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Psychiatrie: Wann ist die Fixierung von Patienten legal?

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Fixieren in der Psychiatrie ist okay, wenn ein Richter zustimmt – 6 Fragen und Antworten

24.07.2018, 09:4724.07.2018, 10:35
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In welchen Situationen dürfen Patienten in der Psychiatrie, die aggressiv werden, sich oder andere gefährden, ans Bett gefesselt werden? Wann muss die Zustimmung eines Richters eingeholt werden? Geregelt ist das in Landesgesetzen. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Fixierungen von Psychiatriepatienten künftig von Richtern genehmigt werden müssen.

Bisherige gesetzliche Regelungen in Bayern und Baden-Württemberg, die keinen Richtervorbehalt für Fixierungen vorsehen, müssen dem Urteil zufolge binnen einem Jahr geändert werden. Dafür soll jedes Bundesland künftig auch eine Richterbereitschaft gewährleisten.

Die Kläger, zwei Betroffene, hatten durch die Fixierung ihr Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt gesehen. 

Sechs Fragen und Antworten zur Entscheidung: 

Wer sind die Beschwerdeführer?

Zwei Männer aus Bayern und Baden-Württemberg wehrten sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Art der Behandlung. Ein Betroffener wurde in München acht Stunden lang an Füßen, Händen, Bauch, Brust und Kopf so am Bett fixiert, dass er nicht einmal mehr den Kopf bewegen konnte. Er war stark betrunken. In Baden-Württemberg hatte ein Mann in der Psychiatrie mit Gegenständen geworfen. Deswegen wurde er über mehrere Tage zeitweise festgebunden.

Gibt es Zahlen?

Kaum. Eine Verfassungsrichterin gab an, in Baden-Württemberg seien es 2016 rund 17.600 einzelne Fälle von Fixierungen bei 5300 Patienten gewesen. Auch in klinischen Bereichen außerhalb der Psychiatrie spielen Fixierungen eine Rolle, etwa wenn Patienten nach Operationen verwirrt sind. Viele Betroffene empfänden den Verlust ihrer Bewegungsfreiheit als erniedrigend, berichteten Experten.

Wie war die Rechtslage bisher?

Für die Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie ist ein richterlicher Beschluss erforderlich. Für die anschließenden Fixierungen reichte dann in den meisten Bundesländern die Anordnung eines Arztes. In einigen Ländern gibt es bereits den sogenannten Richtervorbehalt. Dort müssen die Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit von einem Richter geprüft werden. Auch Bayern wollte eine entsprechende Regelung mit einer Gesetzesnovelle einführen.

Die Beschwerdeführer stützen sich auf die Artikel 2 und 104 des Grundgesetzes zur Freiheit der Person. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, sprach in der mündlichen Verhandlung von der staatlichen Freiheitsentziehung als die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung. Sie sei nur in besonderen Fällen verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Welche Alternativen zur Fixierung gibt es?

Pfleger und Ärzte setzen in kritischen Situationen mit Patienten zunächst auf Deeskalation. Experten aus der psychiatrischen Praxis berichteten bei der mündlichen Verhandlung, dass nur als letztes Mittel zur Fixierung gegriffen werde, wenn Patienten sich oder andere gefährden und nicht anders zu beruhigen sind.

Wie andere Länder mit solchen Fällen umgehen – körperliches Festhalten in Großbritannien, Isolierung in den Niederlanden oder Zwangsmedikation – wurde unterschiedlich beurteilt. Einig sind sich Fachleute, dass mehr Personal das Problem verkleinern könnte.

Und was sagt der Gesundheitsminister dazu?

Die FDP hat Jens Spahn (CDU) Tatenlosigkeit bei der Verbesserung der Behandlung psychisch Erkrankter vorgeworfen.

"Offenbar unternimmt Spahn nichts, um die Verabschiedung einer neuen Psychotherapie-Richtlinie zu befördern."
FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg in der "Passauer Neuen Presse"

Die am 1. April 2017 in Kraft getretene Richtlinie habe kaum Verbesserungen gebracht. Noch immer weigerten sich manche Versicherungen, die Kosten für psychotherapeutische Behandlungen zu übernehmen. Die Zahl der Beschwerden gegen die Krankenkassen wegen fehlender Übernahmen sei im vergangenen Jahr trotz Einführung der neuen Richtlinie angestiegen.

Wie viele haben sich beschwert?

  • 2017 hätten sich psychisch Erkrankte in 96 Fällen an das zuständige Bundesversicherungsamt gewandt
  • 2016 seien es noch 67 gewesen, schrieb die Zeitung unter Berufung auf die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion
  • Seit Jahresbeginn 2018 gingen demnach 27 Beschwerden gegen Kassen ein

Dies umfasste nicht die Beschwerden gegen mangelnde Kostenübernahmen bei den AOK-Kassen, deren Aufsicht Ländersache ist.

(hd/dpa) 

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