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AfD: Behauptungen zum Globalen Migrationspakt im Faktencheck

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Bild: screenshot/imago/montage: watson
Politik

Die AfD sagt, Merkel wolle alle Migranten weltweit ins Land lassen – der Faktencheck

Im Dezember wollen die Vereinten Nationen den Globalen Migrationspakt verabschieden. Die AfD verbreitet Behauptungen über den Migrationspakt und betreibt damit Wahlkampf für die hessische Landtagswahl. Der Faktencheck zeigt, dass viele der Behauptungen falsch sind.
26.10.2018, 11:0826.10.2018, 15:15
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Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen behauptet in einem Facebook-Post, Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle "allen Migranten weltweit den Zugang nach Deutschland ermöglichen". Um das zu verhindern, ruft der Politiker dazu auf, bei der hessischen Landtagswahl am Sonntag die AfD zu wählen. "Wählt Merkel ab, auch wenn sie gar nicht auf dem Stimmzettel steht", schreibt Meuthen.

Auch der offizielle AfD-Account teilte den Post:

Meuthens Post wurde mehr als 8.000 Mal geteilt.
Meuthens Post wurde mehr als 8.000 Mal geteilt.screenshot: facebook/afd

Das steckt hinter Meuthens Behauptung:

Es geht um den "Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration", den die Vereinten Nationen im Dezember auf einer Konferenz in Marokko verabschieden wollen.

Mit diesem Migrationspakt wollen die Vereinten Nationen die weltweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration verstärken. Der Pakt sei "ein Bekenntnis dazu, dass Migration eine globale Realität darstellt", erklärt der Sozialwissenschaftler Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn.

Was steht im Globalen Migrationspakt?

Der Migrationspakt besteht im Kern aus 23 verschiedenen Zielen, zu denen sich die Staaten bekennen, die den Pakt im Dezember verabschieden wollen.

Die Staaten wollen etwa:

  • Mehr Daten erheben, um Migrationspolitik aufgrund "nachweisbarer Fakten" zu gestalten.
  • Ursachen beseitigen, die dazu führen, dass Menschen ihre Herkunftsländer verlassen.
  • Verbesserte Wege zur regulären Migration zum Beispiel für Arbeitsmigranten schaffen.
  • Einen besser koordinierten Schutz der Grenzen.
  • Migranten einen Zugang zu Grundleistungen gewährleisten.
  • Diskriminierung von Migranten beseitigen.
  • Bekämpfung von Schleusern und Beseitigung von Menschenhandel.

"Der Pakt", erklärt Benjamin Schraven, "ist auch ein Bekenntnis dazu, irreguläre Migration mit all seinen negativen Begleiterscheinungen zu reduzieren". Das heißt: Die Staaten wollen weniger und nicht etwa mehr irreguläre Migration. Gleichzeitig sei der Pakt aber auch ein Bekenntnis dazu, "reguläre Migration ein Stück weit zu fördern und neue Möglichkeiten zu eröffnen".

Geht Deutschland durch den Migrationspakt irgendwelche Verpflichtungen ein?

Nein. Die Ziele, die in dem Migrationspakt festgelegt sind, sind lediglich freiwillige Selbstverpflichtungen. Bereits in der Einleitung des 32-seitigen Textes steht:

"Der Globale Pakt ist ein rechtlich nicht bindender Kooperationsrahmen [...]"

Weiter heißt es dort: "Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsgebietes in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln."

Sozialwissenschaftler Benjamin Schraven erklärt: "Der Globale Migrationspakt ist kein verbindliches internationales Vertragswerk, er ist lediglich eine nicht völkerrechtsverbindliche Konvention."

Ermöglicht der Migrationspakt Millionen Migranten den Zuzug nach Deutschland?

Diese Behauptung stellt nicht nur der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen auf. Auch mehrere Orts- und Landesverbände der AfD sowie diverse Rechtsextreme verbreiten dementsprechende Aussagen.

Die AfD Rheinland-Pfalz teilte etwa einen Artikel der rechtspopulistischen Plattform "Unzensuriert". In dem Post behauptet der AfD-Landesverband, durch den Migrationspakt sollten "zukünftig Millionen (insbesondere Schwarzafrikaner) nach Europa umgesiedelt werden".

Der Post der AfD Rheinland-Pfalz wurde mehr als 130 Mal geteilt:

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screenshot: facebook/afd-rheinland pfalz

Auf ihrer Website hat die AfD unter "www.afd.de/migrationspakt-stoppen" sogar eine eigene Unterseite eingerichtet, um gegen den Globalen Migrationspakt mobil zu machen. Dort wird etwa behauptet, der Pakt statuiere "eine Aufnahmepflicht für alle, die behaupten, Opfer des 'Klimawandels' zu sein".

Um den Klimawandel geht es im Migrationspakt an zwei Stellen: Zum einen wird das Ziel formuliert, die Folgen des Klimawandels abzuschwächen, um Migration zu verhindern.

An einer zweiten Stelle geht es um eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, um Lösungen für Migranten zu finden, die etwa aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen.

"Wir werden bei der Ermittlung, Entwicklung und Verstärkung von Lösungen für Migranten zusammenarbeiten, die aufgrund von schleichenden Naturkatastrophen, den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und Umweltzerstörung, beispielsweise Wüstenbildung, Landverödung, Dürren und Anstieg des Meeresspiegels, gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen, einschließlich indem in Fällen, in denen eine Anpassung im Herkunftsland oder eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist, Optionen für eine geplante Neuansiedlung und Visumserteilung konzipiert werden".

Eine Verpflichtung, Migranten aufzunehmen, ergibt sich daraus jedoch nicht. Und selbst wenn so eine Verpflichtung Bestandteil des Pakts wäre, müsste Deutschland sich nicht daran halten, weil es sich nicht um einen rechtlich bindenden internationalen Vertrag handelt.

Hat künftig jeder Migrant dieselben Rechte wie ein deutscher Staatsbürger?

Vielfach wird von Gegnern des Migrationspakts behauptet, durch ihn würde künftig kein Unterschied mehr zwischen regulären Migranten, die erlaubt einreisen, und irregulären Migranten gemacht. Außerdem würden alle Migranten fortan dieselben Rechte genießen, wie deutsche Staatsbürger.

Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Rainer Balzer behauptet in einem Facebookpost, der Pakt stelle "die Rechte der 'Migranten' den Rechten der Einheimischen gleich, gewährt ihnen 'Teilhabe' an staatlichen Leistungen, zu denen sie nie etwas beigetragen haben".

Auch das lässt sich anhand des 32-seitigen Textes des Migrationspakts nicht belegen. 

Ziel 15 des Pakts ist die "Gewährleistung des Zugangs von Migranten zu Grundleistungen". Darin verpflichten sich die Staaten, "sicherzustellen, dass alle Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus' ihre Menschenrechte durch einen sicheren Zugang zu Grundleistungen wahrnehmen können".

Gleich im nächsten Satz steht jedoch: "Wir verpflichten uns ferner zur Stärkung von Leistungserbringungssystemen, die Migranten einschließen, ungeachtet dessen, dass Staatsangehörige und reguläre Migranten möglicherweise Anspruch auf umfassendere Leistungen haben [...]". Dabei geht es also lediglich um einen Zugang zu Grundleistungen, die die Wahrung der Menschenrechte sicherstellen – nicht darum, dass irreguläre Migranten die selben Ansprüche wie Staatsangehörige haben.

Eine Gleichsetzung irregulärer Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus mit deutschen Staatsbürgern lässt sich daraus nicht ableiten. 

Dürfen Medien nicht kritisch über den Migrationspakt berichten?

Auch dies wird immer wieder behauptet. So teilte der AfD-Ortsverband Emmendingen aus Baden-Württemberg auf Facebook einen Artikel des rechten Blogs "freiewelt.net", der vom Ehemann der AfD-Politikerin Beatrix von Storch herausgegeben wird.

Bereits in der Überschrift wird behauptet, Kritik am Migrationspakt sei verboten:

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screenshot: facebook/afd-emmendingen

Dass Kritik am Globalen Migrationspakt in Deutschland verboten sei, ist falsch. Auch dass durch den Pakt künftig kritische Berichterstattung über Migration verboten werden soll, geht aus dem Text des Migrationspakts nicht hervor.

Tatsächlich finden sich in Ziel 17 des Pakts jedoch Formulierungen, die auch außerhalb rechter und rechtsextremer Kreise auf Kritik stoßen.

Darin verpflichten sich die Staaten zur "Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration".

Konkret wird dort unter anderem die Absicht erklärt, Hasskriminalität gegen Migranten strafrechtlich zu verfolgen – was in Deutschland etwa durch den Volksverhetzungs-Paragrafen längst geschieht. 

Weiter heißt es dort noch:

"Wir werden unter voller Achtung der Medienfreiheit eine unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien, einschließlich Informationen im Internet, fördern, unter anderem durch Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden hinsichtlich Migrationsfragen und -begriffen, durch Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung und Werbung und durch Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern".

Darin sehen Kritiker die Möglichkeit einer Beschränkung der Pressefreiheit – auch wenn im Text selbst auf die Freiheit der Medien verwiesen wird. Gegenüber dem Schweizer Nachrichtenportal "20 minuten" kritisierte der "Verband Schweizer Medien" diesen Teil des Migrationspakts.

Ein Sprecher des Verbands sagte demnach: "Journalismus muss unbequem sein dürfen. Medienförderung muss ungeachtet der politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftliche Ausrichtung des Mediums erfolgen."

Wer ist alles Teil des Migrationspakts?

Die Vereinten Nationen haben 193 Mitgliedsstaaten. Fast alle dieser Staaten werden den "Globalen Pakt für Migration" im Dezember voraussichtlich verabschieden.

Mehrere Staaten haben jedoch bereits angekündigt, den Pakt nicht mittragen zu wollen:

  • Als sich die Vereinten Nationen im Juli 2018 auf den Text des Migrationspakts geeinigt haben, waren 191 von 193 Ländern mit an Bord. Lediglich die USA und Ungarn haben direkt erklärt, den Pakt nicht mittragen zu wollen. (Quartz)
  • Die USA zogen sich bereits im Dezember 2017 aus den Beratungen zum Migrationspakt zurück. Die amerikanische UN-Delegation begründete das damit, dass der Pakt angeblich die nationale Souveränität der USA gefährde und Punkte enthalte, die mit Trumps Migrationspolitik unvereinbar seien. ("The Guardian") (Tatsächlich wird die nationale Souveränität im Migrationspakt ausdrücklich betont.)
  • Ungarns Außenminister Peter Szijjarto sagte im Juli, der Migrationspakt richte sich gegen die Sicherheitsinteressen seines Landes. Weiter sagte er: "Dieser Pakt stellt eine Bedrohung für die Welt dar, da er Millionen (von Migranten) inspirieren könnte." (Reuters)
  • Auch Australien könnte sich aus dem Globalen Migrationspakt zurückziehen. Der ehemalige australische Migrationsminister und heutige Innenminister Peter Dutton erklärte im Juli, dass Australien den Pakt in seiner aktuellen Form nicht unterzeichnen werde, weil er die Souveränität des Landes angreife. ("The Guardian")
  • Ob Österreich den Migrationspakt im Dezember mit verabschieden wird, ist bislang ebenfalls unklar. Besonders Innenminister Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ äußerte sich negativ über den Pakt. (ORF)

Alle Länder, die sich offen gegen den Globalen Migrationspakt aussprechen, werden von Parteien und Politikern regiert, die sich besonders über eine harte Migrationspolitik definieren. 

Wer macht neben der AfD noch gegen den Pakt mobil?

Die AfD hat den Migrationspakt momentan zu einem ihrer zentralen Kampagnenthemen auserkoren. Doch auch diverse andere rechte und rechtsextreme Gruppen und Aktivisten machen gegen den Pakt mobil und verbreiten dabei die gleichen Falschinformationen wie die AfD.

Ganz vorne mit dabei ist die "Identitäre Bewegung", die eine Onlinepetition in Deutschland, Österreich und der Schweiz gestartet hat. Laut eigenen Angaben wurde diese Petition bislang von mehr als 57.000 Menschen unterschrieben. 

Mit Posts in den Sozialen Medien, Videos und Flugblätten und Plakaten machen die Identitären Werbung für die Petition. Auch über einen Kanal der Messenger-App Telegram verbreiten sie Links zu Videos und Artikeln und rufen zu Aktionen auf.

Mehr als 6.000 Menschen haben den Kanal abonniert:

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screenshot: telegram

Auch weitere rechtsextreme Organisationen und Blogs haben den Migrationspakt für sich entdeckt. So verbreiten auf Facebook mehrere Pegida-Seiten Artikel-Links und Demonstrationsaufrufe gegen den Pakt.

Und auch die NPD beteiligt sich:

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screenshot: facebook/npd

Fazit:

Viele der Behauptungen, die über den Globalen Migrationspakt verbreitet werden, sind falsch und irreführend.

  • Durch die Annahme des Paktes geht Deutschland keine verbindlichen Verpflichtungen ein.
  • Der Migrationspakt zwingt Deutschland nicht, Millionen von Migranten aufzunehmen.
  • Auch nach der Verabschiedung des Migrationspaktes dürfen die Staaten ihre Migrationspolitk weiterhin selber bestimmen.
  • Irreguläre Migranten werden deutschen Staatsbürgern nicht gleichgestellt.

Rechte und rechtsextreme Kreise nutzen das Thema gezielt, um gegen die Migrationspolitik der deutschen Bundesregierung Stimmung zu machen. Dabei verbreiten sie massive Falschinformationen.

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