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Nach Neonazi-Festival in Ostritz: Rechtsrock-Experte Jan Raabe im Interview

Teilnehmer des Neonazi-Festivals im sächsischen Ostritz.
Teilnehmer des Neonazi-Festivals im sächsischen Ostritz.Bild: David Speier/imago stock&people
Interview

Was Rechtsrock, Musikfestivals und rechter Terrorismus miteinander zu tun haben

24.04.2018, 19:1525.04.2018, 11:51
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Die Bilder von einem Neonazi-Festival im thüringischen Themar haben im vergangenen Jahr schockiert: Hitlergrüße, Sieg-Heil-Rufe und volksverhetzende Botschaften auf den T-Shirts von Besuchern.

Teilnehmer des Neonazi-Festivals in Themar im Juli 2017. Der Festival-Besucher in der Mitte trägt ein T-Shirt der verbotenen Rechtsrock-Band "Landser".
Teilnehmer des Neonazi-Festivals in Themar im Juli 2017. Der Festival-Besucher in der Mitte trägt ein T-Shirt der verbotenen Rechtsrock-Band "Landser".Bild: Michael Trammer/imago stock&people

Am vergangenen Wochenende gab es dann erneut ein Neonazi-Festival, diesmal in der sächsischen Kleinstadt Ostritz, nur durch den Grenzfluss Neiße vom benachbarten Polen getrennt. Wieder musste die Polizei wegen verbotenen Symbolen auf T-Shirts eingreifen. Und wieder war das Festival nicht etwa als kommerzielle Veranstaltung angemeldet, wie "Rock am Ring" oder "Wacken", sondern als politische Versammlung.

Warum organisieren Neonazis solche Festivals und welche Bedeutung hat rechtsextreme Musik und Subkultur für die rechte Szene?

Diese Fragen beantwortet Jan Raabe. Der Sozialpädagoge, Autor und Rechtsrockexperte, arbeitet unter anderem für den Bielefelder Verein "Argumente & Kultur gegen rechts", wo er die rechtsextreme Szene beobachtet und analysiert.

Zumindest die großen Neonazi-Festivals scheinen sich in der vergangenen Zeit zu häufen. Wie viele rechtsextreme Konzerte gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland?
Es gab im letzten Jahr mindestens 300 Veranstaltungen der extremen Rechten, bei denen Musik eine wichtige Rolle gespielt hat. Das sind teilweise kleinere Kameradschaftsabende, wo nur einer zur Gitarre greift, das sind aber auch richtige Konzerte. Festivals mit Zeltplatz und Rahmenprogramm wie am vergangenen Wochenende gab es jedoch bislang fast keine. Es gab schon mal Versuche, etwa von der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme", so etwas zu etablieren; aber das richtige Musikfestivals von Neonazis veranstaltet werden, ist eigentlich eine neuere Entwicklung.

Im ostsaechsischen Ostritz an der Grenze zu Polen findet am Wochenende (20.-22.04.18) das Neonazi-Festival Schild und Schwert statt. Der Thueringer NPD-Landesvorsitzende Thorsten Heise hat das Festiva ...
Auch die T-Shirts der Festival-Besucher in Ostritz zeigten eindeutige Botschaften.Bild: Daniel Schaefer/imago stock&people

Worum geht es den Veranstaltern dieser Konzerte und Festivals?
Es geht zum einen darum, der Szene einen Raum für gemeinschaftliche Erlebnisse und zur ideologischen Selbstvergewisserung zu bieten. Das heißt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammenkommen und das Gefühl bekommen: "Wir sind viele!" Und das nicht nur im Internet, sondern lebendig und mit 'nem Bier in der Hand – und wenn es hart auf hart kommt, auch mit dem erhobenen Arm zum Hitlergruß.

Rechte Erlebniswelt mit Campingplatz auf dem "Schild und Schwert"-Festival in Ostritz.
Rechtsextreme Erlebniswelt mit Campingplatz auf dem "Schild und Schwert"-Festival in Ostritz.Bild: LausitzNews.de/ Erik-Holm/imago stock&people

Wie finanziert sich die Szene?
Mit so einem Festival werden natürlich Einnahmen gemacht. Unserer Einschätzung nach bleibt auch nach den Ausgaben einiges hängen. Wie hoch die Einnahmen sind, lässt sich von außen schwer einschätzen, aber bei derart großen Festivals rechnet man damit, dass mehrere zehntausend Euro übrig bleiben könnten.

Wohin fließen die Einnahmen aus solchen Konzerten und Festivals?
Das meiste wird bei den Veranstaltern hängen bleiben. Was sich erstmal harmlos anhört, ist es aber gar nicht. Denn diese Veranstalter sind knallharte Neonazis, die durch diese Gewinne die Möglichkeit haben, zu Vollzeitpolitikern zu werden und nicht mehr finanziell abhängig zu sein. Es gibt außerdem auch Fälle, wo deutlich geworden ist, dass von solchen Einnahmen zum Beispiel Musikanlagen für Demonstrationen gekauft wurden, oder Gelder in extrem rechte Organisationen geflossen sind.

April 21, 2018 - Ostritz, Sassonia, Germany - More than 1200 Neonazis attended at the Schild und Schwert (Shield and Sword) festival in Ostritz (Saxony, Germany) at the Neison 21th of April. The festi ...
Neonazis in OstritzBild: David Speier/imago stock&people

Gibt es Hinweise, dass durch die Konzerteinnahmen auch illegale oder gar rechtsterroristische Aktivitäten finanziert werden?
Finanzen sind hier meines Erachtens nicht das zentrale Thema, wichtiger ist, dass sich bei solchen Konzerten eine Szene bildet, aus der heraus rechtsterroristische Aktivitäten erst entstehen können. Spenden-Aktionen für "verfolgte Kameradinnen und Kameraden" gibt es auch immer wieder. Aber das wird dann nicht offen kommuniziert und als Sammlung für den Rechtsterror propagiert.

Combat 18
"Combat 18" ist ein länderübergreifendes rechtes Terrornetzwerk, das sich vor allem aus der neonazistischen Musikszene rekrutiert. Combat bedeutet Kampf, die 18 steht für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet – die Initialen Adolf Hitlers. Das Netzwerk hat sich dem "führerlosen Kampf" verschrieben– wie auch die Rechtsterroristen des "NSU". In Dortmund sollen Neonazis rund um den Sänger der Band "Oidoxie", Marko Gottschalk in den Jahren 2003 bis 2006 eine "Combat 18"-Terrorzelle aufgebaut haben. Das geht aus Polizeiakten hervor, die 2014 bekannt geworden waren. Ein ehemaliges Mitglied der Terrorzelle informierte die Polizei darüber – während er selbst in Haft saß.

In Ostritz ist auch die "Combat 18"-Band Oidoxie aufgetreten. Sind diese Strukturen aus Rechtsrock und Rechtsterrorismus in Deutschland immer noch aktiv?
Wir erleben in den letzten Jahren sogar einen Neuaufbau der alten europaweiten "Combat 18"-Strukturen. Da ist ein Wiedererstarken einer Szene zu beobachten, die in ihren Liedtexten und auch in ihren politischen Konzepten auf Rechtsterrorismus setzt.

Dieser Festival-Besucher in Ostritz trägt einen Pullover mit dem Aufdruck des verbotenen "Combat 18"-Netzwerks.
Dieser Festival-Besucher in Ostritz trägt einen Pullover mit dem Aufdruck des verbotenen "Combat 18"-Netzwerks.Bild: David Speier/imago stock&people

Da versammeln sich also Rechtsextreme mit Verbindungen in terroristische Kreise und scheffeln dadurch Geld für ihre Szene. Warum kann sowas als politische Versammlung angemeldet werden? Und warum wird das nicht verboten?
Soweit ich das wahrgenommen habe, hat es gar keine Versuche gegeben, das Festival zu verbieten. Das hat mich etwas überrascht. Ich hätte mir nämlich durchaus vorstellen können, dass ein Verbot bei einer vernünftig gemachten Gefahrenprognose, die die Erfahrungen mit den letzten Veranstaltungen zusammenfasst, erfolgreich gewesen wäre. Wenn man etwa an die Bilder aus Themar denkt, wo mindestens Dutzende, wenn nicht Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Arm hochreißen und Heil brüllen.

Da gibt es insgesamt mehrere Erfahrungen die zeigen, dass solche Großveranstaltungen strafrechtlich hochgradig problematisch werden – erst recht am 20. April (dem Geburtstag Adolf Hitlers [Anmerkung der Redaktion]). Davon hätte man meines Erachtens auch Richterinnen und Richter überzeugen können.

Letztendlich wurden in Ostritz dann ja auch T-Shirts der Security beschlagnahmt, mit dem verbotenen Abzeichen einer SS-Divison darauf. Diese T-Shirts sind schon seit Jahren auf den von Thorsten Heise (Organisator des Festival im sächsischen Ostritz [Anmerkung der Redaktion]) organisierten "Eichsfeldtagen" zu sehen.

April 21, 2018 - Ostritz, Sassonia, Germany - One of the Neonazis who was wearing a t-shirt with a forbidden imprint attends the Schild und Schwert (Shield and Sword) neo-nazi festival, in the small e ...
Ein Mitarbeiter der Neonazi-Security mit zwei gekreuzten Stabhandgranaten auf dem T-Shirt, dem Abzeichen der 36. Waffen-Grenadier-Division der SS. Bild: David Speier/imago stock&people

Und trotzdem brauchte es offenbar Hinweise von Journalisten und den Druck von Aktivisten auf Twitter, bevor die Polizei gegen die T-Shirts einschritt…
Genau. Man könnte böserweise sagen, dass sich immer wieder zeigt, dass die Polizei 'zum Jagen getragen' werden muss.

Ist das ein spezifisches Problem der sächsischen Polizei, oder bundesweit zu beobachten?
Es gibt zum einen sowas wie eine Landeskultur, es hängt aber auch von einzelnen Beamten und Beamtinnen ab, die über sehr unterschiedliche Kompetenzen verfügen und ganz anders agieren. Das ist darum schwer zu generalisieren. Wenn man aber Brandenburg zum Beispiel mit Sachsen vergleicht, dann fällt auf, dass die brandenburgische Polizei sehr viel Wert darauf legt, den Rechtsrock auszuwerten und sich praktisch mit dem Thema zu beschäftigen. Sachsen, soweit ich das beurteilen kann, eher nicht.

Hintergrund:

Wie ist Rechtsrock entstanden?
Entstanden ist Rechtsrock interessanterweise nicht in Deutschland, sondern in England. Musikalischer Ausgangspunkt war Mitte der 70er Jahre der Punk. Das war eine Jugendkultur ohne klare politische Ausrichtung, die vor allem rebellisch war und aufbegehrte. Da gab es erste Musiker, die rechtes Gedankengut hatten und das auch ausdrücken wollten. Das haben die nicht mit Flugblättern gemacht, sondern in ihrer Musik. Rechtsrock ist also kein eigener musikalischer Stil, sondern einfach nur Musik mit extrem rechten Texten.
Jan Raabe
Seit wann gibt es deutschen Rechtsrock?
Schon Anfang der 80er Jahre gab es auch in Deutschland erste Band-Gründungen. Etwa die "Body Checks" aus Moers oder "Endstufe" in Bremen. Und natürlich die später zum Mainstream gewordenen "Böhsen Onkelz" aus Frankfurt, die sich nachdem sie im Punk gestartet waren, zu einer Rechtsrockband entwickelt hatten.
Jan Raabe

Apropos Rechtsterrorismus – erst kürzlich wurde diese Gruppierung bekannt:

Cannabis-Legalisierung: JuLis schießen gegen CDU – "dürfen Spiel nicht mitmachen"
Nemir Ali ist 27 Jahre alt und stv. Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis). Die Freigabe von Cannabis liegt den JuLis als FDP-nahe Nachwuchsorganisation besonders am Herzen.

"Cannabis ist gefährlich!" So ließe sich die Rede von Stephan Pilsinger (CSU) am 23. Februar im Bundestag zusammenfassen. Ganz Unrecht hat er nicht. Nur gilt das natürlich auch für Alkohol. Den liebt Pilsinger, der das Pils bereits im Namen trägt, so sehr, dass er sich für den Wahlkampf 2017 ein eigenes Bier brauen ließ.

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