Ricarda Lang, 24, ist Vorsitzende der Grünen Jugend. Ein Interview über #fatshaming, Sexismus und alltäglichen Rassismus rund um #MeTwo,
Frau Lang, wie kam es zu diesem Tweet?
Ich
saß in der Bahn, gegenüber saßen eine Frau und ein Mädchen, so zehn Jahre alt.
Das Kind griff nach einer Tüte mit Keksen, die auf dem Tisch stand. Die Frau
tätschelte ihm auf den Bauch und sagte leicht scherzhaft: ‚Na, ob das so gut
ist?!‘ Das hat mich an eigene Erfahrungen erinnert. Ich war als Kind und
Jugendliche schon dicker und hab‘ öfter die Erfahrung gemacht, dass genau
solche Sprüche von Bekannten, aus der Familie, in der Schule kommen, die in
erster Linie nicht böse gemeint sind, aber doch ein bestimmtes Körperideal
transportieren und sehr verletzend wirken. Gerade Mädchen wird so vermittelt, du
bist weniger liebenswert, wenn du dick bist. Auch der Akt des Essens wird mit
Scham und Ekel verbunden.
Es gibt die Bewegung hin zu Body Positivity. Glauben Sie, da bewegt sich
was in der Gesellschaft?
Es
gibt sehr viele positive Entwicklungen, immer mehr dicke Frauen treten
öffentlich auf und lassen sich nicht einreden, dass sie sich für ihren Körper
schämen müssen. Auch in den sozialen Medien. Auf Instagram wird selbstbewusst
Mode für fette Frauen angeboten, da denke ich immer: Cool, wenn es das gegeben
hätte, als ich 14 war, das wäre für mich total empowernd gewesen.
Dennoch muss man sehen: Gleichzeitig haben gerade in den sozialen Medien auch
Hate Speech und die offene Anfeindung von Frauen, die nicht dem klassischen
Schönheitsideal entsprechen, extrem zugenommen.
Ist Ihnen das schon selbst passiert?
Ja.
Und wird das dann vermischt mit politischen Äußerungen?
Ja.
Egal, zu was ich mich äußere: Kohlekraft, Schule, Finanzpolitik, bekomme ich
gerade auf Twitter und Facebook Kommentare, die sich auf meinen Körper
beziehen. Das reicht von vermeintlich gut gemeinten Gesundheitsratschlägen bis
hin zu widerlichen Beleidigungen.
Und wie gehen Sie damit um?
Ich
habe mich entschieden, offen darüber reden. Ich hab‘ dafür ein bisschen
gebraucht, weil ich das Gefühl hatte, gesteh' bloß keine Schwäche ein und gib
den Trollen keine Aufmerksamkeit. Irgendwann habe ich gemerkt, eigentlich
gewinnen die, wenn mich zurückziehe und mich in meiner politischen Aktivität
einschränke.
Und wie ist das im privaten Umfeld?
Ich
glaube, es nützt niemandem was, die Dinge schön zu reden, und so zu tun, als ob
es im Grünen-Kontext nicht auch Sexismus gäbe. Wir sind nicht frei von
gesellschaftlichen Strukturen. Aber es gibt eine andere Offenheit und
Bereitschaft, sich bewusst damit auseinanderzusetzen. Ich habe – gerade im
privaten Umfeld – viel Zuspruch für den offenen Umgang mit diesen Themen
erfahren.
Essen ist ein sensibles Thema. In Kitas wird
gebeten, keine Süßigkeiten mitzubringen. Erleben Sie eine Radikalisierung des
öffentlichen Raums?
Es
gibt schon ein stärkeres Bewusstsein für Gesundheit. Ich finde es auch gut,
dass bestimmte Verbraucherschutzregeln zugenommen haben, wie die
Lebensmittelampel und ähnliches. Problematisch wird es dann, wenn diese Regeln
mit der Abwertung von bestimmten Körpern verbunden werden. Also geht es darum:
Was würden Sie Eltern raten?
Erstmal zeigen, das Kind ist gut
so, wie es ist. Da war meine Mutter vorbildlich. Dann lässt sich auch über
Gesundheit und bestimmte Regeln rund um das Thema Essen reden. Es gibt ja auch
andere Regeln, wie Bettzeiten, die erklärt werden müssen.
Würden Sie die Einführung einer Zuckersteuer begrüßen? Ja, Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen für gesunde Ernährung widerspricht mich nicht dem Kampf gegen gesellschaftliches #fatshaming.
In der Politik wird der Körper bewusst eingesetzt. Jungs
demonstrieren Leistungsfähigkeit, Joschka Fischer lief als Außenminister stolz
den Marathon. Heiko Maas ist Triathlet und postet vor der UN-Sitzung Fotos vom
Joggen im Central Park? Wie politisch ist der Körper
Was
wir hier stark erleben ist Körperlichkeit als Ausdruck Leistungsfähigkeit. Das
spiegelt eine neoliberale Logik von Selbstoptimierung wider. Ich bin meine
Ich-AG und muss mich selbst perfektionieren für die Arbeit, für die
Gesellschaft. Das geht auch an Politkerinnen nicht spurlos vorbei.
Emmanuel
Macron, Barack Obama – müssen Politiker Posterboys sein, wenn sie Popstars sein
wollen?
Ich
glaube nicht, dass Aussehen etwas über die politische Kompetenz aussagt.
Politikerinnen sollten Leidenschaft für ihre Ideen zeigen, und andere davon
begeistern können. Das Aussehen sollte da nicht der ausschlaggebende Faktor
sein.
Ist das so oder wünschen wir uns das?
Wenn wir ein Ideal haben, das wir uns wünschen, dann ist das auch ein Ideal
für das es sich zu kämpfen lohnt.
Ricarda Lang: Das sieht erstmal gesund aus. Parteitagsessen ist nicht immer erfreulich
Ricarda Lang: Das ist ein obligatorisches Politikerbild. Das aktive Zeigen vor Ort.
Ricarda Lang: Ich bin großer Fan von Konstantin von Notz auf Instagram. Er bringt Politikerbilder immer mit einem bestimmten Witz rüber.
Ricarda Lang: Weitblick!
Ricarda Lang: Da fällt mir nicht viel zu ein. Hotelzimmer?!
Ricarda Lang: Ein sehr schönes Grünen-Foto. Aber mit Augenzwinkern.
Ricarda Lang: Erinnert mich an das Waldtheater, in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin.
Was wäre denn Ihr Motiv?
Ich
hab zuletzt viele Pride-Bilder gepostet, da ich auf vielen CSDs unterwegs war.
Ich mag es auch, einen gewissen Hedonismus zu zeigen. Politik ist oft hart, aber
es geht auch um Spaß, Genuss und Lebensfreude.
Grünen Ko-Chef Robert Habeck tourt derzeit mit einer Patriotismustour durch Deutschland. Er besucht Orte der 1848er-Revolution wie Raststatt aber auch nationalaufgeladene Orte wie die Wartburg oder das Hermanns-Denkmal.
Gibt
es für die Grünen beim Thema Patriotismus was zu gewinnen?
Nein. Patriotismus ist kein Terrain, auf dem die Grünen gewinnen können. Patriotismus,
genau wie der Heimatbegriff, sind ganz klar konservativ geprägte Begriffe. Ich
begreife nicht, warum wir uns von den Rechten dazu drängen lassen sollten, konservative
Konzepte zu verteidigen, statt ihnen neue, eigene Gegenentwürfe entgegenzusetzen.
Lohnt
es sich nicht, einer Umwertung historischer Orte und ihrer Werte
entgegenzutreten?
Republikanische
Orte wie Rastatt oder die Paulskirche zu besuchen, ist interessant, aber der
Bedeutungsrahmen, der mit dem Motto "Des Glückes Unterpfand" aufgemacht wird,
ist falsch.
Was verstehen Sie unter dem großen Wort
Universalismus?
Es
ging bei den republikanischen Bewegungen seit der französischen Revolution um
Gleichheit und Freiheit. Progressive linke Politik setzt da an, wo diese Werte
zwar formal ausgesprochen, aber tatsächlich nicht umgesetzt werden. Wir müssen
Wege zeigen, dieses universelle Versprechen auch wirklich einzulösen: mehr
Gerechtigkeit schaffen, mehr soziale Teilhabe, die auch individuell mehr
Selbstwertgefühl schafft. Dass die Menschen nicht mehr so krass auf kollektive
Identitätsangebote für ihre Selbstwertbestimmung angewiesen sind.
Das klingt schön, wie lässt sich das
konkret auf die politische Alltagsagenda in Deutschland übersetzen?
Es
gibt ein paar Forderungen, die das gut zum Ausdruck bringen:
Da fehlt jetzt das Grundeinkommen?
Ich
halte das für eine spannende Idee, aber es gibt die Tendenz, darin ein
Allheilmittel zu sehen. Davor würde ich warnen. Die Entkopplung von würdevollem
Leben und Leistungsarbeit ist aber begrüßenswert.
Der politische Raum erlebt eine zunehmende Polarisierung? Wie nehmen
Sie die Diskussion um Mesut Özil und die #MeTwo-Debatte wahr?
Die Debatte hat viele
gesellschaftliche Entwicklungen offengelegt. Auf der einen Seite finde ich die
Kritik an dem Foto notwendig. Da fand ich auch Özils Statement nicht klar genug,
er posierte schließlich mit einem Autokraten. Das Problem war aber, dass die
Debatte nicht geführt wurde unter dem Stichwort, ist das demokratisch oder
nicht, sondern ist er deutsch oder nicht. Also wieder eine Identitätsdebatte,
bei der es in erster Linie um Ausgrenzung und die Rationalisierung
rassistischer Argumentationsmuster ging.
Lässt sich aus der Debatte auch etwas lernen?
So vergiftet
diese Debatte war, wurde sie immerhin Ausgangspunkt für eine gesellschaftlich
wichtige Diskussion. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir Rassismus nur bei
den Rechten suchen. Rassismus reicht, gerade in der Form des Alltagsrassismus,
in alle Teile der Gesellschaft. Davor haben viele in den vergangenen Jahren die
Augen verschlossen.
Glauben Sie denn das die Debatte etwas verändern kann, gerade mit Blick
auf #MeTwo?
Ich würde es mir wünschen. Es gab
vor ein paar Jahren ja schon mal eine Debatte unter dem Stichwort ,Schau hin‘.
Die Reaktionen habe ich damals als weniger ignorant wahrgenommen. Jetzt ist die
Abwehrhaltung ja unglaublich stark, etwa wenn Außenminister Maas erklärt, die
Debatte schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Nicht #MeTwo schadet dem
Ansehen, sondern Rassismus.
Und
ist es Ihnen schon mal passiert?
Bei
sexistischen Ausfällen auf jeden Fall. Slut Shaming, also Frauen schlecht
machen, die ihre Sexualität offen ausleben, da habe ich mich in meiner Jugend
auch aktiv daran beteiligt. Da ging es um überkommene Vorstellungen, wie
Frauen mit ihrer Sexualität umzugehen haben. Und ich habe mich auch schon
erwischt, wie mein erster Gedanke ‚Ah, wirklich?‘ war, wenn mir eine Person of
Colour erzählte, dass sie aus Darmstadt kommt. Ich halte nichts davon, so zu
tun, als wäre man selbst total unbeeinflusst von gesellschaftlichen
Herrschaftsverhältnissen oder stünde da total drüber.