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Interview

Autorin Jana Hensel: "Die Öffentlich-Rechtlichen haben ein Wessi-Problem"

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Die Autorin Jana Hensel wurde durch ihr biografisches Essay "Zonenkinder" bekannt. null / imago images
Interview

Autorin Jana Hensel: "Die Öffentlich-Rechtlichen haben ein Wessi-Problem"

Journalistin und Autorin Jana Hensel erklärt im Interview, warum es bei der Debatte in Sachsen-Anhalt um weit mehr als eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags geht, wieso Ministerpräsident Reiner Haseloff für seinen Widerstand ihre Sympathie hat – und welches Problem sie bei den Öffentlich-Rechtlichen sieht.
10.12.2020, 05:0010.12.2020, 15:57
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Nun soll es das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klären: Nach dem Veto von Sachsen-Anhalt gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent muss nun das höchste Gericht der Bundesrepublik darüber entscheiden, ob ARD, ZDF und Deutschlandradio teurer werden.

Trotz erfolgreichem Veto bleibt am Ende in Sachsen-Anhalt viel verbrannte Erde. Schließlich führte die Affäre in letzter Konsequenz zum Rücktritt von Innenminister Holger Stahlknecht und beinahe zum Koalitionsbruch. Die Intensität der Auseinandersetzung zeigt: Es geht um deutlich mehr als einen Inflationsausgleich, der an sich eigentlich reine Formsache sein sollte. Es geht um die Frage, ob man mit der AfD gemeinsame Sache machen darf und inwieweit sich Ostdeutsche im gebührenfinanzierten Rundfunk repräsentiert fühlen.

Streit um Erhöhung des Rundfunkbeitrags
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte am Dienstag das Gesetzesvorhaben zum höheren Rundfunkbeitrag aus dem Landtag zurückgezogen, noch bevor dieser final darüber abstimmen konnte. Damit wollte Haseloff ein gemeinsames Veto seiner CDU allein mit Stimmen der AfD verhindern und mitten in der Corona-Krise den Fortbestand der schwarz-rot-grünen Koalition sichern. SPD und Grüne wollten das Vorhaben der Länder mittragen. Die Landes-CDU war strikt dagegen.

Die Zurückziehung bedeutet eine Blockade der Beitragsanpassung, da jetzt nicht mehr wie vorgegeben alle Landtage bis Jahresende grünes Licht geben können. Die anderen 15 Landesparlamente haben zugestimmt oder ein Ja gilt als unstrittig.

Um zu verstehen, warum die Debatte in dieser Intensität geführt wird, hilft es, sich mit der Gefühlslage im Osten der Republik auseinanderzusetzen. Autorin und Journalistin Jana Hensel erklärt im Interview mit watson, warum es im Osten Deutschlands starke Vorbehalte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt und Reiner Haseloff für seinen Widerstand gegen die anderen Bundesländer und ARD und ZDF ihre Sympathie und Unterstützung hat.

"Wir brauchen eine demokratisch geführte Debatte über die fehlende Sichtbarkeit und Repräsentation von Ostdeutschen."

watson: Inzwischen ist ein Innenminister gestürzt und eine Regierung drohte zu zerbrechen. Doch ganz ursprünglich ging es bei der Affäre in Sachsen-Anhalt um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Sie sagen, Sie können die Position des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff verstehen. Warum?

Jana Hensel:
Es geht hier einerseits um einen Inflationsausgleich, der nun durch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt zunächst verhindert wurde. Und andererseits geht es um viel mehr.

Worum denn?

Wir brauchen eine demokratisch geführte Debatte über die fehlende Sichtbarkeit und Repräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund. In den Medien, aber natürlich auch in vielen anderen Bereichen. Reiner Haseloff führt diese Debatte auf dem Feld der Medien im Moment so sichtbar wie kaum ein anderer Politiker.

Aber führt er sie auch aus den richtigen Gründen? Die Argumentation des nun entlassenen Innenministers Holger Stahlknecht war, die Öffentlich-Rechtlichen würden zu moralisierend sein und es schwang eine Kritik mit, sie seien zu links…

Haseloff führt sie aus den richtigen Gründen, ja. Bei dem nun entlassenen Innenminister Holger Stahlknecht kann man sich da, genau wie Sie sagen, nicht so sicher sein. Auch deshalb hat Haseloff ihn ja kurz nach dem Bekanntwerden dieser Aussagen entlassen. Zwischen beiden schwelte seit längerem ein Machtkampf.

Steht das einem CDU-Politiker gut zu Gesicht, die Öffentlich-Rechtlichen als politisch einseitig darzustellen?

Nein, der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf weder als zu rechts noch als zu links kritisiert werden, egal, von welchem Politiker. Zumal man als CDU-Politiker immer aufpassen sollte: Verändern oder kritisieren kann man ihn immer, die AfD aber will ihn abschaffen. Die CDU im Osten muss also klarmachen, dass es nicht ihr Ziel ist, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen, sondern ihn zu verändern.

Auch Sie möchten ihn gerne verändert wissen. Was muss sich denn Ihrer Ansicht nach bei den Öffentlich-Rechtlichen ändern?

Ostdeutsche und Menschen mit Migrationsbiografie sind in den Themen, aber auch den Führungsstrukturen massiv unterrepräsentiert. Schauen Sie sich mal die Organigramme der verschiedenen Anstalten an, die sind alle von weißen Westdeutschen dominiert. Für den Osten lässt sich sagen: im MDR hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert, im RBB und NDR, die ja auch für Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg beziehungsweise Berlin zuständig sind, tut sich viel zu wenig. Überspitzt könnte man sagen: Die Öffentlich-Rechtlichen haben ein Wessi-Problem.

Über die Interviewpartnerin
Jana Hensel ist Autorin der "Zeit" und Journalistin. Ihre Bücher gehören zu den bekanntesten, die sich mit dem Thema Ost-Identität beschäftigen. Zuletzt veröffentlichte sie mit Naika Foroutan "Die Gesellschaft der Anderen", in dem sich die Autorinnen mit der ostdeutschen und migrantischen Perspektive auf die deutsche Gesellschaft beschäftigen.
"In Achtziger-Jahre-Shows wird die Musik der DDR nicht gespielt."

Aber ist das nicht auch bei anderen Medien der Fall?

Eine solche Kritik bezieht sich eigentlich auf die meisten Medien. Bei den Öffentlich-Rechtlichen können wir die Kritik aber anbringen, weil er gebührenfinanziert ist und dadurch auch eine besondere Verantwortung hat. Gemeint ist aber fast die komplette Medienlandschaft in Deutschland.

Es gibt diese Kritik schon lange, dass Ostdeutsche unter den Führungskräften selbst in Ostdeutschland und bei öffentlichen Einrichtungen unterrepräsentiert sind. Liegt das nicht auch an der DDR-Vergangenheit vieler derer, die jetzt im Alter wären, um Führungspositionen zu übernehmen?

Das ist ein Argument aus den Neunzigern. Und es wird immer behauptet, dass sich das Problem auswachsen würde, weil junge Ostdeutsche in diese Rollen hineinwachsen würden. Das findet aber nicht statt. In den 1990er-Jahren hat man das gehofft, nachdem es einen massiven Elitenaustausch von West nach Ost gegeben hatte. Dieses Problem schleppen wir aber bis heute mit uns herum.

Das heißt: Wir brauchen eine Ost-Quote für die Öffentlich-Rechtlichen?

Das ist juristisch bisher ungeklärt, aber an sich brauchen wir immer wieder selbstbewusste Quoten-Diskussionen, um das dahinter liegende Problem sichtbar zu machen. Im Osten bräuchte es Quoten für Ostdeutsche und im Westen solche für Post-Migranten. Es gibt in Deutschland eine große soziale Ungleichheit und die lässt sich anhand dieser beiden Gruppen feststellen. Wir müssen diese sozialen Gruppen stärker in den Blick nehmen, um diese Ungleichheit aufzubrechen.

Machen wir es mal konkret: Wo fehlt Ihrer Meinung nach im Fernsehen eine ostdeutsche Perspektive?

Ich könnte Ihnen viele Beispiele nennen: In Achtziger-Jahre-Shows wird die Musik der DDR nicht gespielt, bei Todesfällen werden berühmte Ost-Prominente nicht annähernd so gut nachgerufen wie westdeutsche, fast alle Talkshow-Moderatorinnen und Moderatoren kommen aus Westdeutschland, in politischen Talkshows sind Ostdeutsche eher selten zu Gast. Darüber gibt es längst Studien. Es fehlen ostdeutsche Perspektiven in den Erzählungen und in der Berichterstattung.

"Wir dürfen die Positionen der AfD nicht als ostdeutsche Positionen verstehen."

Das ist der eine Teil. Gehört zur ostdeutschen Perspektive aber nicht auch die AfD, die gerade dort in vielen Landtagen stark vertreten ist?

Ich weiß, was Sie meinen, aber es ist falsch, die AfD mit einer ostdeutschen Perspektive gleichzusetzen. Natürlich ist sie dort leider besonders stark, aber wir dürfen die Positionen der AfD nicht als ostdeutsche Positionen verstehen. Sondern die Positionen derer, die AfD wählen, debattieren und thematisieren, sie aber nicht übernehmen.

Im konkreten Fall der CDU in Sachsen-Anhalt ist aber genau das passiert: Sie hat die Position der AfD in einer Sachfrage vertreten. Was wäre die Alternative gewesen?

Das ist ein sehr schwerer Fall, für den es in Sachsen-Anhalt eben keine Lösung gegeben hat. Innerhalb der CDU-Fraktion wäre der Anteil derer, die für die AfD-Position gestimmt hätten, sehr hoch gewesen – und das auch vermutlich aus den gleichen Beweggründen.

Wie ernstgemeint sind dann die Brandmauer nach rechts und die Ansagen, man würde mit der AfD nicht zusammenarbeiten?

Diese Appelle sind wichtig, aber die Wirklichkeit ist meist komplexer. Wir müssen diejenigen stärken, die dagegenhalten. Das ist in Sachsen ein Ministerpräsident Michael Kretschmer und in Sachsen-Anhalt sein Kollege Reiner Haseloff. Und das falsche Signal wäre es da, den Osten als Ganzes für die AfD verantwortlich zu machen. Der Osten wird in der Zukunft sicher noch mehrfach am Problem der AfD scheitern. Den Osten deshalb insgesamt nach rechts zu schieben, ist falsch und kontraproduktiv. Große Teile der Gesellschaft und der Politik stehen gegen die AfD. Und werden, das hoffe ich, das noch lange tun – auch wenn der Umgang mit dieser Partei nicht immer einfach ist.

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