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Horst Seehofer: Warum reden alle ständig über ihn?

German Interior Minister Horst Seehofer speaks during a press conference after a meeting with French Interior Minister Gerard Collomb in Paris, Thursday, April 12, 2018. (AP Photo/Michel Euler)
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Analyse in 8 Schritten: Warum reden alle ständig über Horst Seehofer? 

04.05.2018, 06:48
jonas schaible
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Der Innenminister präsentiert die Bilanz seiner ersten Wochen – und sich als nachdenklichen Kümmerer. Als er über die Vorfälle in Ellwangen spricht, wählt er drastische Worte.

Es ist noch gar nicht lange her, da sah es so aus, als stehe Horst Seehofer vor den Trümmern seiner Karriere. Er schaffte es nicht, bayerischer Ministerpräsident zu bleiben, und er schaffte es noch nicht einmal, einen Wunschnachfolger zu küren. Markus Söder war zu stark, zu gut vernetzt, zu entschlossen. Seehofer musste sich fügen.

Den Parteivorsitz durfte er behalten, aber es war klar, dass er nur in einer großen Koalition ein wichtiges Amt bekommen könnte – und selbst da war bis zum Schluss unklar, ob die CSU ein Ministerium würde abgreifen können, das einem von Seehofers Rang gemäß wäre.

Aber Seehofers Karriere ging nicht zu Ende. Im Gegenteil. So sichert sich der Innenminister Aufmerksamkeit und Macht.

Seehofer ist für seine Sprüche bekannt

So kamen dann mehr als 50 Journalisten ins Innenministerium, als Seehofer zum Pressegespräch lud. Obwohl die Ankündigung denkbar unkonkret klang. Thema: "Heimat, Bau, Migration und Sicherheit". Also alles, wofür das Ministerium zuständig ist. Niemand wusste, was zu erwarten war, aber weil von Seehofer Journalisten immer Zitierfähiges erwarten, war der Saal voll.

Anderthalb Stunden lang sprachen Seehofer und seine fünf verbeamteten Staatssekretäre über die ersten Wochen im neuen Haus und ihre Pläne. Wie groß Seehofers Rolle in diesem Kabinett ist, ist die erste Erkenntnis dieser Runde.

Aber bei weitem nicht die einzige.

Er setzt viel in sehr kurzer Zeit um

Das Ministerium, das neue Zuständigkeiten bekommen hat, von 1.600 auf 2.000 Mitarbeiter gewachsen ist und dessen Etat um rund 50 Prozent erhöht wurde, sei fertig umgebaut, sagte Seehofer. Nach wenigen Wochen. Eine Liste mit sicheren Herkunftsstaaten sei fast fertig; eine Regelung für den Familiennachzug von subsidiär Geschützten ist gefunden; das Baukindergeld soll bald kommen; im Sommer sollen die ersten Asyl- und Abschiebezentren eröffnen; und ein Masterplan für Abschiebungen sei auch in Planung.

Seehofer treibt viele Großprojekte schnell voran. Der Staat soll wieder zeigen, dass er handlungsfähig ist. Da verfolgt er denselben Kurs wie sein Gegner und Parteifreund Markus Söder in Bayern.

Aber seine Vorstellung von Heimat bleibt vage

Die Frage, wofür es ein Heimatministerium braucht und was Heimatpolitik im Alltag ist, wird Seehofer nicht beantworten: „Wir verstehen uns als konzeptionelle Abteilung Heimat“, sagte er. Heimatpolitik bleibt also vage. Die Abteilung soll Informationen sammeln, Konzepte erarbeiten. Die konkreten "operativen Maßnahmen" sollten dann andere Ministerien planen.

Baukindergeld – viel Geld auf Verdacht

Details wollte Seehofer nicht nennen, aber das von der Union geforderte Baukindergeld soll bald kommen. Pro Kind und Jahr 1.200 Euro für Eltern, die ein Haus bauen und deren Einkommen unter einer bestimmten Schwelle liegen. Man rechne mit rund 200.000 Familien pro Jahr, die Anspruch haben, sagte Baustaatssekretär Gunther Adler.

Das erklärte Ziel: Mehr Menschen sollen sich Wohneigentum bauen. Nur: Ob es Familien gibt, die sich für Hunderttausende Euro ein Haus bauen, und die ohne den im Verhältnis geringen Zuschuss von bis zu 12.000 Euro nicht gebaut hätten – das weiß das Ministerium nicht. Es existieren keine Umfragen, keine Schätzungen.

Die Regierung gibt trotzdem viel Geld aus: Für das Jahr 2018 sind 400 Millionen Euro vorgesehen. Auf Verdacht.

Asylzentren schon bald in mehreren Bundesländern

Das Innenministerium arbeitet an Asylzentren, die Ankerzentren heißen, wobei "Anker" für "zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen" stehen soll. Heißt: Dort werden Asylbewerber untergebracht, bis über ihren Antrag entschieden ist. Und von dort werden sie direkt abgeschoben, wenn er abgelehnt wird. Die Pläne wurden jetzt konkreter: Man rechne mit 1.000 bis 1.500 Menschen pro Zentrum. Das Ministerium hat versprochen, die Länder zu unterstützen.

Es soll in mehreren Bundesländern Zentren geben; man hätte gern Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und ein ostdeutsches Bundesland, sagte Staatssekretär Helmut Teichmann; ab Juli oder August solle eine sechsmonatige Pilotphase starten.

Eines der großen Ziele der Regierung: Viel schneller über Asylanträge entscheiden und schneller abschieben. Warum, das erklärte Seehofer auch: Wenn jemand jahrelang in einem Dorf gelebt habe, sei es schwer, ihn loszuwerden, "weil dann ja auch Solidaritäten erwachsen". Klarheit von Anfang an sei wichtig, „um all diese schrägen Lagen, die sich im Laufe der Jahre ergeben“, zu vermeiden.

Heißt: Die Gesellschaft soll sich nicht in die Verlegenheit bringen, Mitgefühl und Zutrauen für Flüchtlinge zu empfinden.

Inneres ganz zum Schluss

Seehofer sprach über vier Themen: Heimat, Bauen, Migration und Sicherheit. In dieser Reihenfolge. Innere Sicherheit, die eigentliche Zuständigkeit des Innenministeriums, kam ganz zum Schluss und bekam am wenigsten Raum. Nur kurz ging es um Cybersicherheit. Überwachung, Schutz vor Gewalt und mehr Polizei kamen nur im Zusammenhang mit Flüchtlingen zur Sprache. Seehofer stellt die neuen Themen nach vorn. Sie sind derzeit offenbar wichtiger. Obwohl die Union sich gern als Partei der inneren Sicherheit inszeniert.

Seehofer hat zwei Gesichter

Seehofer bekommt auch deshalb so viel Aufmerksamkeit (siehe 1.), weil er provoziert und polemisiert: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", proklamierte er in der Woche seines Amtsantritts. Jetzt sagte er zu den Vorfällen in Ellwangen, wo Flüchtlinge vor einigen Tagen die Polizei daran hinderten, einen Mann aus Togo abzuschieben: "Das ist ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung." Wenn er so redet, jubeln seine Anhänger, und seine Gegner schäumen. Das ist der Krawall-Seehofer.

Dann gibt es aber auch den nachdenklichen Seehofer, der so ruhig von einem "empörenden Sachverhalt" redet, dass er nicht wirkt, als habe er je echte Empörung empfunden. Der leise beteuert, er habe "Nulltoleranz gegenüber allen Formen der Radikalität, des Antisemitismus, der Ausländerhetze". Der sagt, "ich bitte Sie, Heimat nicht auf eine Sichtweise zu reduzieren."

Seehofer poltert nicht nur, er weiß auch, wie er die selbst erzeugte Aufregung wieder beruhigen kann.

Frauen spielen eine Nebenrolle

Seehofer ist für ein Foto massiv kritisiert worden, welches die wichtigsten Mitarbeiter des Ministeriums zeigt: Darauf waren ausschließlich Männer zu sehen. Seehofer lobte sich jetzt dafür, eine Pressesprecherin eingestellt zu haben – und spielte auf das Foto an: Jetzt gebe es künftig auch wieder schönere Bilder, sagte er und kicherte. Das klang so, als sei die wichtigste Qualifikation der Frau, schön auszuschauen.

Er wolle den Frauenanteil erhöhen, "wo immer es möglich ist", sagte Seehofer weiter. Neben ihm saßen da seine fünf verbeamteten Staatsekretäre: allesamt Männer. Er habe doch jetzt die Sprecherin, sagte er, "das war die erste Möglichkeit." Man muss das so verstehen: Für die Staatssekretärsposten soll es unmöglich gewesen sein, eine Frau zu finden.

Frauen spielen in Seehofers Ministerium immer noch eine Nebenrolle.

Dieser Artikel erschien zuerst auf t-online.de.

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