit und mehr Mittel, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren.
Aus Rücksicht auf die Koalitionsverhandlungen mit der Union hatte die SPD allerdings im Februar darauf verzichtet, einen eigenen Antrag einzubringen. Man wollte keinen vorkoalitionären Bruch riskieren. Stattdessen sollte Justizministerin Katarina Barley einen Gesetzentwurf zur Reform des Strafrechtsparagrafen 219a vorlegen, der auch in der Union Zustimmung findet.
Das Resultat: Der Ball liegt wieder bei der Union. Die Gießener Ärztin richtet sich in einem öffentlichen Brief an Angela Merkel. "Helfen Sie, die Debatte um den §219a zu versachlichen.“
Zehntausende Menschen sind seit Beginn der türkischen Offensive in Afrin gegen die Kurdenmiliz YPG auf der Flucht. Merkel schwieg. Die Regierung schwieg. In der Regierungserklärung von Mittwoch übte Angela Merkel dann erstmals Kritik. Gleichzeitig hat die Regierung gerade erst Rüstungslieferungen in Millionenhöhe an den Nato-Partner Türkei genehmigt. In Afrin rollen bereits heute deutsche Panzer.
Was sagt die SPD dazu? Nach der Kritik der Kanzlerin am Mittwoch, warnte auch Außenminister Heiko Maas die Türkei vor einem Verbleib in Afrin. Für die deutlichen Worte ist aber auch hier die zweite Reihe zuständig: Rolf Mützenich, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, sprach gegenüber der "Frankfurter Rundschau" von einer "völkerrechtswidrigen Aggression".
Immerhin.