Deutschland
Interview

Verwirrende Maskenpflicht: Darum sind die Regelungen unterschiedlich

Menschen spazieren mit Mundschutzmasken in Berlin am 22. April 2020. Ab heute koennen in Berlin laeden unter 800 qm, Buchhandlucngen und Autosalons wieder oeffnen mit Einhanltung von Hygiene und Dista ...
Manche tragen ihn, andere nicht: Der Mund-Nasen-Schutz ist ab 27. April Pflicht in vielen Bundesländern.Bild: imago images / Emmanuele Contini
Interview

Experte verteidigt Länderchaos bei Corona-Maßnahmen

Ab dem 27. April gilt in allen Bundesländern eine Maskenpflicht. Wo die Masken getragen werden müssen, ist allerdings – wie bei den meisten Corona-Maßnahmen – unterschiedlich. Warum die Regelungen so unterschiedlich sind, erklärt Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch.
26.04.2020, 08:16
Mehr «Deutschland»

Ab dem 27. April gilt in allen Bundesländern Maskenpflicht, in Schleswig-Holstein kommt sie am 29. April. Wo die Masken allerdings getragen werden müssen, ob in allen Bussen und Bahnen, oder auch im Supermarkt, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Ebenso gelten in den Ländern unterschiedliche Regelungen, wie Verstöße gegen die Maskenpflicht geahndet werden sollen.

Schuld an all der Verwirrung ist der Föderalismus. In Deutschland gibt es 16 Landesregierungen, die in Sachen Corona-Maßnahmen die Entscheidungen treffen und sich teilweise einen Kampf um das Sagen bei der, aus ihren Augen, richtigen Vorgehensweise gegen die Corona-Pandemie liefern.

Sollte da nicht der Einfachheit halber einfach die Bundesregierung einheitlich entscheiden?

Wolfgang Renzsch ist Politikwissenschaftler und Experte beim Thema Föderalismus. Watson hat ihn gefragt, ob wir wirklich 16 unterschiedliche Lösungen brauchen oder ob es nicht besser wäre, wenn die Bundesregierung bestimmen würde, wo es langgehen soll. Renzsch ist Befürworter des Föderalismus. Er erklärt, warum es gut ist, 16 verschiedene Lösungen zu haben.

"Eine Maskenpflicht in Großstädten wie Berlin ergibt mehr Sinn, als auf dem flachen Land."

watson: Die Corona-Regelungen sind sehr unterschiedlich. In manchen Bundesländern darf man in Gruppen in die Parks, in anderen wird man von der Polizei abgemahnt, wenn man überhaupt auf einer Parkbank ein Buch liest. Verstehen Sie, dass Bürger da durcheinander kommen?

Wolfgang Renzsch: Ich verstehe, dass das teilweise verwirrend ist und auch merkwürdige Blüten treibt. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit Länderpolitik und dem Föderalismus zu tun. In Berlin hängt das beispielsweise auch sehr stark davon ab, wer kontrolliert. Da gibt es auch unterschiedliche Handhabungen je nach Bezirk und Polizist. Das liegt daran, dass die Vorschriften sehr abstrakt sind, und die werden eben sehr unterschiedlich vor Ort gehandhabt. Das Problem ist, glaube ich, ein anderes.

Welches?

Das Infektionsschutzgesetz ist nicht unbedingt geeignet für so eine Situation. Der Gesetzgeber hatte da eher einen lokalen Ausbruch einer Krankheit im Blick. Wenn beispielsweise in einer Stadt Typhus ausbricht. Das ist Mitte der 1970er Jahre, als ich Student war, in Göttingen passiert. Die Infizierten hatten alle verdorbene Fischstäbchen aus der Uni-Mensa gegessen. Die Mensa wurde dann anschließend vom Gesundheitsamt geschlossen und die Infizierten wurden in Quarantäne gesteckt. Dafür ist das Infektionsschutzgesetz gut geeignet. Bei einer globalen Pandemie ist das aber eine vollkommen andere Situation. Da müssen die Maßnahmen besser koordiniert werden.

Aber es gibt ja auch Maßnahmen, die klar nach Bundesland unterschiedlich sind: Ab dem 27. April gilt in fast allen Bundesländern Mundschutzpflicht. In manchen gilt es schon seit längerem und wie das konkret aussehen soll, ist auch unterschiedlich...

Ja, aber die Umstände sind auch unterschiedlich, je nach Bundesland. In Bayern und Baden-Württemberg haben wir die höchsten Zahlen, vermutlich aufgrund der Heimkehrer aus dem Ski-Urlaub. Es ist klar, dass man dort auch anders reagiert, als in Ländern mit wenigen Fällen, wo weniger starke Maßnahmen notwendig sind. Auch ist es so, dass eine Maskenpflicht in Großstädten wie Berlin, wo Menschen dicht aneinander gedrängt in öffentlichen Verkehrsmitteln sind, mehr Sinn ergibt, als auf dem flachen Land, wo die Menschen zu großen Teilen alleine im Pkw unterwegs sind. Es ist auch sinnvoll, wenn in Mecklenburg-Vorpommern, Teilen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein Einreiseverbot besteht.

"Deshalb ist es gut, dass es unterschiedliche Regelungen gibt: Man kann Maßnahmen ausprobieren, auf ihren Nutzen prüfen und vergleichen."

Warum?

Das ergibt natürlich vor allem dort Sinn, wohin die Menschen gerne in den Urlaub fahren würden. Wir brauchen kein Einreiseverbot nach Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. Es gibt auch Berliner, die nach Brandenburg in ihr Ferienhäuschen fahren, aber dort gibt es keine Konzentration von Urlaubern wie in den Nord- und Ostseeregionen. Der Föderalismus und die Politik der Bundesländer helfen dabei, die Maßnahmen an die lokalen Gegebenheiten anzupassen.

Dass in manchen Bundesländern die Baumärkte geöffnet haben und in anderen nicht, führt dazu, dass Menschen kilometerweit und über Landesgrenzen hinweg fahren, um ihre Besorgungen zu erledigen. Das kann doch nicht im Sinne der Virus-Eindämmung sein, oder?

Das ist tatsächlich nicht sonderlich sinnvoll. Aber das Problem besteht auch darin, dass man noch nicht genau weiß, wie das Virus sich ausbreitet. Deshalb haben die Bundesländer auch unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Jetzt zeigt sich langsam, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht. Auch deshalb ist es gut, dass es unterschiedliche Regelungen gibt: Man kann Maßnahmen ausprobieren, auf ihren Nutzen prüfen und vergleichen. Das ist ein Lernsystem. 16 verschiedene Lösungen ermöglichen auch, dass man vergleicht, lernt und am Ende die sinnvollsten Lösungen anwendet.

Wie ist das mit der Gesundheitspolitik insgesamt: Wäre es nicht sinnvoller, wenn man die deutschen Kliniken zentral organisierte?

Überhaupt nicht. Aktuell ist es so, dass die Bundespolitik den Rahmen vorgibt, aber die Implementierung durch die Länder und die Kommunen passiert. Das führt dazu, dass es trotz Studien, die eine Schließung von vielen Kliniken forderten, nach wie vor viele kommunale Krankenhäuser in Deutschland gibt. Und die sind heute enorm wichtig. Dadurch, dass die Gemeinden sich für ihre kommunalen Krankenhäuser stark gemacht haben, haben wir heute eine exzellente Versorgung durch genügend Krankenhausbetten.

Über den Experten
Wolfgang Renzsch ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Föderalismus. Seine Forschung beschäftigt sich insbesondere mit den Beziehungen zwischen verschiedenen Bundesländern und dem Länderfinanzausgleich. Zuletzt war er an der Universität Marburg als Professor tätig.

Über Spahns Forderungen, mehr Kompetenzen beim Bund zu konzentrieren:

"Der Gesundheitsminister hat gar nicht so viele Mitarbeiter und Mittel."

Gibt es Ihrer Meinung nach auch Nachteile daran, dass die Bundesregierung ihre Maßnahmen immer mit 16 Landesregierungen abstimmen muss?

Die Absprachen dauern natürlich. Aber ich bin der Meinung: lieber eine langsame gute Entscheidung als eine schnelle und schlechte. Natürlich gibt es auch Anreize für Politiker, um sich zu profilieren. Gerade zwischen Armin Laschet und Markus Söder spürt man, dass solche Situationen politisch genutzt werden. Aber auch das hat Vorteile, weil sich daraus eine Diskussion ergibt, die wir brauchen. Es muss diskutiert werden, wie weit wir die Maßnahmen lockern.

In der Corona-Krise wurde bereits das Infektionsschutzgesetz geändert: Jens Spahn möchte in Zukunft bei vergleichbaren Krisensituationen mehr Kompetenzen beim Bund sammeln. Was halten Sie davon?

Das ist eine schwierige Frage. Der Gesundheitsminister hat gar nicht so viele Mitarbeiter und Mittel. Er ist auf die lokalen Gesundheitsämter und Landesministerien angewiesen. Es ist auch so, dass lokale Gesundheitsämter besser wissen, welche Mittel den dortigen Umständen angemessen sind. Für mich hat der deutsche Föderalismus in dieser Krise überraschend gut funktioniert. Ich würde mir überlegen, ob das Sinn macht, das zu ändern.

Also würden Sie sogar sagen, der Föderalismus hilft bei der Bekämpfung von Corona?

Wenn man es im internationalen Vergleich sieht und fragt, welches Land kommt denn aktuell besser durch die Krise als die Bundesrepublik? Schauen Sie nach Frankreich. Das Land ist absolut zentralisiert und dort müssen die Verwaltungen in Straßburg darauf warten, was Paris sagt. Ob das schneller oder besser ist, weiß ich nicht.

Kann das Versprechen vom straffreien Kiffen im Vermittlungsausschuss kippen?

Wann Bubatz legal? Eine Frage, die viele Menschen seit 2021 regelmäßig an die Ampelregierung adressieren. Wann, wie und ob – all das waren Fragen, deren Antworten sich andauernd änderten. Die Realisierung der geplanten Modellregionen mit lizenzierten Fachgeschäften wurde verschoben. Stattdessen soll es nun erstmal die Möglichkeit des Eigenanbaus und der Mitgliedschaft in sogenannten Cannabis-Social-Clubs geben.

Zur Story