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Interview

Warum in Afrika die Corona-Todeszahlen noch immer gering sind

Coronavirus, Eindrücke aus Südafrika 200710 -- JOHANNESBURG, July 10, 2020 Xinhua -- A medical worker stands outside a temporary tent in a hospital in Pretoria, South Africa, July 10, 2020. As of Thur ...
In Südafrika wurden Teststationen und Behandlungseinrichtungen wegen Corona installiert. Nicht alle Länder südlich der Sahara haben solche Mittel wie das vergleichsweise wohlhabende Land.Bild: www.imago-images.de / Xinhua
Interview

Warum in Afrika die Corona-Todeszahlen noch immer gering sind

27.07.2020, 10:11
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War es zu Beginn der Pandemie nur eine Vorahnung, so ist es inzwischen Gewissheit geworden. Die Corona-Pandemie hat längst die Entwicklungs- und Schwellenländer erreicht. Mit Brasilien, Indien und Südafrika sind inzwischen drei Länder des globalen Südens unter den fünf Ländern mit den meisten Infizierten vertreten.

Nun hat die UNO einen Bericht vorgestellt, in dem sie fordert, dass vorübergehend ein Grundeinkommen für die ärmsten der Armen eingeführt wird, das nicht nur wirtschaftlich unter die Arme greifen soll, sondern auch dafür sorgen soll, dass sich das Coronavirus langsamer ausbreitet. Viele Menschen in Entwicklungsländern sind auf ihr tägliches Einkommen angewiesen und können Quarantäne-Vorschriften daher nicht einhalten. Ein Grundeinkommen soll diesen Menschen die Sicherheit geben, um notfalls auch zu Hause bleiben zu können.

Aber: Ist das eine gute Lösung für das Dilemma, in dem insbesondere Afrika derzeit steckt? Und wie sollen die fast 200 Milliarden Euro im Monat finanziert werden, die es braucht um 2,7 Milliarden Menschen mit einem Grundeinkommen von zwei bis drei Dollar pro Tag zu versorgen?

David Stadelmann ist Professor für Entwicklungsökonomie an der Universität Bayreuth. Er macht sich bereits seit mehreren Monaten darüber Gedanken, wie man den afrikanischen Staaten südlich der Sahara helfen könnte, um die Folgen der Corona-Krise abzuschwächen. Watson hat ihn gefragt, wie realistisch so ein Grundeinkommen ist und was die Alternativen sein könnten.

"Man darf nicht den Fehler machen, sich komplett nur auf Corona zu fokussieren."

watson: Herr Stadelmann, uns alle betrifft Corona derzeit in der einen oder anderen Form. Für den globalen Süden, den Entwicklungsländern, stellt die Pandemie allerdings eine besondere Herausforderung dar. Was ist dort anders als bei uns?

David Stadelmann:
Bisher ist es so, dass es in Afrika auf die Bevölkerung gerechnet noch relativ wenige gemeldete Fälle gibt. Das liegt sicher auch daran, dass in diesen Ländern aufgrund fehlender Ressourcen weniger getestet werden kann, als in den entwickelten Ländern und daher auch weniger Fälle gefunden werden.

Aber es ist auch auffällig, wie wenige Menschen dort bisher daran gestorben sind…

Ja. Wenn man sich die Zahlen der WHO ansieht, dann fällt auf, dass es in Uganda 1000 Fälle und derzeit offiziell null Tote gibt. Es sterben in den afrikanischen Ländern verhältnismäßig wenige Menschen an der Krankheit bezogen auf die Bevölkerung. Das könnte daran liegen, dass die Menschen dort verhältnismäßig jung sind, könnte aber auch daran liegen, dass der Austausch durch Reisen etc. mit dem Rest der Welt verhältnismäßig kleiner ist als bei uns. Möglich wäre auch, dass in Afrika gewisse Kreuz-Immunitäten gegenüber der Krankheit herrscht. Die Zahlen könnten aber auch noch steigen.

Man könnte also meinen, dass die Pandemie für Afrika geringere Probleme darstellt?

Da muss man aufpassen. Man darf nicht den Fehler machen, sich komplett nur auf Corona zu fokussieren. Das eigentliche Problem sind aktuell nicht nur die direkten gesundheitlichen Folgen der Krankheit für die Betroffenen. Es geht auch um die indirekten Folgen, genauer gesagt die Folgen der Corona-Maßnahmen. Subsahara-Afrika leidet massiv unter HIV, Malaria und Tuberkulose.

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In Afrika ist Covid-19 ein großes Problem geworden, aber eben auch Krankheiten wie HIV, Malaria und Tuberkulose.Bild: www.imago-images.de / Donwilson Odhiambo

Bis zu 800.000 Tote wegen Nicht-Lieferung von Medikamenten:

"Das sind Nebeneffekte von Corona, die aktuell viel zu wenig diskutiert werden."

Dort besteht das Problem, dass die Lieferketten von Medikamenten aufgrund des Lockdowns teilweise zusammengebrochen sind. Da könnte es zu vielen Toten kommen, weil die Medikamente nicht mehr geliefert werden können. Insbesondere Malaria trifft auch viele Kinder. Die ersten Schätzungen gehen von bis zu 800.000 Toten dort aus. Das ist ungefähr die Größenordnung an Toten, die man auch bei Corona zunächst befürchtet hat. Das sind Nebeneffekte von Corona, die aktuell viel zu wenig diskutiert werden.

Was ist mit den gesellschaftlichen Auswirkungen?

Die gesellschaftlichen und sozialen Nebeneffekte der Pandemie sind auch nicht zu unterschätzen. Gerade in vielen Ländern des globalen Südens, wie auch in Afrika, sind die politischen Verhältnisse nicht besonders stabil und sie werden durch die Corona-Krise weiter gefährdet. In Nigeria finden Polizeiaggressionen im Rahmen der Corona-Maßnahmen statt, die zu einigen Toten geführt haben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass aktuelle Machthaber die Situation nutzen, um ihre Macht zu konsolidieren. Dabei sind gerade auch gute politische Rahmenbedingungen zentral für Entwicklung.

Über den Vorschlag der UNO ein Grundeinkommen für die Ärmsten im globalen Süden einzuführen:

"Es wäre schon sinnvoll sich zu fragen, wer das finanziert."

Und wie wirkt sich die Krise ökonomisch auf diese Länder aus?

Deutlich extremer als bei uns. Wir hier haben gewisse Ersparnisse. Nicht jeder hat ein dickes Bankkonto, aber wir können es uns zumindest leisten, ein paar Tage oder Wochen nicht zu arbeiten, ohne existenziell gefährdet zu sein. Und sonst kann der Staat für eine gewisse Zeit einspringen, der zur Not weitere Schulden aufnimmt. Das können viele Menschen in ärmeren Ländern nicht. Dort wird jetzt schon oft von der Hand in den Mund gelebt. Ein paar Tage nicht zu arbeiten hat dort direkte Konsequenzen, die für manche schlimm sind: Die Abwägung ist dann plötzlich zwischen Krankheit oder Hunger.

Ein UNO-Bericht hat nun gefordert, ein Grundeinkommen für 2,7 Milliarden Menschen bereitzustellen. Die Ärmsten der Armen sollen damit gerettet werden, die die Corona-Maßnahmen nicht umsetzen können, aus Angst kein Einkommen mehr zu haben. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Die Idee ist es ja, diesen Menschen ungefähr 2 bis 3 Dollar pro Tag zur Verfügung zu stellen. Das würde pro Monat rund 200 Mrd. Dollar kosten. Man muss sich bewusst machen, dass Uganda ein Durchschnittseinkommen von rund zwei Dollar pro Tag hat. Insofern könnte ein derartiges Grundeinkommen viel verändern. Allerdings wäre es schon sinnvoll, sich zu fragen, wer das finanziert.

Was denken Sie denn, wer das finanzieren könnte?

Da könnte eigentlich nur der globale Norden sein, also die entwickelten Länder wie Deutschland. Natürlich könnten wir uns prinzipiell das auch leisten. Aktuell liegt das Budget für Entwicklungszusammenarbeit der OECD-Länder bei knapp unter 150 Milliarden Dollar im Jahr. Die Vereinten Nationen würden nun monatlich zusätzlich 50 Milliarden Dollar fordern, wenn ihr Vorschlag umgesetzt werden sollte. Das scheint mir schwierig zu sein. Wenn wir bis jetzt nicht in der Lage waren, für den globalen Süden nur einen Bruchteil der Mittel zur Verfügung zu stellen, dann weiß ich nicht, warum es jetzt der Fall sein sollte. Das erscheint mir wenig realistisch.

Auf der anderen Seite stellt die konkrete Umsetzung eine Herausforderung dar. Weit nicht alle Menschen in Ländern in Afrika haben ein Bankkonto, auf das man einzahlen kann und viel Geld verschwindet von der Entwicklungshilfe auch durch Korruption…

Ja. Das sind die praktischen Probleme, die in der Realität eine extrem große Rolle spielen. Von den 150 Milliarden, die aktuell in Entwicklungshilfe investiert werden, kommen auch nur Teile dort an, wo sie hinsollen. Auch ist es fraglich, ob mehr Geld auch soziale und politische Veränderungen bewirkt. Wir haben in den letzten Jahrzehnten relativ viel Entwicklungshilfe gezahlt und gesehen, dass sich das gesellschaftlich nur schwach positiv bis teilweise sogar negativ auf diese Länder ausgewirkt hat.

Prof Dr. David Stadelmann ist Entwicklungsökonom an der Uni Bayreuth.
Prof Dr. David Stadelmann ist Entwicklungsökonom an der Uni Bayreuth.Bild: David Stadelmann
"Aus meiner Sicht ist bisher viel zu wenig darüber nachgedacht worden, wie man die potenzielle Immunität von Genesenen nutzen kann."

Woran liegt es, dass so viele Länder südlich der Sahara wirtschaftlich und politisch derartige Probleme haben?

Das hängt mit den politischen und ökonomischen Institutionen zusammen, die durch die Kolonialisierung mitgeprägt sind. Die Kolonialmächte haben in den Ländern während der Kolonialzeit schlecht gemanagte Institutionen installiert. Und diese Strukturen wurden nach dem Ende der Kolonialisierung nicht aufgebrochen und verbessert. Da hilft es eben auch nicht viel, wenn man diese Länder wahllos mit Geld überhäuft. Man müsste zuerst institutionelle Reformen anstreben, freie Wahlen, Schutz der Demokratie und Schutz von Eigentumsrechten sicherstellen und erst dann Geld geben. Aber wenn man diese Normen erst einmal etabliert hat, braucht man eigentlich auch kein Geld mehr geben, weil dann wird die Wirtschaft mehr oder weniger von selbst funktionieren. Dann ist es durchaus möglich, dass dann auch Länder wie Uganda das Niveau von Bulgarien erreichen könnten.

Was wäre in Ihren Augen eine bessere Reaktion zu der Problematik, dass viele Menschen in afrikanischen Staaten oder anderen Entwicklungsländern sich nicht an die Quarantäne-Regelungen halten können, weil sie sonst ihr Einkommen verlieren?

Aus meiner Sicht ist bisher viel zu wenig darüber nachgedacht worden, wie man die potenzielle Immunität von Genesenen nutzen kann. Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass Menschen, die an Corona erkrankt waren, anschließend, zumindest für einige Zeit, immun sind. Diese Menschen könnten gerade im globalen Süden wieder arbeiten gehen und dafür sorgen, dass das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben aufrechterhalten werden kann. Das wäre aus meiner Sicht deutlich effektiver und realistischer als zu versuchen, gigantische Geldsummen zu akquirieren, die möglicherweise gar nicht beim Empfänger ankommen.

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