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Coronavirus: Warum öffnen nur kleinere Geschäfte? Ökonom äußert Verdacht

Hamburg zur Zeit der Corona Pandemie. Schlangestehen am Baumarkt. 15.04.20, Hamburg, Hamburg City *** Hamburg at the time of the Corona pandemic queuing at the DIY store 15 04 20, Hamburg, Hamburg Cit ...
Baumärkte waren in vielen Bundesländern durchgehend geöffnet.Bild: imago images / Thorsten Baering
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Coronavirus: Warum öffnen nur kleinere Geschäfte? Ökonom kritisiert "merkwürdige" Regel

Nach neuer Regelung sollen zunächst Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmeter Ladenfläche öffnen. Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann findet die Neuregelung merkwürdig.
17.04.2020, 06:1517.04.2020, 06:17
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Nach dem Treffen der Landesregierungen und der Bundesregierung am Mittwoch steht ein einheitlicher Plan für eine schrittweise Lockerung der Corona-Maßnahmen:

Öffnen sollen nun zuerst Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern, was etwa der Größe eines mittleren Supermarkts oder eines Schuhladens entspricht. Unabhängig von der Größe sollen auch Buch-, Auto- und Fahrradhändler öffnen. Friseure sollen sich auf eine baldige Öffnung ab dem 4. Mai vorbereiten.

Unverständnis bei Ikea

Bei dem Einrichtungshaus Ikea stößt die Regelung auf Unverständnis: Die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern zu gewährleisten, sei keine Frage der Größe eines Geschäftes, betont eine Ikea-Sprecherin gegenüber watson.

"Ganz im Gegenteil: Gerade größere Unternehmen mit einer größeren Verkaufsfläche können dies gegebenenfalls einfacher umsetzen. Nicht nachvollziehbar ist für uns insbesondere, warum Baumärkte geöffnet sein dürfen, nicht aber Einrichtungshäuser.“
Ikea-Sprecherin

Watson hat mit Rüdiger Bachmann, Wirtschaftsprofessor an der University of Notre Dame in den USA, gesprochen und nach seiner Einschätzung zu den neuen Maßnahmen der Bundesregierung gefragt. Auch der Experte findet einige Regelungen zumindest merkwürdig.

"Gerade große Geschäfte, können, wenn man das klug organisiert, viel besser darauf achten, dass die Kunden Abstand halten."

watson: Die Bundesregierung hat zusammen mit den Landesregierungen beschlossen, zunächst nur Geschäfte bis zu einer Ladenfläche von 800 Quadratmeter zu öffnen. Können Sie das nachvollziehen?

Rüdiger Bachmann: Ich kann das natürlich nur aus ökonomischer Sicht sagen, aber es erscheint mir auch ein wenig merkwürdig. Es scheint mir ein Versuch zu sein, kleinere Unternehmen besonders zu schützen. Das kann man natürlich machen. Aus Wettbewerbsgründen. Es ist nur die Frage, ob das wirklich sinnvoll ist. Gerade große Geschäfte, können, wenn man das klug organisiert, viel besser darauf achten, dass die Kunden Abstand halten. Es kann natürlich sein, dass es andere Gründe gab, die uns nicht mitgeteilt wurden. Möglicherweise haben sich auch Lobbyverbände durchgesetzt.

Rheinland-Pfalz‘ Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte auch zuvor noch angekündigt, es nicht von der Ladengröße abhängig zu machen, wann Geschäfte wieder geöffnet werden…

Eben. Und die ist in dem Zusammenhang auch keine unwichtige Person. Sie hatte gesagt, dass es eine quadratmeterorientierte Lösung für sie nicht geben wird. Gerade ein großes Geschäft hat auch kein Interesse daran, zum Corona-Umschlagplatz zu werden. Das können die sich nicht erlauben, so ihren Ruf zu riskieren.

Was hätten Sie für sinnvoller gehalten?

Ich hätte eine Person-pro-Quadratmeter-Regelung präferiert. Also, dass geschaut wird, wie viel Abstand Kunden halten können. So hatte es Malu Dreyer im Vorfeld auch noch vorgeschlagen. Deshalb bin ich etwas überrascht, dass es nun so gekommen ist.

"Man könnte auch in größeren Kneipen Social-Distancing-Lösungen durchsetzen."

Außerdem sind nach wie vor in vielen Bundesländern die Baumärkte geöffnet. Die sind auch eher selten unter 800 Quadratmeter groß…

Die hat man einfach als essenziell deklariert. Auch ein bisschen merkwürdig. Auf der anderen Seite finde ich das gut. Es war zunächst wichtig, dass wir diesen Lockdown hatten, um den Menschen zu zeigen, dass die Situation ernst ist. Jetzt muss man aber überlegen, wie man die Menschen wieder einigermaßen herausbekommt. Da geht es aber eher um Social Distancing. Es ist wichtig, dass wir Möglichkeiten finden, unser wirtschaftliches Leben wieder hochzufahren, ohne dass wir uns anstecken. Da scheint mir die 800 Quadratmeter-Regelung nicht passgenau zu sein. Man könnte auch in größeren Kneipen Social-Distancing-Lösungen durchsetzen. Oder in anderen Geschäften. Ich verstehe nicht, warum man da nicht einfach Abstandsregelungen durchsetzt und kontrolliert. Dann könnte man das anhand der Anzahl Personen pro Quadratmeter festmachen.

"Wenn man es auf die Einwohnerzahlen bezieht, stehen die USA nicht schlimmer da als die meisten europäischen Länder."

Sie leben in den USA. Wird es bei Ihnen besser gehandhabt?

Naja. Ich gehe hier regelmäßig in einen größeren Supermarkt und die achten sehr auf die Abstände. Dadurch gibt es keine Probleme.

Aus europäischer Sicht klingt die Gesamtsituation mit Corona bei Ihnen in den USA aber eher katastrophal…

Katastrophal ist vielleicht überzogen. Die USA sind auch ein ungleich größeres Land. Wenn man es auf die Einwohnerzahlen bezieht, stehen die USA nicht schlimmer da als die meisten europäischen Länder. Die Todeszahl ist im Verhältnis nicht ganz doppelt so hoch wie in Deutschland, aber Deutschland geht es im europäischen Vergleich sehr gut. Italien, Frankreich und Spanien geht es beispielsweise viel schlechter als den USA, wenn man sich die Todeszahlen pro Einwohner anschaut. Ich bin bei weitem kein Verteidiger von Trumps Politik, wir haben viele Probleme hier, aber was die Corona-Pandemie angeht, geht es uns nicht schlechter als den meisten europäischen Ländern.

April 7, 2020, Albany, NY, United States: New York Governor, Andrew Cuomo D speaking at a press Conference at the State Capitol. Albany United States - ZUMAs197 20200407zaas197240 Copyright: xMichaelx ...
Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York. Das Coronavirus hat die Millionenmetropole schwer getroffen.Bild: www.imago-images.de / Michael Brochstein

Über Donald Trump

"Er ist alles, was ein Land nicht gebrauchen kann, wenn es gerade zusammengeführt werden muss."

Sie hatten bei unserem letzten Gespräch gesagt, Sie hofften, dass die Gouverneure sich gegen Donald Trump durchsetzen, weil ihre Hoffnung auf deren Vernunft beruht. Welchen Einfluss haben sie aktuell auf die Ausbreitung der Corona-Pandemie und wie sind die Unterschiede in den Bundesstaaten, was die Corona-Fälle angeht?

Also das variiert in den USA stark, so wie in Europa eben auch. In Kalifornien sind die Todeszahlen noch sehr niedrig, während an der Ostküste in New York die Kliniken stark überlastet sind. Aber das hat wenig mit der Politik der einzelnen Gouverneure zu tun. In beiden Staaten sind Demokraten an der Macht. Andrew Cuomo in New York halte ich für einen sehr fähigen Politiker, aber da gab es mit die ersten Corona-Fälle, als noch völlig unklar war, was das für eine Krankheit ist. Es gibt da verschiedene Theorien, wo das herkam. Manche sagen, es läge am chinesischen Neujahr und den Feiern in China-Town. Andere sagen, es liegt an vielen italienischen Touristen, die im Januar in New York waren. Das ist aber alles vergangen. Mich interessiert mehr, was jetzt passiert.

Und wie nehmen Sie die aktuelle US-Politik in der Krise aktuell wahr?

Andrew Cuomo scheint mir mehr auf die Wissenschaftler zu hören. Donald Trump ist eben ein furchtbar fahriger und unsolidarischer Krisenmanager. Er ist alles, was ein Land nicht gebrauchen kann, wenn es gerade zusammengeführt werden muss. Hätte Hillary Clinton das besser gemacht? Das ist eine gute Frage. Es gibt viele strukturelle Probleme, die hätte sie auch nicht aus der Welt schaffen können. Womöglich hätte sie früher reagiert und sich fähige Leute zusammengesucht, um mit der Krise umzugehen. Eventuell wäre die Todeszahl dann niedriger. Aber ob es viel weniger gewesen wären, ist reine Spekulation.

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