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Interview

Aktivist gegen Rechts: Wie ein junger Ostdeutscher von Neonazis bedroht wird

Jakob Springfeld ist jung, ostdeutsch und engagiert sich gegen Rechts. Über seine Erfahrungen mit Neonazis in seiner Heimatstadt Zwickau hat er ein Buch geschrieben.
Jakob Springfeld ist jung, ostdeutsch und engagiert sich gegen Rechts. Über seine Erfahrungen mit Neonazis in seiner Heimatstadt Zwickau hat er ein Buch geschrieben.bild: Calvin Thomas
Interview

Aktivist gegen Rechts: Wie ein junger Ostdeutscher den Mut nicht verliert – "psychisch anstrengend"

01.10.2022, 14:08
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Jakob Springfeld stellt sich Nazis entgegen und wurde dafür in seiner Heimatstadt Zwickau angefeindet. Der Fridays-for-Future-Aktivist hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Mit watson hat er darüber gesprochen.

Watson: Jakob, du schreibst in deinem Buch "Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts" davon, wie Mostafa, ein Freund von dir, der aus Afghanistan geflüchtet war, in deiner Heimatstadt Zwickau Anfeindungen von Rechten ausgesetzt war. War das der Moment, in dem du Rassismus bewusst wahrgenommen hast?

Jakob Springfeld: Es gab auf jeden Fall mehrere Punkte, die irgendwie zusammengespielt haben. Dadurch, dass ich so viele Kontakte mit geflüchteten Menschen aus Afghanistan und Syrien hatte, habe ich den Rassismus denen gegenüber bemerkt. Diese Ausländer-raus-Parolen bei den sogenannten Montags-"Spaziergängen" gab es auch schon vorher. Aber durch die Freundschaft mit Mostafa wurde es nochmal konkreter und persönlicher – wenn er mir beispielsweise von den Beleidigungen erzählt hat.

Ein persönlicher Schlüsselmoment war aber, als ich auf dem Heimweg nach der Schule, plötzlich angeschrien wurde. Ich hatte meinen "Refugees-Welcome"-Pullover an.

Wie alt warst du zu dem Zeitpunkt?

Um die 14 Jahre alt.

Du hattest gesagt, dass du vorher in einer privilegierten Situation warst. Mit deinem Aktivismus für Fridays for Future, änderte sich deine Lage. Du wurdest plötzlich auf der Straße erkannt.

Genau. Wir haben eben sehr schnell festgestellt, dass sich auch diese Feindbilder der Rechten auf neue Themen beziehen. Plötzlich war es dann wirklich so, dass wir auf Klima-Demos – mit vor allem minderjährigen Schüler:innen – ständig von Rechten gefilmt wurden. Oder dass Leute vor und nach den Demos beleidigt wurden. Und da ist dann eben so ein Foto von mir auf diesem russischen Facebook gelandet.

Beim sozialen Netzwerk VK?

Genau.

Das ist neben Telegram eines der beliebtesten Netzwerke unter Rechten.

Richtig. Das ist es. Das Foto hat mich dann in dieser extrem rechten Szene noch bekannter gemacht. Aber bis ich diese Strukturen verstanden habe – auch wer so dahinter steckt – hat es diese Geschichte mit dem gefällten Gedenkbaum gebraucht.

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Gedenkort für NSU-Opfer: Nachdem ein Gedenkbaum abgesägt wurde, legten Bürger:innen Blumen nieder.Bild: IMAGO / Eibner

Was genau ist passiert?

Die Stadt hatte einen Baum zur Erinnerung an Enver Şimşek gepflanzt. Er war das erste Opfer des NSU-Kerntrios. Dieser Gedenkbaum wurde kurz nachdem er gepflanzt wurde, wieder abgesägt. Viele haben erst dadurch vom Gedenkbaum erfahren.

Mir ging es auch ein bisschen so. Wir haben eine Gedenkminute organisiert. Ab da habe ich mich überhaupt erst mehr mit diesen Strukturen auseinandergesetzt. Ich habe dann gemerkt, dass die Leute, die mich auf der Demo beleidigt haben, teilweise zum NSU-Unterstützungsnetzwerk in Zwickau gehört haben. Das war ein Bewusstwerden davon, wie krass das verknüpft ist in Zwickau.

Wie bist du damit umgegangen?

Man versucht das natürlich so wenig wie möglich an sich heranzulassen. Aber teilweise haben wir es hier eben mit gewaltbereiten, gut organisierten Neonazis zu tun.

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Jokob Springfeld traf 2019 Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie besuchte in Zwickau den Gedenkort für die NSU-Opfer.Bild: IMAGO / Eibner

Auf den ersten acht Seiten deines Buches stehen erst einmal nur Namen. Von Menschen, die seit 1990 von Rechten ermordet wurden. Was wolltest du damit bewirken?

Es ist krass, dass man Stress bekommt, wenn man seine antifaschistische Meinung sagt. Mir ist wichtig zu sagen, dass vor solchen Erfahrungen noch viel tiefgreifendere stehen. Erfahrungen anderer Menschen, die nichts dafür konnten und oftmals zu Tode gekommen sind. Das ist ein tiefer Einstieg. Vielleicht kann man das Ganze dadurch besser einordnen. In meinem Buch soll es nicht darum gehen, mein Schicksal über das Schicksal anderer zu stellen.

Du beschreibst an einer Stelle im Buch, dass das NSU-Kerntrio – Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – eine Zeit lang in der Nähe deiner Grundschule gelebt hat.

Alle wissen eigentlich nur von dem Haus, das am Ende von den NSU-Terroristen in die Luft gesprengt worden ist – in der Frühlingsstraße. Aber das Kerntrio hat davor in Zwickau-Marienthal und davor in Eckersbach gewohnt. Und in Eckersbach war meine Grundschule. Für mich war ein krasser Moment, als ich herausgefunden habe, dass eine gute Grundschul-Freundin, in die ich auch mal verliebt war, in derselben Straße gewohnt hat wie das NSU-Kerntrio.

Letztens war ich wieder mit Freund:innen dort unterwegs. Wir haben uns einen Döner geholt. Ich erzählte so: Hier übrigens, diese Bankfiliale wurde vom NSU ausgeraubt. Das hat sie überrascht. Viele Hintergrundinfos geraten langsam in Vergessenheit oder waren der Stadtgesellschaft nie wirklich bekannt.

Bildnummer: 56933834 Datum: 20.01.2012 Copyright: imago/Eibner
Haus, in dem die Zwickauer Terrorzelle wohnte Gesellschaft Rechtsextremismus Terror Untersuchung Ermittlungen Zwickauer Terrorzelle NSU N ...
Das Haus in der Frühlingsstraße, in dem das NSU-Trio (Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe) wohnte.bild: IMAGO / Eibner

Wolltest du mit deinem Buch gegen das Vergessen schreiben?

Die Stadtgesellschaft braucht auf jeden Fall immer wieder Nadelstiche. Und Druck. Sonst bedeutet Gedenken leider oft nur, dass man Bäume pflanzt und sich dann denkt, dass alles getan sei. Es muss sich aber gesellschaftlich etwas ändern. Den ersten Impuls, ein Buch zu schreiben, hatte ich, weil ich die Anfeindungen psychisch verarbeiten wollte.

Du bist zum Studium nach Halle gezogen. Wolltest du Abstand zu Zwickau gewinnen?

Ich bin nach Halle gezogen, um etwas Geisteswissenschaftliches zu studieren. Die Hochschule in Zwickau ist sehr technisch geprägt. In Halle habe ich außerdem mit drei Freunden von mir eine gemeinsame WG gegründet. Dass Neonazis in Halle meine Adresse nicht kennen, macht es bedeutend entspannter für mich. Auch, dass mein Gesicht da noch nicht so bekannt ist. Ich kann da einfach viel freier durch die Stadt laufen.

Bist du denn gar nicht mehr entspannt, wenn du in Zwickau bist?

Ich bin sehr gern in Zwickau. Wenn der Besuch in Zwickau zu Ende ist, freue ich mich aber immer wieder nach Halle zu fahren. Da es schon sehr oft vorkommt, dass etwas passiert: Dass man ein neues Hakenkreuz in der Stadt entdeckt. Oder, dass Freunde wieder beleidigt werden. Das ist psychisch auf Dauer schon sehr anstrengend.

Wie drückt sich das aus?

Freund:innen von mir sagen, dass ich einen Nazi-Sticker-Reflex habe. Ich mache das nicht mit Absicht. Mir fallen die Nazi-Sticker an den Laternen sofort auf. Das war früher nicht so. Wenn ich jetzt durch Zwickau laufe, scanne ich die Leute. Ich denke dann: Das könnte jetzt eine rechts eingestellte Person sein. Ich habe auch ganz lange überlegt, ob das irgendwie Paranoia ist. Es macht aber einfach Sinn, vorsichtiger zu sein.

Wirst du erkannt, wenn du in Zwickau bist?

Ja.

Wie geht es dir damit?

Wenn ich von lieben Menschen erkannt werde, dann freue ich mich darüber. Wenn ich von Nazis erkannt werde, dann löst das ein ungutes Gefühl aus. Sollten sie nicht direkt vor mir stehen, dann versuche ich das zu ignorieren und weiterzugehen.

Wie geht es deiner Familie damit, dass du so im Visier von Rechtsextremen bist?

Sie unterstützen mich nach wie vor. Sie machen sich aber natürlich Gedanken. Weil sie Sorge haben, dass mir etwas passieren könnte. Wenn man selbst irgendwas abkriegt, ist es scheiße. Aber so eine der schlimmsten Situationen war ohne Zweifel die, als meine Mama und meine Schwester dabei waren: Da waren wir in der Stadt Eis essen. Ein Nazi hat mich erkannt und uns angeschrien.

Es ist zum Glück nichts weiter passiert. Aber da denkt man dann: Die können jetzt wirklich gar nichts dafür, die waren auf keiner Demonstration. Deshalb habe ich auch einige Menschen im Buch anonymisiert. Weil ich gern darüber berichten wollte, aber man muss auch aufpassen, andere Leute nicht mit in Gefahr zu bringen.

Jakob Springfeld engagiert sich auch bei Fridays for Future – hier ist er beim Klimastreik in Dresden.
Jakob Springfeld engagiert sich auch bei Fridays for Future – hier ist er beim Klimastreik in Dresden.bild: privat

Hast du dir schonmal Gedanken gemacht, dein aktivistisches Engagement zu beenden?

Hätte ich damals schon gewusst, welche Konsequenzen sich aus meinem Aktivismus ergeben können, dann weiß ich nicht, ob ich das unbedingt genauso gemacht hätte. Aber jetzt ist das so: Mein Gesicht ist verbrannt und Nazis wissen, dass ich antifaschistisch eingestellt bin. Warum mache ich es dann nicht einfach weiter?

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