An der Rückwand eines Gebäudes am Tempelhofer Feld in Berlin ist das Porträt eines Mannes auf gelb-rotem Hintergrund aufgemalt. Der Mann trägt Glatze und Bart, schaut ernst geradeaus, ein Palästinensertuch um den Hals.
Das Gemälde zeigt den Berliner Intensivtäter Nidal R.
Nidal wurde einige Tage zuvor in der Nähe des Wandbildes von bisher Unbekannten vor den Augen seiner Frau und den zwei Kindern niedergeschossen. Der Berliner wurde 36 Jahre alt.
Nidal R.'s Fall gewährt einen Blick in die Untiefen der so genannten Clan-Kriminalität in Deutschland. Kriminelle arabische Großfamilien sind schon seit vielen Jahren in deutschen Großstädten aktiv. Lange waren diese aber nur der Berliner, Bremer oder Essener Unterwelt und Polizei bekannt.
Seitdem Bushido sich öffentlich mit Geschäftsfreund Arafat Abou-Chaker zeigte und spätestens seit der preisgekrönten TV-Serie "4 Blocks" mit Schauspieler Khida Kodr Ramadan und den Rappern Veysel und Massiv werden Clan-Geschäfte und Strukturen aber auch in der Öffentlichkeit thematisiert.
Dabei ist die TNT-Serie zwar nah an der Realität, allerdings sympathisiert der Zuschauer fast immer mit den Gangstern aus Neukölln. Egal, wie brutal es wird. Das dürfte in der Realität und der Bevölkerung anders aussehen.
Nidal wird in Berlin groß, er und seine restliche Familie sind als Palästinenser in den Libanon geflüchtet. Anfang der Neunziger Jahre kommen sie aus Beirut nach Deutschland.
In Berlin ist Nidal eine gewisse Größe, wenn man so will. Im Milieu soll er der "Löwe" oder "Panzer" genannt worden sein. Der Berliner gilt dort und bei der Polizei als hochaggressiv, im Laufe seines Lebens macht er sich viele Feinde. Denn Nidal soll mit verschiedenen Clan-Mitgliedern wechselnde Allianzen gepflegt haben. Zuletzt wurde er mit Arafat Abou-Chaker in Verbindung gebracht. Außerdem soll Nidal Rivalen direkt und offen den Kampf angesagt haben.
Über Nidal wird schon als Kind unter dem Namen "Mahmoud" öffentlich berichtet. Das erste Mal aktenkundig wird er bereits mit zehn Jahren. Er hatte mit zwei anderen Jungs ein Kind verprügelt. Als er elf Jahre alt ist, kommen Raub und Körperverletzung hinzu. Dann sticht Nidal einem Jugendlichen mit einem Messer in den Rücken. Da ist er 14 Jahre alt.
Im Laufe seines Lebens sammelt Nidal eine Vielzahl von Anzeigen, wegen ihm wird 2003 in der Berliner Staatsanwaltschaft sogar eine eigene Intensivtäter-Abteilung gegründet.
2004 soll Nidal in den Libanon abgeschoben werden, die Abschiebung scheitert, da das Land für ihn keinen Ausweis stellt. Der Libanon stellt Geflüchteten nur ein so genanntes "Document des Voyages" aus, um sie von den eigenen Bürgern zu unterscheiden. Nidal gilt in Deutschland daher als staatenlos. In der libanesischen Botschaft soll es ein eigenes Aktenzeichen zu Nidal geben.
Am 09. September ist Nidal R. mit seiner Frau und den zwei Kindern am Rande des Tempelhofer Feldes in Berlin unterwegs. Gegen 17:40 Uhr laufen mehrere Männer direkt auf ihn zu, acht Schüsse fallen. Vier der Schüsse treffen Nidals innere Organe. Er bricht neben einem mobilen Eiswagen an der Oderstraße zusammen.
Die Täter flüchten in einen in der Nähe abgestellten PKW, der nur wenige Tage später von Unbekannten angezündet wird. Der PKW trägt zu dem Zeitpunkt ein nicht mehr gültiges Kennzeichen.
Nidal wird ins Steglitzer Benjamin-Franklin-Krankenhaus gebracht, vor dem Eingang des Krankenhauses stehen mehr als hundert Personen aus dem Milieu, die den anwesenden Journalisten wohl Drehverbot erteilen. Sie sollen das Pflegepersonal bedroht und zeitweise die Rettungsstellenanfahrt blockiert haben. Deswegen sperrt die Polizei das Krankenhaus ab.
Kurz darauf veröffentlichen Freunde und Familie des Getöteten auf Facebooks Fotos von Personen, die sie als Täter beschuldigten. Unter dem Post von Nidal R.'s Bruder finden sich viele Kommentare, einige meinen, die Namen der Abgebildeten zu kennen. Mittlerweile ist der Post gelöscht.
Andere schwören Rache:
Über das Motiv, Nidal R. zu töten, gibt es zahlreiche Spekulationen. Von einem Streit auf einer Hochzeit ist in einigen Berichten die Rede, andere vermuten rivalisierende Clans hinter der Tat, wieder andere sagen, Tschetschenen hätten Nidal R. umgebracht. Momentan ist noch nichts klar, auch weil Nidal sich im Laufe seines Lebens viele Feinde gemacht hatte.
Nidal R. wird am Donnerstag, den 13.09. auf einem Schöneberger Friedhof beigesetzt. An die 2.000 Gäste kommen zur Trauerfeier, 50 Polizisten regeln den Ablauf der Beerdigung.
Unter den Trauergästen befinden sich auch viele Mitglieder und Oberhäupter der größten Clans Deutschlands. Milieukenner vermuten, dass die Clan-Chefs damit wohl vor allem eines signalisieren wollen: Sie haben mit der Tat nichts zu tun. Dabei handele es sich bei einigen aber um eine Verschleierungstaktik, der Auftraggeber des Mordes sei bei der Trauerfeier sicher dabei gewesen.
Auf der Beerdigung in Berlin-Schöneberg befinden sich mindestens drei Oberhäupter der größten arabischen Clans in Deutschland. Mitglieder der Familie Abou-Chaker, Remmo und al-Zein.
Die Vorwürfe gegen diese Familien sind vielfältig: Schutzgelderpressungen, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, einige von ihnen sind im Rotlichtmilieu aktiv.
Clans gibt es so einige in Deutschland, arabische Großfamilien auch. In den Achtzigerjahren kamen viele als Asylbewerber nach Deutschland, bekamen keine Ausweispapiere oder Arbeitserlaubnis, wurden kriminell. Viele haben sich wieder von kriminellen Geschäften entfernt, andere sind bis heute aktiv.
Hinweis: Nicht alle Menschen, die die folgenden Nachnamen tragen, sind kriminell, nicht alle Mitglieder der hier genannten Familiennamen sind polizeilich in Erscheinung getreten. Die Anwälte der Angeklagten argumentieren oft, dass es sich bei den Namen Miri, al-Zein oder Remmo um gängige arabische Nachnamen handele, die Clan-Strukturen von der Polizei und Medien konstruiert wären. Allerdings ist sowohl die Verwandschaft einiger Angeklagter nachweisbar, als auch die Masse an Straftaten einiger Familienmitglieder eindeutig.
In Berlin sollen mehrere hundert Mitglieder der Abou-Chaker-Familie leben. Sie sind staatenlose Palästinenser, in Berlin und im Libanon aktiv.
Arafat Abou-Chaker war viele Jahre Geschäftspartner von Bushido, beide waren in Immobiliengeschäften aktiv, hatten sich Generalvollmachten ausgeteilt. Bushido verkündet im März diesen Jahres, dass er sich von Arafat getrennt habe. Er spricht in aktuellen Interviews davon, wie er unter Arafat "nichts zu melden hatte".
Rapper Kay One (unten rechts auf dem Bild) hat sich bereits 2013 von dem Clan medienwirksam getrennt.
Nidal R. soll sich zuletzt vor seinem Tod an die Seite von Arafat Abou-Chaker gestellt haben.
Sie werden manchmal auch "Rammo" geschrieben, gelten als eine der umtriebigsten Kriminellengruppen Berlins. Der Clan ist vor Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen. Nidals hier abgekürzter Nachname lautet nicht Remmo.
Bushido hat nun nach seiner Trennung von Arafat Abou-Chaker bei Ashraf Remmo, einem jüngeren Bruder von Issa, Schutz gefunden. Angeblich, so Bushido, nur wegen der guten Kontakte von Ashraf ins Musikbusiness. Denn Ashraf ist offiziell Gastronom, soll aber jahrelang Manager des Deutschrappers Massiv gewesen sein. Genau, der Massiv, der aktuell auch "4 Blocks" neben Veysel und Kida Khodr Ramadan mitspielt.
Ein kurdisch-libanesischer Clan, aktiv vor allem in Berlin und im Ruhrgebiet. Die Familie soll tausende Mitglieder haben, das Netzwerk reicht bis in den Nahen Osten.
Bei dem Überfall auf das Kaufhaus des Westens 2014 soll auch ein Mitglied der Miri-Familie dabei gewesen sein.
Neben diesen vier Clans gibt es noch einige andere Familiennamen wie Chahrour oder Omeirat, bei denen viele Mitglieder mit Clan-Kriminalität in Verbindung gebracht werden. In genau diesem Umfeld bewegte sich auch der verstorbene Nidal R.
Nidals Familie gilt zwar auch als arabischer Clan, ist allerdings im Verhältnis zu anderen kriminellen Großfamilien eher klein. Szenekenner sagen, für Familien wie der von Nidal ist es üblich, sich je nach Bedarf und Lage an verschiedene andere Clans anzudocken, um sich Schutz vor rivalisierenden Clans zu schaffen und kriminelle Geschäfte zu tätigen.
Ermittler versuchen herauszufinden, wer für Nidal R.'s Tod verantwortlich ist. Die Staatsanwaltschaft war für eine schriftliche Stellungnahme nicht zu erreichen. Am Telefon hält sich Pressesprecher Martin Steltner mit genauen Aussagen zurück, vor allem zum aktuellen Ermittlungsstand könne er nichts sagen.
Die Berliner Polizei teilt Nachfrage mit, dass Ende September 20 Hinweise zur Tat am Tempelhofer Feld eingegangen sind. Für Angehörige von Nidal R. habe es Gespräche und Hilfsangebote gegeben. Wie es weitergeht, ob die Polizei von Racheakten oder einer Gewalt-Eskalation ausgeht beantwortet eine Sprecherin der Polizei so: "Wir sind sehr aufmerksam und tun alles, um eine Eskalation zu vermeiden. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen."
Das Porträt von Nidal R. wurde an einem frühen Freitagmorgen übermalt. Die Betreiber des Gebäudes, auf dessen Rückwand Nidal R. gepinselt war und die Berliner Senatsverwaltung wollten nicht, dass ein Intensivtäter heroisiert wird. Unter Schutz von 15 Polizisten rückten die Maler mit ihren Farbrollen an. Nidal R. ist an der Stelle in Neukölln nicht mehr zu sehen. Jetzt ist dort einfach eine hellgraue Wand.