Deutschland
Interview

Rücktritt Sebastian Kurz: Medienexpertin Nocun fordert mehr Medienkompetenz

Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun fordert mehr Medienkompetenz.
Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun fordert mehr Medienkompetenz.Gordon Welters
Interview

"Wir haben uns viel zu wenig darüber unterhalten, was ethische Formen von Wahlwerbung sind": Medienexpertin Katharina Nocun über das Verhältnis von Politik und Medien in Deutschland

12.10.2021, 09:2212.10.2021, 12:31
Mehr «Deutschland»

Nach Berichten über eine mögliche Einflussnahme aus dem Umfeld des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz auf Medien kündigte der Politiker seinen Rückzug an, bestreitet die Vorwürfe jedoch. Im Gespräch mit watson analysiert die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun das Verhältnis von Politik und Medien in Deutschland.

Watson: Der angekündigte Rücktritt des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz hat eine Debatte über die Nähe von Politik und Medien ausgelöst. Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland ein?

Katharina Nocun: Es gab schon immer Medien, die politisch eher rechts oder links gelagert waren. Problematisch wird es dann, wenn der Eindruck entsteht, es werde eine bestimmte Parteilinie gefahren. In einer Demokratie sind Medien eine wichtige Kontrollinstanz. Spätestens in dem Moment, wo es dem Leser nicht mehr ersichtlich ist, ob es sich um einen neutralen Beitrag handelt oder ob es Querverbindungen zu Parteien gibt, haben wir ein Problem.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Hochgradig problematische Strukturen wurden in der Debatte um den "Deutschland-Kurier" deutlich. Die kostenlos verteilte Wahlkampf-Zeitschrift stammte aus dem AfD-Umfeld, es gab auch positive Beiträge zu der Partei. Es gab Interviews mit AfD-Politikern, ohne dass die Verbindung zwischen den Finanziers und der Partei transparent gemacht wurden.

"So funktioniert guter Journalismus: Skandale aufdecken, nicht nur im entgegengesetzten
politischen Lager"

Auch viele größere Verlage und Zeitungen lassen sich politischen Lagern zuordnen. Die als Grünen-nah geltende "taz" fällt hingegen immer wieder auch durch sehr kritische Beiträge über diese Partei auf.

Am Beispiel der "taz" sieht man, dass es eine gute Strategie sein kann, auch kritisch über Parteien und Strömungen zu berichten, denen man eigentlich zuneigt. Gerade wenn es um Konflikte innerhalb der Parteien geht, das interessiert die Leser. So funktioniert guter Journalismus: Skandale aufdecken, nicht nur im entgegengesetzten politischen Lager.

Als problematisch sehe ich dagegen, dass die "Welt" einer Kolumne ein Forum bietet, in der regelmäßig Hasskampagnen gegen Anti-Rechtsextremismus-Aktivistinnen und -Aktivisten losgetreten werden.

"Wir brauchen mehr Medienkompetenz, um ein besseres Verständnis zu bekommen von Meinungsmache im Netz"

Welche Rolle spielen die sozialen Medien, Stichwort Fake News?

Social Media kann einen sehr positiven Effekt auf die Demokratie haben. Marginalisierte Gruppen haben eine Stimme, User können sich unter Pseudonym oder anonym äußern. Gerade bei Themen, wo man damit rechnen kann, Opfer von Drohungen oder Gewalt zu werden. Etwa bei Rechtsextremismus und Feminismus.

Was wären negative Effekte?

Die Strukturen großer Plattformen. Facebook kann allein entscheiden, wann sie einen Faktencheck ergänzen wollen und wann sie Inhalte von der Seite verbannt. YouTube hat überhaupt keinen richtigen Faktencheck, dort wird einfach auf Wikipedia verlinkt. Die Plattformen haben Einfluss auf die Wahlentscheidungen der Menschen.

Wir haben uns als Gesellschaft viel zu wenig darüber unterhalten, was ethische Formen von Wahlwerbung sind. Im vorletzten US-Präsidentschaftswahlkampf wurde öffentlich, dass zahlreiche eigene gegründete Online-Zeitungen positive Beiträge über Donald Trump veröffentlicht haben. Wir brauchen insgesamt mehr Medienkompetenz, um ein besseres Verständnis zu bekommen von Meinungsmache im Netz, Information und Desinformation.

Katharina Nocun ist Medienexpertin, Publizistin, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin. 2013 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland und trat 2016 aus.

Digitalpakt Schule soll fortgesetzt werden: Wie sinnvoll ist das?

Von allen Seiten hörte man vor allem im vergangenen Jahr die Warnung: Der Digitalpakt Schule darf nicht ohne Folgefinanzierung auslaufen. Das sei ein verheerendes Signal in Sachen Bildung und digitale Schule.

Zur Story