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BMW, Daimler und VW fordern Staatshilfe: Experte äußert böse Vermutung

WOLFSBURG, GERMANY - APRIL 27: Workers wear face masks while working on the car assembly line on the first day of the resumption of automobile production at the Volkswagen factory during the coronavir ...
Seit Montag laufen beim VW-Stammwerk in Wolfsburg wieder die Fließbänder. Jetzt wird dort unter strengen Sicherheitsvorkehrungen produziert. Bild: Getty Images Europe / Alexander Koerner
Interview

Wirtschaftsethiker zu Staatshilfen für Autobauer: "Hat nur den Sinn, Zahlungen an Großaktionäre zu ermöglichen"

09.05.2020, 20:0209.05.2020, 20:00
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Die Wirtschaft in Deutschland erwacht langsam aus dem künstlichen Koma. Seit vergangenem Montag laufen auch bei den Automobilherstellern, wie zum Beispiel im Stammwerk von VW in Wolfsburg, wieder die Maschinen an. Natürlich unter strengen Sicherheitsauflagen und mit Mund-Nase-Schutz. Auch die Automobilbranche hatte Kurzarbeit angemeldet, um die Verluste durch das Stillstehen der Fließbänder auszugleichen.

Nun fordern die Automobilkonzerne die Einführung eines staatlichen Anreizprogramms, um den Absatz der Autos wieder anzukurbeln. Eine Art Kaufprämie also. Gleichzeitig halten die großen Automobilkonzerne VW, BMW und Daimler daran fest, ihren Aktionären und Mitarbeitern Gewinne auszuzahlen.

Dafür ernteten die Autohersteller in den vergangenen Tagen viel Kritik. Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann kann das verstehen. Der Experte befasst sich mit der Frage, wie gerecht unser Wirtschaftssystem ist und kommt zu erstaunlichen Feststellungen. Im Interview mit watson erklärt er, warum Manager in der Krise ihre Gehälter kürzen sollten – und äußert die böse Vermutung, dass die Staatshilfen am Ende nur ermöglichen sollen, dass die reichsten Familien dieses Landes weiter Dividenden in Milliardenhöhe erhalten.

"Andere Branchen hätten es nötiger, dass der Staat ihnen hilft."

watson: Sollte der Staat den Automobilkonzernen unter die Arme greifen?

Ulrich Thielemann: Das tut er ja bereits, indem er in großem Umfang Kurzarbeitergeld zahlt. Außerdem bekommen die Zulieferbetriebe Staatshilfen.

Der Staat zahlt Kurzarbeitergeld, trotzdem werden Dividenden an Mitarbeiter und Anteilseigner ausgezahlt. Ist das nicht ungerecht?

Ja. Das empfinden praktisch alle so, die sich damit beschäftigen, selbst die Deutsche Bank. Man hat den Eindruck, dass die Beantragung von Staatshilfen in Form einer neuen Abwrackprämie nur den Sinn hat, die Dividendenzahlungen an die Großaktionäre zu ermöglichen. Bei Volkswagen sind das die Familien Porsche und Piëch.

Diese Familien zählen in Österreich zu den reichsten Familien mit zusammengerechnet 37 Milliarden Euro Vermögen. BMW gehört fast zur Hälfte den Familien Klatten und Quandt. Allein an die Familie Quandt wird dieses Jahr eine halbe Milliarde Euro an Gewinnen fließen. (Dabei handelt es sich um Gewinnausschüttungen für das Jahr 2019, Anm. d. Red.) Da hilft der Staat dabei, dass der Kapitalbestand dieser ohnehin sehr reichen Familien zumindest nicht sinkt.

LEIPZIG, GERMANY - FEBRUARY 11: Porsche Governing Board Chairman Wolfgang Porsche attends the official opening of the new Porsche Macan factory at the Porsche plant on February 11, 2014 in Leipzig, Ge ...
VW-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche. Seiner Familie und der Familie Piëch gehört ein Großteil des gigantischen Konzerns.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup

Welche Rolle spielen dabei die Manager dieser Automobilkonzerne wie VW-Chef Herbert Diess?

Die Manager der Automobilkonzerne sind dafür eingestellt worden, die Kapitalinteressen der Anteilseigner zu bedienen. Das sind quasi ihre Chefs. Der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess hat die Dividendenauszahlungen daher auch eher etwas stolpernd begründet. Er rechtfertigt das mit der Bedeutung der Automobilbranche für die gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland. Er wirkte dabei aber nicht wirklich überzeugend in meinen Augen. Andere Branchen hätten es natürlich nötiger, dass der Staat ihnen hilft.

"Es gibt Manager, die ihre Gehälter kürzen, und Unternehmer, die auf Ausschüttungen verzichten. Aber das sind viel zu wenige."

Sollten Manager als Zeichen ihrer Solidarität in der Krise auf Boni und Gehälter verzichten?

Ja. Davon hört man kaum etwas. Es gibt Manager, die ihre Gehälter kürzen, und Unternehmer, die auf Ausschüttungen verzichten. Aber das sind viel zu wenige. Ich erinnere mich an einen Unternehmenssanierer, der auf die Frage, warum er denn so wenig verdiene, meinte, er könne sich doch in solch einer Krise, in der alle zurückstecken müssen, keine großen Gehälter auszahlen lassen.

Das wird nicht an die große Glocke gehängt. Aber es gab Zeiten, in denen war das selbstverständlich. Und so sollte es auch sein. Volkswagen-Chef Diess kann sich eine Kürzung der Dividenden nur als "letztes Mittel" vorstellen. Dabei sollte es eigentlich das erste Mittel sein. Gewinne sind das, was übrig bleibt, wenn die Geschäfte gut gelaufen sind. Wegen der Krise laufen sie derzeit schlecht. Also haben zunächst einmal die Gewinnansprüche zurückzustehen.

WOLFSBURG, GERMANY - APRIL 27: Herbert Diess, Chairman of the Board of Management of Volkswagen AG wearing a face mask visits the production line at the Wolfsburg Plant on April 27, 2020 in Wolfsburg, ...
Auch er hält sich an die neuen Regeln zum Mundschutz: VW-Chef Herbert Diess.Bild: Getty Images Europe / Pool
"Die festangestellten Mitarbeiter der Automobilkonzerne verdienen sowieso schon recht gut."

Jetzt werden wieder Kaufanreize für PKWs gefordert, um der Automobilbranche zu helfen. Wie erklärt man das Menschen, die gerade um ihren Arbeitsplatz bangen oder aufgrund von Kurzarbeit Kredite nicht abbezahlen können?

So eine Abwrackprämie 2.0 sollte eigentlich hinten anstehen. Es sollte denjenigen geholfen werden, die eher am unteren Rand stehen. Den Branchen, die in so einer Krise eben nicht so viel Widerstandsfähigkeit aufweisen wie die Automobilbranche. Die festangestellten Mitarbeiter der Automobilkonzerne verdienen sowieso schon recht gut. Dort wird keiner in eine existenzielle Krise gestürzt, weil er aufgrund von Kurzarbeit nur noch 60 Prozent seines Gehalts erhält. Davon sind eher andere betroffen. Und die Automobilkonzerne selbst sitzen auch auf gewaltigen Kapitalreserven. Die kommen so schnell nicht in Bedrängnis.

Sollte stattdessen nur jenen Unternehmen geholfen werden, die auch ökologisch wirtschaften?

Die Automobilbranche ist nicht ausschließlich umweltschädlich. Aber ich würde es begrüßen, wenn man die Hilfen generell mehr an Forderungen knüpft. Deutschland tut da praktisch gar nichts. Dänemark und Österreich koppeln ihre Wirtschaftshilfen an Bedingungen. Dort erhalten nur die Unternehmen Unterstützung, die keine Dividenden ausschütten und auch keine Steueroasen nutzen. Man sollte die Hilfe für Unternehmen darüber hinaus an sozial-ökologische Bedingungen knüpfen. Das bedeutet bei der Automobilbranche, dass man, wenn überhaupt, nur Unternehmen unterstützen sollte, die vor allem kleine E-Autos produzieren.

Über den Experten
PD Dr. Ulrich Thielemann ist Wirtschaftsethiker. Er beschäftigt sich unter anderem damit, wie gerecht Wirtschaftssysteme sind. Er ist für seine Kapitalismuskritik bekannt. Seit 2010 ist er Direktor der Denkfabrik "MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik."
"Wir müssen weg von der Fixierung auf die Automobilbranche."

Verstehen Sie, dass die Automobilbranche immer wieder die erste ist, der man hilft, wenn es gerade schlecht läuft?

Man hat sich in Deutschland von den Exporterfolgen der Automobilbranche abhängig gemacht. Rund 75 Prozent der Umsätze der Branche werden im Ausland generiert.

Es wird immer wieder gesagt, dass der Wohlstand in Deutschland an der Automobilbranche hängt. Wird es uns schlechter gehen, wenn die Automobilbranche strauchelt?

Die Frage ist, wessen Wohlstand daran hängt. Dieses wirtschaftspolitische Modell, die Automobilbranche zu stützen und Exportpolitik zu betreiben, ist auf Dauer nicht mehr tragfähig. Wir müssen dafür Alternativen entwickeln. Ich glaube auch, dass der Klimawandel auf dem aktuellen Wachstumsmodell nicht aufzuhalten ist. Es geht nicht nur um den Umbau der bestehenden Wirtschaft in eine nachhaltigere Wirtschaft, sondern auch um Reduktion.

Das heißt, wir brauchen weniger Wachstum?

Ja. Alles andere lassen unsere Ressourcen nicht zu. Wir müssen darauf hinwirken, dass wir weniger verbrauchen und CO2 ausstoßen. Aktuell leben wir mit ungefähr 20 Prozent weniger Wachstum in diesem Jahr und wir sehen, dass es auch geht. Es ist für viele erstaunlich leistbar, weniger zu haben. Eine schrumpfende Wirtschaft ist vielleicht sogar eine Chance.

Was können wir aus der Corona-Krise lernen?

Diese Krise ist auch eine Chance, unsere Wirtschaft neu zu justieren. Wir müssen weg von der Fixierung auf die Automobilbranche, weil sie ökologisch sehr fragwürdig ist. Außerdem müssen wir hinterfragen, ob es so sinnvoll ist, unsere Wirtschaft so sehr auf den Export von Gütern zu stützen.

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