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Gastbeitrag von Tessa Ganserer: Nahezu täglich erleben Frauen Belästigung

Nürnberg. Tessa Ganserer kandidiert für die Grünen für den Bundestag
Tessa Ganserer schreibt hier einen Gastbeitrag für watson.Bild: Christian Hilgert
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Diese Mikroaggressionen hinterlassen Spuren

Tessa Ganserer schreibt in ihrem Gastbeitrag für watson über übergriffiges Verhalten gegenüber cis, trans*, inter und non-binären Frauen. Nicht alle Männer tun es, schreibt sie. Aber nahezu jede Frau hat verbale, sexuelle Belästigung und/oder übergriffiges Verhalten erlebt.
08.03.2022, 09:5508.03.2022, 15:44
Tessa Ganserer
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Es lässt sich nicht bestreiten, dass wir in unserer Gesellschaft ein massives Problem mit sexualisierter Gewalt haben.

Dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von Ihrem Mann ermordet wird und diese grausamen Frauenmorde noch immer als "Beziehungsdramen" verharmlost und nicht als Femizide gegeißelt werden, ist unhaltbar.

Es ist ein Drama, dass unsere Frauenhäuser so unterfinanziert sind, dass wir nicht allen Frauen Schutz gewähren können, die ihn benötigen.

"Die meisten erleben solche ekelerregenden Situationen nicht nur einmal, sondern fast täglich."

Nicht alle Männer tun es, aber nahezu jede Frau hat verbale sexuelle Belästigung und/oder übergriffiges Verhalten erlebt. Und die meisten erleben solche ekelerregenden Situationen nicht nur einmal, sondern fast täglich. Meistens lassen solche unmöglichen männlichen Verhaltensweisen Frauen einfach nur sprachlos zurück. Oft ist nicht genug Zeit oder Frau hat einfach nicht die Kraft, sich gegen jeden dieser Übergriffe zu wehren. Doch diese Mikroaggressionen hinterlassen Spuren, die schiere Masse dieser Erlebnisse können Frauen auf Dauer mürbe machen.

Männer legen diese sexistischen Verhaltensweisen an den Tag – einfach, weil sie Männer sind und weil sie es können.

Es geht hier darum, Macht auszuüben, gegenüber anderen Männern besonders männlich zu performen und Frauen an einen untergeordneten Platz zu verweisen. Was sich dahinter verbirgt, ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, die als Rechtfertigung dient, um Frauen ihre Rechte abzusprechen, um sie zu sexualisieren, auf ihre Körperlichkeit zu reduzieren, um ihnen per se bestimmte Rollen zuzuschreiben.

Es ist die Subtilität, mit der sich Sexismus bemerkbar macht, weshalb er schwer greifbar ist und sich ständig reproduziert. Genauso verhält es sich bei cis Sexismus und Transmisogynie.

"Es ist inzwischen anerkannter Stand der Wissenschaft, dass sich Geschlechtlichkeit
nicht allein anhand von Körperlichkeiten,
Hormonen oder Chromosomen bestimmen lässt."

Es ist inzwischen anerkannter Stand der Wissenschaft, dass sich Geschlechtlichkeit nicht allein anhand von Körperlichkeiten, Hormonen oder Chromosomen bestimmen lässt, sondern dass Geschlecht ein mehrdimensionales Kontinuum ist und die Geschlechtszugehörigkeit im Wesentlichen ein Teil unserer Persönlichkeit ist, mit der wir zur Welt kommen.

Transgeschlechtliche Menschen wurden lange Zeit in unserer Gesellschaft stigmatisiert, von Medizin und Psychologie pathologisiert, sie werden immer noch durch das Gesetz fremdbestimmt, erleben häufig Gewalt und in allen Lebensbereichen Diskriminierung. Noch immer gibt es einen immensen gesellschaftlichen Normierungsdruck auf trans*, inter und non-binäre Menschen bezüglich ihres äußeren Erscheinungsbildes, der sich etwa darin äußert, dass trans*, inter und non-binäre Menschen auf ihre vermeintlich körperlichen Merkmale reduziert werden.

"Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betrifft den Sexualbereich, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz gestellt hat."

Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betrifft den Sexualbereich, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz gestellt hat (vgl. BVerfGE 47, 46 ; 60, 123 ; 88, 87). Nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1996 können transgeschlechtliche Menschen von den staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen. Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren und ihn auch unabhängig von der amtlichen Personenstandsänderung in seiner Geschlechtszugehörigkeit korrekt anzusprechen.

Dennoch glauben Teile der Bevölkerung auch ein Vierteljahrhundert nach diesem Urteil noch, dass sie transgeschlechtlichen Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit in Abrede stellen können. Andere finden nichts falsch daran, dass damit transgeschlechtlichen Menschen ihre grundgesetzlich geschützten Menschenrechte in Abrede gestellte werden. Und nicht wenige glauben, dass man zumindest darüber diskutieren können muss. Genau das erleben transgeschlechtliche Menschen tagtäglich und meist bleibt im Alltag gar nicht die Zeit und die Kraft, sich zu wehren.

Wenn so etwas so im öffentlichen Raum passiert ist, ist mensch einfach nur froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Diese unzähligen Mikroaggressionen sind es, die auf Dauer mürbe machen und die wir endlich als das begreifen müssen, was sie sind: verbale psychische Gewalt.

"Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, Unterschiede zu negieren. Wir sind alle unterschiedlich."

Zudem sind diese Mikroaggressionen auch nichts anderes als cis Sexismus und somit eine weitere Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, basierend auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit, mit der versucht wird, solches Verhalten zu rechtfertigen.

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, Unterschiede zu negieren. Wir sind alle unterschiedlich. Es gibt blonde Frauen und rothaarige Frauen, es gibt Frauen, die das Herz am rechten Fleck haben und es gibt Frauen, die vom Hass zerfressen sind, es gibt schlanke und füllige, junge und alte Frauen, es gibt gebärfähige Frauen und Frauen in der Menopause. Es gibt Frauen mit xx Chromosom, die trotzdem einen männlichen Testosteron-Spiegel haben, und es gibt XXY-Frauen und Frauen mit XY, es gibt Frauen mit Prostata und Frauen mit einem nach innen gerichteten Hoden.

Aber im Alltag sind diese körperlichen Unterschiede meist völlig irrelevant und selbst im medizinischen Kontext, zum Beispiel beim Zahnarzt oder bei einem Virusinfekt, spielen sie oft überhaupt keine Rolle. Doch so verschieden wir sind – wir alle sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

"Ich werde niemals die Einstellung akzeptieren, dass wir uns einfach mit Transfeindlichkeit abfinden müssen."

Und wie beim Sexismus und bei geschlechtsspezifischer Gewalt ist es auch bei Transfeindlichkeit keine Lösung, zu sagen, dass trans Menschen sich einfach anpassen müssen, damit uns nichts passiert. Auch werde ich niemals die Einstellung akzeptieren, dass wir uns einfach mit Transfeindlichkeit abfinden müssen.

Es ist weder die alleinige Aufgabe von Frauen noch die von trans Personen, sich gegen diese Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen zu wehren. Nein, es ist unser aller Aufgabe, die Ideologien der Ungleichwertigkeit zu erkennen, als solche zu benennen und uns gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu wehren.

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