Özil geht, der Hambacher Forst bleibt, Chemnitz schreckt auf – 2018 war turbulent. Auch für uns: watson.de startete im März. Auf einige Geschichten sind wir seitdem besonders stolz. Wie auf diese hier:
Für die AfD ist es das Thema. Der Migrationspakt. Seit Wochen die scheinbar perfekte Werkstatt, um Mythen am Fließband zu produzieren. Mal ist er Staatsstreich von oben, mal "Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge".
Die AfD versucht alles, um aus einem internationalen Abkommen ein nationales Gespenst zu machen.
Besonders eine Behauptung ist in der AfD-Argumentation gegen den Pakt zentral: Er sei in geheimen Hinterzimmern ausgehandelt, an Öffentlichkeit und Bundestag vorbei und wie eine Art Naturkatastrophe über Deutschland hereingebrochen. Dank der AfD sei das nun alles öffentlich.
So verbreitet es die AfD auf ihrer Migrationspakt-Stoppen-Seite. So erzählt man es sich im AfD-Milieu. Ununterbrochen.
Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Stefan Liebich, erinnerte nun im Bundestag die AfD-Abgeordneten daran, dass alle Fraktionen bereits im Mai des Jahres eine Einladung von den Vereinten Nationen erhalten hätten. Thema war der Migrationspakt. Die AfD habe diese Einladung allerdings ausgeschlagen.
Mehr noch: Liebich zitierte aus einer E-Mail des AfD-Abgeordneten im Auswärtigen Ausschuss, Petr Bystron, an die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen. Die wollte der Einladung der UN zur Anhörung folgen und hatte einen Reiseantrag über den Auswärtigen Ausschuss gestellt. Bystron lehnte den Antrag der Linken-Abgeordneten jedoch ab.
Das konnte Bystron deshalb, weil er für die AfD als sogenannter Obmann im Auswärtigen Ausschuss sitzt. Grundsätzlich müssen Einzeldienstreisen beim Bundestagspräsidenten beantragt werden. Alle sechs Parteien sowie die Vorsitzenden des jeweiligen Ausschusses müssen zustimmen, damit der Bundestagspräsident den Antrag genehmigen kann. Sagt einer nein, dann wird die Reise nicht genehmigt. Das Vetorecht obliegt den jeweiligen Obmännern der einzelnen Parteien im Ausschuss.
Stefan Liebich zitierte nun im Bundestag aus dem Ablehnungsbescheid: „Ich sehe keinen Nutzen für den Auswärtigen Ausschuss in dieser Reise“, heißt es darin. Die AfD habe damals die Relevanz des Migrationspakts nicht nur nicht verstanden, sondern sogar verhindern wollen, dass Abgeordnete aus Deutschland dazu ihre Meinung einbringen, sagte Liebich.
Nach der Rede Liebichs im Bundestag erzählt Bystron dann eine andere Version. Via Twitter meldet er sich mit einer Videobotschaft zu Wort. Die Behauptungen Liebichs seien für ihn "Wahrheitverdrehung". Liebich habe die wichtigen Zitate ausgelassen und damit den Sinn der E-Mail komplett verdreht. Er habe die Dienstreise der Kollegin Dagdelen gar nicht abgelehnt. Es handele sich um eine "Verweisung" an einen anderen Ausschuss.
Nicht abgelehnt? Aus dem Zusammenhang gerissen? watson liegt der Ablehnungsbescheid im Auftrag des AfD-Abgeordneten Petr Bystron vor.
Bystrons zentrales Argument: Der Migrationspakt werde federführend vom Ausschuss für EU-Angelegenheiten behandelt und müsse dort beantragt werden.
Nein, sagt der Sprecher des EU-Ausschuss-Vorsitzenden Gunther Krichbaum (CDU/CSU). "Das ist schlicht falsch. Wir hatten da nie die Federführung". Die liege beim Auswärtigen Ausschuss. Welcher Ausschuss bei welchem Thema federführend ist, entscheide nicht die AfD, sondern der Ältestenrat. Und beim Migrationspakt habe die Federführung der Auswärtige Ausschuss.
Sevim Dağdelen ist im Übrigen trotzdem in die USA geflogen. Die Reisekosten hat letztlich die Fraktion übernommen.