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Kirchenasyl: Hausdurchsuchungen gegen 5 Pfarrer im Rhein-Hunsrück-Kreis

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Immer wieder suchen Geflüchtete in Kirchen und Gemeinden Schutz.Bild: imago stock&people
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Weil 5 Pfarrer Geflüchteten halfen, wurden nun ihre Häuser durchsucht

07.02.2019, 09:4107.02.2019, 12:50
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Christian Hartung will nur schnell ein paar Besorgungen machen und ist schon wieder auf dem Heimweg, als seine Frau ihn anruft. Sie bittet ihn am Telefon, im Gemeindebüro vorbeizuschauen. Die Ermittler der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach sind bereits da. Hartung bittet die Beamten in einen separaten Raum, sie zeigen ihm die Durchsuchungsbeschlüsse.

Der 55-Jährige Christian Hartung ist Pastor im rheinlandpfälzischen Kirchberg. Neben Hartung geraten am vergangenen Donnerstag im Rhein-Hunsrück-Kreis auch weitere vier Pastorinnen und Pastoren ins Visier der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Zeitgleich werden drei Gemeinden der evangelischen Landeskirche und eine freie evangelische Gemeinde durchsucht.

Kirche vs. Landrat

Die Hausdurchsuchungen sind nur das vorerst letzte Kapitel eines Streits zwischen den Kirchen und dem Landrat, Marlon Bröhr (CDU), im Rhein-Hunsrück-Kreis. Die Gemeinden hatten Geflüchteten aus Sudan im vergangenen Jahr sogenanntes Kirchenasyl gewährt. Die sollten allerdings entsprechend der Dublin-III-Verordnung in das europäische Land zurück, das sie bei ihrer Flucht zuerst betreten hatten. In Italien aber hätte den Asylsuchenden eine Abschiebung in die Bürgerkriegsregion Darfur gedroht. Die Gemeinden gewährten Kirchenasyl, verhinderten die Abschiebung, der Landrat erstattete Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft leitete darauf ein Ermittlungsverfahren ein. Der Vorwurf gegen die zwei Pfarrerinnen und drei Pfarrer lautet: "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt". 

Am Donnerstag dann durchsuchte die Polizei mit richterlichem Beschluss die Dienst- und Privaträume der Pastoren.

Was war nochmal Kirchenasyl?
Kirchenasyl ist kein Recht im juristischen Sinne. Es schützt rein rechtlich gesehen nicht vor einer Abschiebung. Der Staat berücksichtigt allerdings das besondere Asyl der Kirchen unter bestimmten Bedingungen. Im Jahr 2015 wurde zwischen dem Bundesamt für Migration und der katholischen und evangelischen Kirche eine Vereinbarung getroffen, wonach besondere Härtefälle berücksichtigt werden. Die Kirchen müssen dies schriftlich in einem Dossier begründen. Das wiederum wird vom Bundesamt geprüft. Das Kirchenasyl ist nicht unumstritten: In den vergangenen Monaten gerät es von Politik und Behörden vermehrt unter Druck. Innenminister Horst Seehofer hatte im Sommer 2018 mit einem Erlass die aufschiebende Wirkung von Kirchenasyl erschwert. Zuvor reichten sechs Monate in Kirchenasyl aus, um Geflüchtete vor einer Abschiebung in ein anderes EU-Land zu bewahren. Diese Frist wurde auf 18 Monate verlängert. 

Die Kirche reagiert mit scharfer Kritik auf die Hausdurchsuchungen: Die Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche", Dietlind Jochims, kritisierte, es sei eine rote Linie überschritten. Mit der Aktion werde einmal mehr die Kriminalisierung von Kirchenasyl demonstriert. "Wir sind entsetzt über die jetzt erfolgte weitere Eskalationsstufe und halten ein solches Vorgehen für vollkommen unverhältnismäßig", sagte sie. Und die "Evangelische Kirche im Rheinland" lässt mittlerweile eine eigene Beschwerde gegen die Durchsuchungsaktion prüfen, da sie befürchtet, dass sensible Seelsorge-Daten beschlagnahmt worden sein könnten.

Ermittler durchsuchen auch Privaträume

Für den betroffenen Pfarrer Christian Hartung kommt das alles sehr überraschend. "Ist das wirklich nötig?“, fragt er sich. "Ich werde jetzt immer wieder gefragt, was genau man eigentlich bei uns finden wollte." 

Die Ermittler durchsuchen neben dem Pfarrhaus auch Privaträume Hartungs. Sie beschlagnahmen Ordner, Protokollbücher und Daten auf Computern. Einem Kollegen sei auch das Handy weggenommen, schildert Hartung.

"Ich frage mich auch, ob derartige Aktionen in diesen ohnehin schon aufgeladenen Zeiten nicht eher für Unruhe und Unsicherheit in der Bevölkerung sorgen?", sagt Hartung.

Den Landrat habe man im Vorfeld um Gespräche gebeten. Darauf sei dieser nach einer ersten Begegnung aber nicht mehr eingegangen, sagt Hartung. Die Landesregierung hatte sich sogar eingeschaltet und einen Mediator bestellt, um zwischen Gemeinden und Landrat zu vermitteln. Doch der Landrat lehnte ab. "Wir haben immer das Gespräch gesucht. Die Kirchenasyle haben wir von Anfang an mit einem Gesprächs- und Kooperationsgebot verbunden“, beteuert Hartung.

Wie viele Menschen betrifft Kirchenasyl?
Für das Jahr 2018 gingen beim Bundesamt für Migration 1.521 Kirchenasylmeldungen für 2.273 Personen ein. 2017 waren es 1.561 gemeldete Kirchenasyle für 2.038 Personen. Für 2019 liegen beim Bamf noch keine Zahlen vor. Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" spricht von aktuell 532 Kirchenasylen mit mindestens 855 Personen, davon etwa 190 Kinder. 486 der Kirchenasyle seien sogenannte Dublin Fälle. 

Landrat Marlon Bröhr wollte sich auf Nachfrage nicht zu den aktuellen Ermittlungen äußern: "Ich werde die Arbeitsweise der Justiz nicht kommentieren! Das ergibt sich aus der Gewaltenteilung", teilt er watson mit.

Das sagt die Staatsanwaltschaft 

Michael Brandt, Leitender Oberstaatsanwalt in Bad Kreuznach, allerdings wehrt sich gegen den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit. Seit September habe man um Unterlagen gebeten, die zur Aufklärung des Falles beitragen sollten. Seit September sei nichts passiert. "So dass wir keine andere Möglichkeit gesehen und richterliche Beschlüsse bewirkt haben, die dann vollstreckt wurden." Auch würde man von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht das Kirchenasyl kriminalisieren. 

Dem Verdacht einer Straftat und der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, müsse man nachgehen, begründet Brandt die Vorgehensweise. "Wir haben mitgenommen, was gegebenenfalls relevant ist, das muss jetzt ausgewertet werden. Mit welchem Ergebnis ist völlig offen“, sagt er watson.

Auch Christian Hartung bleibt erstmal nur die Möglichkeit abzuwarten. Zumindest die Reaktionen in der Gemeinde seien durchweg positiv, sagt er. "Wenn wir auf der Straße angesprochen werden, dann mit Solidaritätsbekundungen."

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Video: watson/Katharina Kücke

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