Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und doch gibt es in Deutschland viele Menschen, die seit langem keinen Job haben. Sogenannte Langzeitarbeitslose sollen nun den Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden. 4 Milliarden Euro will die Bundesregierung in die Hand nehmen und 150.000 Menschen staatlich finanzierte Jobs verschaffen.
Zuschüsse sind gut, doch der wichtigste Grund für Langzeitarbeitslosigkeit wird von der Politik ignoriert, sagt Professor Ulrich Hegerl. Er ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Depressionshilfe und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Seit 20 Jahren liegt sein Forschungsschwerpunkt auf dem Thema Depression.
Seine Überzeugung: Langzeitarbeitslose brauchen psychosoziale Betreuung, für die der Bund nicht genügend Geld zur Verfügung stellt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen geholfen werden kann eine Arbeit zu finden und was die Regierung seiner Meinung nach tun müsste.
watson: Die Regierung will Langzeitarbeitslosen
verstärkt helfen, in einen Job zurückzufinden. Sie kritisieren, das Programm
reiche nicht aus. Warum?
Ulrich Hegerl: Der Vorschlag ist zu begrüßen,
aber ein wichtiger Punkt fehlt: 66 Prozent der Langzeitarbeitslosen, also zwei
Drittel, leiden nach einer Studie der Universität Leipzig unter
psychischen Erkrankungen. 40 Prozent davon unter Depressionen. Diese Menschen erhalten zu 90 Prozent keine oder keine
optimale Behandlung. Zuschüsse sind schön und gut aber sie werden die Depressionen und andere psychische Erkrankungen von Menschen nicht wegzaubern.
Mit was für psychischen Problemen haben
Langzeitarbeitslose denn zu kämpfen?
Wir sehen viele Menschen mit
Suchtproblemen, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen. Am häufigsten ist jedoch die Depression.
Warum ist das so?
Sie ist meist nicht Folge der Arbeitslosigkeit, wie oft gedacht wird, sondern Ursache. Wir sehen täglich, dass Menschen, die immer wieder in über Monate andauernde depressive Krankheitsphasen rutschen, ein hohes Risiko haben, arbeitslos zu werden. Dies gilt auch für Menschen mit Angststörungen oder Suchterkrankungen. Diese können sich auch erst durch die Langzeitarbeitslosigkeit entwickeln.
Wieso wird das nicht häufiger thematisiert?
Die Depression wird als Reaktion auf die schwierigen Lebensumstände fehlinterpretiert, verbunden mit der Vorstellung, dass diese verschwindet, sobald der Mensch wieder in Arbeit ist. Das wird aber nicht passieren. Die Depression besteht oft bereits vor der Arbeitslosigkeit. Dass Depression eine sehr häufige, schwere und eigenständige Erkrankung ist, wissen die meisten Politiker nicht.
Wie kann man ihrere Meinung nach den Menschen helfen?
Wir haben an der Uniklinik
Leipzig gemeinsam mit dem Jobcenter 2011 ein Projekt namens "Psychosoziales Coaching" für ältere Langzeitarbeitslose gestartet. Bis Ende 2017 wurden 1300 Menschen mit Verdacht auf eine psychische Erkrankung beraten und 70 Prozent an eine Behandlung weitervermittelt.
Dabei haben wir
festgestellt: Unzureichend behandelte psychische Erkrankungen sind die größte Barriere, um Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Eine subventionierte Vermittlung, so wie Heil sie plant, wird deutlich erfolgreicher sein, wenn zuvor auf eine leitlinienkonforme Behandlung bestehender psychischer Erkrankungen geachtet wird.
In einigen Jobcentern werden doch schon Gruppenprogramme
wie Strategisches Stressmanagement, Entspannung oder Aktiver Alltag angeboten.
Dies ist sicher für viele hilfreich, jedoch keine Behandlung beim Vorliegen von psychischen Erkrankungen. Diese Menschen brauchen eine genaue Diagnostik und dann eine Vermittlung in eine Behandlung, die in der Regel von Hausärzten und Fachärzten wie Psychiatern und Nervenärzten und psychologischen Psychotherapeuten angeboten wird.
Sie schlagen also das "Psychosoziale Coaching" vor. Wie sieht das genau aus?
Zuerst werden die
Mitarbeiter des Jobcenters geschult, zu erkennen, ob jemand eine psychische
Erkrankung haben könnte. Besteht der Eindruck, dies ist der Fall, dann wird dem Betroffenen eine freiwillige Teilnahme am Coaching angeboten – das dann aber auch
direkt im Jobcenter stattfindet. Dabei kooperiert das Jobcenter direkt mit
einer Versorgungseinrichtung, wie einer Klinik vor Ort, die den eingesetzten
Psychologen oder Arzt entsendet. Diese prüfen dann in einem Erstgespräch, ob eine psychiatrische Erkrankung vorliegt
und ob diese entsprechend behandelt wird. Der Mensch erhält dann
Informationen zu seiner Erkrankung und wird dabei unterstützt, in die richtige
Behandlung zu kommen.
Was war das Ergebnis?
Die Mitarbeiter des Jobcenters in Leipzig berichten über sehr gute Vermittlungsraten von 30 % in sozialversicherungspflichtige Arbeit. Sie führen das auf das Psychosoziale Coaching zurück. Positive Erfahrungen werden auch aus Marburg und Berlin-Lichtenberg berichtet, wo dieses Konzept ebenfalls implementiert worden ist.
Wie lange muss jemand nach Ihrer Erfahrung behandelt
werden, bevor er arbeiten kann?
Das hängt von der Schwere
und Art der psychischen Erkrankung ab. Manchmal kann die Behandlung auch
parallel zum Arbeitseinstieg ablaufen. Unterstützend werden Begleitprogramme wie Stressbewältigung und progressive
Muskelentspannung angeboten. Der Kern ist aber die Vermittlung in die Regelversorgung.
Hauptsäulen der Behandlung bei der Depression sind Antidepressiva und Psychotherapie.
Was müsste jetzt passieren?
Und dann kommt die Frage: Wie kann das
finanziert werden? Es ist eine Leistung, die von außen hinzukommt und da ist
unklar, aus welchem Topf das Geld kommt.
Was sagt die Bundesregierung zu Ihren
Vorschlägen?
Wir haben Arbeitsminister Heil bereits vor einigen Monaten informiert und jetzt erneut angeschrieben und hoffen auf eine Antwort.