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Coronavirus: Söder souverän, Laschet "Lusche" – Experten zu Verhalten in der Krise

Die Corona-Krisenmanager: Markus Söder, Angela Merkel und Jens Spahn.
Die Corona-Krisenmanager: Markus Söder, Angela Merkel und Jens Spahn. Bild: Getty/imago images / Sven Simon/IPON/phototek
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Coronavirus: Experten beurteilen Krisenmanagement von Merkel, Söder, Spahn

20.03.2020, 16:56
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Die Corona-Krise ist für alle eine ganz neue Herausforderung. Das gilt auch für die Entscheidungsträger. Spitzenpolitiker haben gerade jetzt eine große Verantwortung. Sie müssen abwägen zwischen harten, aber notwendigen Maßnahmen auf der einen Seite – und der Vermeidung von Panik und Fatalismus in der Bevölkerung auf der anderen Seite.

Wie schneiden deutsche Politiker dabei ab? Treffen sie den richtigen Ton, das richtige Maß? Oder widersprechen sie sich selbst und wirken in der Krise überfordert?

Watson hat bei Experten nachgefragt, die Auftreten und Handeln der wichtigsten Akteure beurteilen.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Die Kanzlerin hielt am Mittwochabend eine Fernsehansprache:

Abgesehen von den jährlichen Neujahrsansprachen ist es das erste Mal in Merkels bald 15-jähriger Amtszeit, dass sich die Kanzlerin direkt in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung wendet.Video: YouTube/tagesschau

Klaus Schroeder, Politikwissenschaftler: "Angela Merkel hat in ihrer TV-Ansprache zusammengefasst, was ohnehin bekannt ist. Neue Maßnahmen wie zum Beispiel eine Ausgangssperre hat sie nicht verkündet. Mein Urteil: Die Rede hätte sie sich schenken können! Merkel spielt gerade ohnehin nur eine Nebenrolle. Sie hätte wahrscheinlich schneller und härter reagieren sollen, aus Italien hätte man doch lernen können. Aber vermutlich würde man ihr das nicht abnehmen. Es ist einfach nicht ihre Art, sie ist nicht der Typ dafür. Ihr steht es nun mal besser, an die Solidarität und den Zusammenhalt zu appellieren. Aber in der Krise erwarten die Leute vor allem Entschlossenheit und Tatkraft von den Politikern."

Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin: "In ihrer ersten Nichtweihnachts-Fernsehansprache hat Bundeskanzlerin Merkel nicht nur den richtigen Ton getroffen, sondern die richtigen Inhalte vermittelt. Keine unangemessene Kriegsrhetorik wie die Präsidenten Trump und Macron – wir sollen uns schließlich nicht zusammenrotten und in die Fremde ziehen, sondern genau das Gegenteil tun: Möglichst zuhause bleiben und auf Abstand zu anderen gehen. Die Bundeskanzlerin hat aber nicht nur appelliert, sondern unmissverständlich Zusammenhänge dargestellt. Das war entgegen mancher Kommentare kein zürnender 'Mutti-Stil', sondern die richtige Mischung aus klarer Ansage und dem dringenden Appell an Vernunft und Solidarität.

Auch zuvor hat die Kanzlerin sich nicht zu spät, sondern meines Erachtens zum richtigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gewandt. Ihr sachlicher Hinweis – unter Bezug auf das RKI –, dass voraussichtlich zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung angesteckt werden könnten, war sinnvoll."

Rhetorik-Experte Jürgen Hall: "Angela Merkel wirkt in der Corona-Krise eher beruhigend. Ihr ist kaum anzumerken, dass es sich gerade um eine besonders kritische Situation handelt, die auch sie so noch nicht kennt. Sie wirkt unaufgeregt, als würde es sich um Routine handeln. Kurzum: Sie agiert so, wie wir es seit 14 einhalb Jahren von ihr kennen."

Markus Söder, Ministerpräsident Bayern

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Bild: imago images / Sven Simon
"Söder tritt wirklich souverän auf und ist extrem anpassungsfähig"

Politologe Schroeder: "Markus Söder schafft es am besten, Souveränität und Tatkraft auszustrahlen. Er tritt wirklich souverän auf und ist extrem anpassungsfähig. Er spielt ganz staatsmännisch den Winston Churchill: 'Blut, Schweiß und Tränen, wir müssen da jetzt durch!' Flexibel war er ja schon immer – mal ist er der Hardliner, dann wieder der Bienenretter."

Politikwissenschaftlerin Münch: "Söder hat gegenüber den Bundespolitikern den Vorteil, dass er tatsächlich Verfügungskompetenzen hat und diese auch intensiv und früher nutzte als seine Kollegen aus den anderen Ländern. Bayern hat im Unterschied zu NRW den Katastrophenfall ausgerufen. NRW hat dies deshalb nicht getan, da dort offenbar viele Maßnahmen schon im Normalfall möglich sind.

Söder hat etwas geschafft, was ihm vor zwei Jahren kaum jemand zugetraut hätte: Er ist klar in der Vorgabe der Ziele und der Benennung der erforderlichen Maßnahmen, aber er vermittelt auch, dass ihm die Lage der Unternehmen einerseits und der vielen 'einfachen Leute' andererseits sehr bewusst ist. Er wirkt daher als kompetenter Krisenmanager und als fürsorgender Landesvater. Bayern ist – vor allem wegen seines Ministerpräsidenten – offenbar auch Vorbild für die anderen Landesregierungen."

Rhetorik-Experte Hall: "Söder macht sich gut in der Corona-Krise. Er wirkt wie ein Macher. Bei seinen Statements braucht er nicht unnötig viele Worte, um seine Punkte klarzumachen. Er erscheint unprätentiös und unaufgeregt. Von dem her, wie er auf die Menschen wirkt, ist das zielführend: keine Panik zu verbreiten, aber klarzumachen, dass man Maßnahmen ergreift.

Zur Pressekonferenz, in der Söder die Maßnahmen in Bayern verkündete: "Komisch ist, dass Söder seinen ersten Satz in der Pressekonferenz mit 'ich' beginnt. 'Ich verkünde Ihnen…' Egal, in welcher Rolle ich wäre, ich würde mein Statement nicht mit 'ich' anfangen. Die Corona-Krise ist ein 'wir'-Problem. Im Lauf seiner Rede sprach Söder dann auch in der 'wir'-Form.“

Als Söder die Corona-Maßnahmen verkündet, beginnt er mit "Ich". Video: YouTube/Bayern

Armin Laschet, Ministerpräsident NRW

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Bild: imago images / Future Image
"Armin Laschets Auftreten erinnert dagegen an eine Lusche"

Politologe Schroeder: "Armin Laschets Auftreten erinnert dagegen an eine Lusche. Er fühlt sich offenbar getrieben von Söder, weil der bei den Leuten besser ankommt. Das belegen ja die Umfragen. Laschet wirkt unentschlossen und fahrig."

Politikwissenschaftlerin Münch: "Laschet wirkt mit Blick auf Anordnungen etwas zögerlicher als Söder. NRW hat offenbar auch noch nicht das ganz große Krisenmanagement gestartet – anders als Bayern. Aber: Laschet ist in seinen Ansagen über die Entscheidungen der Landesregierung sehr klar, er ist ebenfalls bereit, Maßnahmen gegebenenfalls bei Nichtbefolgung (zum Beispiel Spielplätze NRW) zu verschärfen. Er macht in seinen PKs immer wieder deutlich, dass die Politik direkt mit Wissenschaftlern zusammenarbeitet und sich auch nach deren aktuellen Erkenntnissen richtet."

Rhetorik-Experte Hall: "Laschet versucht, sich als Macher zu inszenieren und Klartext zu sprechen, schießt dabei jedoch über das Ziel hinaus. Er bezeichnete das Coronavirus zum Beispiel als 'unsichtbarer Gegner, dessen Bekämpfung unser Land an den Rand unserer Kräfte führen wird'. Das sind sehr martialische Worte, damit schürt Laschet nur Panik anstatt zu beruhigen, was sein eigentliches Ziel sein muss. An einer anderen Stelle bezeichnet er das Virus als 'heimtückisch'. Damit vermenschlicht Laschet das Coronavirus, das ist nicht zielführend und führt in den Köpfen der Menschen zu noch mehr Unsicherheit. Laschet vermischt auf komische Art und Weise das Martialische mit schlimmstem Politikersprech, wenn er etwa von 'Liquiditätskonflikten' und 'Herausforderung' spricht. Ich würde ihm empfehlen: Er muss sich vor seinen Statements bewusst sein, was der Anlass und das Ziel seiner Aussagen sein sollen. Da ist noch viel Luft nach oben."

Rhetorik-Experte Hall fand Laschet bei diesem Statements teils zu martialisch, teils zu sehr dem Politikersprech verfallen.Video: YouTube/phoenix

Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

German Health Minister Jens Spahn gives a statement in Berlin, Germany, February 26, 2020. REUTERS/Michele Tantussi
Bild: reuters / MICHELE TANTUSSI
"Spahn macht das Beste aus den vergleichsweise wenigen Kompetenzen des Bundes"

Politologe Schroeder: "Jens Spahn spielt den Seriösen. Er ist ja kein Fachmann, steht aber nun mal dem Ministerium vor, das in diesem Fall zuständig ist. Dafür macht er das auch ganz gut, man nimmt ihm seinen ernsten Blick ab."

Politikwissenschaftlerin Münch: "Der Bundesminister macht das Beste aus den vergleichsweise wenigen Kompetenzen des Bundes. Gemäß der föderalen Kompetenzverteilung und den Regelungen unter anderem im Infektionsschutzgesetz des Bundes kann er den Ländern Maßnahmen lediglich empfehlen, aber nicht anordnen. Aber er macht das auf sehr nachdrückliche und überzeugende Weise. Er kommuniziert angemessen und wirkt beratungsoffen gegenüber der Wissenschaft."

Rhetorik-Experte Jürgen Hall: "Spahn verkauft sich gut in der Corona-Krise, er ist ein souveräner Redner. Er macht einen unaufgeregten Job und vermittelt, alles im Griff zu haben. Komisch war sein Statement, in dem er verkündete, dass Deutschland am Anfang einer Epidemie stehe. Da hat er nicht gut gewirkt. Gleich im ersten Satz blickt Spahn zweimal nach unten auf sein Skript – und der war wirklich nicht schwer. Als Politiker sollte man zumindest den wichtigen, ersten Satz eines Statements auswendig können. Ansonsten wirkt das nicht gerade überzeugend, sondern eher, als hätte man Angst, einen Fehler zu machen."

Spahn bei seinem Statement, das Rhetorik-Experte Jürgen Hall kritisiert.Video: YouTube/faz

Peter Altmaier

13.03.2020, Berlin, Deutschland - Pressekonferenz: Corona und wirtschaftliche Auswirkungen. Foto: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU. *** 13 03 2020, Berlin, Germany Press conference Corona ...
Bild: imago images / Reiner Zensen
"Die Krise tut sogar dem sonst eher schwach wirkenden Wirtschaftsminister gut"

Politikwissenschaftlerin Münch: "Meines Erachtens tut die Krise sogar dem ansonsten eher schwach und selten überzeugend wirkenden Bundeswirtschaftsminister gut. Altmaier wirkt immer etwas bedächtig. Diese von ihm ausgehende Ruhe tut in der ganzen Aufregung zwar durchaus gut, kommt aber womöglich bei dem Teil der Bevölkerung, der nervöser wird, als eine gewisse Schwäche an. Die von ihm angekündigten Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmen, der Betriebe und ihrer Mitarbeiter usw. erscheinen mir schlüssig und zumindest im Augenblick angemessen.

Altmaier hat aber natürlich das Problem, dass er als Bundeswirtschaftsminister vor allem als zuständig für die großen Unternehmen wahrgenommen wird. Es ist meines Erachtens dringend erforderlich, gegenüber den vielen Gewerbetreibenden, Selbständigen, Freiberuflern deutlich konkreter zu werden – möglichst auch in gemeinsamen Erklärungen mit dem Bundesarbeitsminister. Hier müsste deutlich gemacht werden, welche Behörden für welche direkten Unterstützungsmaßnahmen zuständig ist."

Die Parteien außer der CDU/CSU

Politologe Schroeder: "Alle anderen Parteien außer der Union finden derzeit gar nicht statt. Von Olaf Scholz hört man gar nichts, geschweige denn von den SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Auch die Oppositionsparteien sind nicht zu sehen oder hören, weder die Grünen, die sich in die Büsche geschlagen haben, noch die FDP oder die AfD."

Die Europäische Union

Politologe Schroeder: "Der größte Verlierer ist die EU. Die hätte ganz schnell sagen müssen: Wir stehen zusammen und treffen gemeinsame Maßnahmen. Stattdessen macht jeder etwas anderes. Dabei ist doch abzusehen, dass Italien und Spanien EU-Gelder brauchen werden. Dieses Mal wird es keine Bankenrettung geben, sondern eine Staatenrettung. Man kann nur sagen: Gut, dass wir in den letzten Jahren in Deutschland keine Schulden gemacht haben."

Fazit

Politologe Schroeder: "Kennen Sie Carl Schmitt? 'Souverän ist, wer über Ausnahmezustand verfügt.' Daran muss ich in diesen Tagen denken. Das ist eine gefährliche Tendenz, wir müssen höllisch aufpassen. Wenn es hart auf hart kommt, ist sich wieder jeder selbst der Nächste und die Leute verlangen nach harten Maßnahmen, sie wollen Politiker, die Souveränität und Tatkraft ausstrahlen."

Rundfunkbeitrag: Das wollen die Grünen bei den Öffentlich-Rechtlichen ändern

Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) ist ein Thema, das viele Menschen bewegt und zu hitzigen Debatten führt. Insbesondere wegen der Rundfunkgebühren geraten die Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig ins Kreuzfeuer der Kritik. Die sich ständig verändernde Medienlandschaft rückt Diskussionen um die Rolle und Ausrichtung der Inhalte einmal mehr in den Vordergrund.

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