Deutschland
TV

Illner: Ökonomin kritisiert FDP-Chef Lindner – der wütet: "Absurd, absurd"

Hinten erhitzt sich die Erde. Vorne streitet man bei Illner um die Zukunft der Welt.
Hinten erhitzt sich die Erde. Vorne streitet man bei Illner um die Zukunft der Welt.zdf-screenshot
TV

Ökonomin kritisiert Lindner bei Streit um CO2-Steuer – der ist erstaunt: "Absurd, absurd"

30.08.2019, 03:3530.08.2019, 07:50
Mehr «Deutschland»

In Südamerika brennt der Regenwald – und in deutschen TV-Talkshows wird die Krise zum, Pardon, Dauerbrenner. Auch ZDF-Talkerin Maybrit Illner wollte über die Waldbrände und ihre Bedeutung für das Weltklima sprechen. Dazu hatte sie am Donnerstagabend unter anderem den FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Chefin Annalena Baerbock eingeladen.

  • Die Diskussionsrunde ergänzten der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Sternekoch Nelson Müller und der Unternehmer Arndt Günter Kirchhoff.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erklärte im ZDF die Bedeutung des südamerikanischen Regenwalds: "Das ist die grüne Lunge unserer Erde." Deshalb könnten die europäischen Staaten die Brände nicht ignorieren – auch wenn die brasilianische Regierung sich eine Einmischung der Weltgemeinschaft verbittet.

FDP-Chef-Lindner sagte: "Brasilien will wirtschaftliche Entwicklung. Wenn wir nicht mit ihnen Handel treiben, werden es andere machen." Lindner schlug vor: "Wie wäre also, wenn wir Bauern in Brasilien ein neues Geschäftsmodell geben? Wald pflegen und Wald aufforsten, statt Wald verbrennen. Das wäre ein funktionierendes Modell."

Die Ökonomin Kemfert forderte: "Wir brauchen eine radikale Kostenklarheit." Die Kosten von ökologischen Schäden in Folge von Wirtschaftswachstum müssten den Preisen von Produkten zugerechnet werden.

A scorched area of the Amazon rainforest is seen in the Biological Reserve Serra do Cachimbo, at the border with the Menkragnoti indigenous reserve of the Kayapo indigenous group in Altamira, Para sta ...
Überreste des Regenwalds im brasilianischen Bundesstaat Para. Bild: Leo Correa/AP

FDP-Chef Lindner forderte mit Blick auf den in die Kritik geratenen Mercosur-Deal: "Kein Rindfleisch sollte importiert werden, das auf gerade gerodetem Boden entstanden ist." Die Grünen-Chefin Baerbock meinte: "Mit dem Mercosur-Deal hat man überhaupt kein Druckmittel." Und sie forderte: "Dieses Abkommen darf so nicht geschlossen werden. Damit haben wir ein massives Druckmittel auf Herrn Bolsonaro."

Das Mercosur-Abkommen:
Das geplante Freihandelsabkommen der Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay mit der Europäischen Union steht seit den Waldbränden im Regenwald unter Kritik. Der Deal beinhaltet auch Verpflichtungen zum Kampf gegen illegalen Holzschlag und weitere Umweltziele. Der Deal würde die größte Freihandelszone der Welt aufbauen. Frankreich und Irland drohen jedoch angesichts der Brände mit einem Veto, sollte Brasilien sich nicht zu einem stärkeren Schutz des Waldes bekennen.

Muss unser Fleisch teurer werden? Bei Illner traut sich keiner, das so wirklich zu fordern

Die Menschen in Deutschland essen durchschnittlich pro Jahr 60 Kilo Fleisch – laut Experten gehen pro Jahr 26,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen auf den Fleischverzehr in Deutschland zurück. Die Abgasmenge setzt sich aus der Haltung von Millionen Tieren und der Abholzung von Wäldern für neue Weideflächen zusammen. Denn je weniger Bäume auf dem Planeten stehen, desto weniger Bäume können das für das Weltklima schädliche CO2 wieder aufnehmen.

Der Sternekoch Müller warnte bei "Maybrit Illner": "Viele Länder wollen noch mehr Fleisch produzieren." Günstige Fleisch-Preise würden den Konsum weiter ankurbeln. Grünen-Chefin Baerbock wollte in der Sendung nicht klar sagen, ob Fleisch nun teurer werden muss, ob es vielleicht eine Steuer auf Fleisch braucht. Sie sagte lediglich: "Wir brauchen mehr Klasse statt Masse."

Bild
zdf-screenshot

Die Grünen sind in der Debatte vorsichtiger geworden. Vor der Bundestagswahl 2013 geriet die Partei für ihre Forderung eines "Veggie Days", eines vegetarischen Tages in Küchen öffentlicher Einrichtungen, in die Kritik. Die Partei verlor an Zustimmung, kam am Wahltag nur noch auf 8,3 Prozent.

FDP-Chef Christian Lindner betonte in der Sendung: Er will keine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Fleischprodukten. Bisher gilt hier eine reduzierte Abgabe von sieben Prozent, bei anderen Artikeln liegt die Mehrwertsteuer bei 19 Prozent.

Lindner setzt dagegen auf den "Erfindergeist der Marktwirtschaft". Er erklärte: "Sobald der Preis für CO2 deutlich wird, werden in der Marktwirtschaft Wege gesucht, diesen Preis zu reduzieren."

Die Ökonomin Kemfert hielt dagegen: "Es geht um Kostenwahrheit, da gehört die Mehrwertsteuer dazu."

Bild
zdf-screenshot

Wenn keiner das Fleisch teurer machen will, brauchen wir dann eine CO2-Steuer?

Brauchen die Deutschen in der Klimakrise eine neue Steuer? Neue Steuern – das Angstwort eines jeden Liberalen. Lindner zeigte sich erschrocken: "Es geht doch darum, es nicht möglichst teuer zu machen für die Menschen. Es geht darum, CO2-Einsparungen möglichst günstig zu machen. Und das kann der Markt besser als die Politik." Linder forderte einen Ausbau des Emissionsrechtehandels, das ist die offizielle Position der FDP.

Beim Emissionshandel müssen die Unternehmen Rechte kaufen, um die Umwelt zu belasten. Die Idee dahinter: Die Anzahl der kaufbaren Berechtigungen ist begrenzt, wodurch der Preis für die Berechtigungen steigt und der Anreiz für Unternehmen entsteht, CO2 zu sparen und weniger Berechtigungen zu benötigen.

Das europäische System steht aber auch in der Kritik: Insgesamt gebe es zu viel Berechtigungen, der Preis der einzelnen Zertifikate sei zu gering, einige Bereiche wie der Verkehr seien zudem davon ausgenommen.

Auch die Ökonomin Kemfert kritisierte bei "Illner" den Emissionshandel: "Das ist wahnsinnig kompliziert, es ist intransparent, die Preise drohen auch zu explodieren. Die Unsicherheit ist auf jeden Fall da."

Dann legte Kempfert nach – und warf dem FDP-Chef halbwahre Aussagen vor. Die Ökonomin glaubt nicht, dass die Ausweitung des Emissionshandels, wie ihn die FDP fordert, die gewünschte Wirkung erzielen würde. Die Preise würden schlicht zu sehr ansteigen. "Ich will die Wirtschaft sehen, die dann plötzlich 280 Euro pro Tonne CO2 zahlen muss. Wir wissen, dass die Vermeidungskosten im Verkehrswesen in dieser Größenordnung sind."

Lindner fühlte sich sichtlich auf den Schlips getreten: Er schüttelte mit dem Kopf: "Absurd, absurd." Grünen-Chefin Baerbock schoss nach einigen Minuten des Schweigens in Richtung Lindner hinterher: "Wir subventionieren staatlich mit Steuergeldern all diese fossilen Formen, und deshalb haben alternative Produkte keine Chance. Deshalb müssen wir mit einem CO2-Preis, einer Besteuerung, auf ein Level kommen, damit klimafreundliches Verhalten überhaupt wettbewerbsfähig ist."

Hat gar keinen Schlips: Christian Lindner.
Hat gar keinen Schlips: Christian Lindner.zdf-screenshot

Baerbock und Lindner streiten über CO2-Steuer

Baerbocks Grüne wollen die Einnahmen einer CO2-Bepreisung pro Kopf auszahlen – Geringverdiener sollten so keine Nachteile haben. Lindner begann spöttisch zu lachen und ärgerte sich: "Ich erinnere mal an die Grünen, die gesagt haben: 'Die Energiewende wird so teuer wie eine Kugel Eis.'"

Lindner schimpfte: "Grüne Zahlenprognosen, wer daran glauben will, mag's. Ich melde die Bedenken an." Und weiter: "In die Verbotswelt von Frau Baerbock wird uns kein Chinese folgen. In die Technologiewelt vielleicht schon."

Die Ökonomin Kempfert versprach: "Wir können die Klimaziele auf jeden Fall schaffen. Das hat wirtschaftliche Chancen, die gigantisch sind – gerade für die deutsche Volkswirtschaft." Lindner bestätigte sein Vertrauen in die Wirtschaft: "Mehr gesunden Menschenverstand, mehr Vertrauen in Ingenieure und Techniker – viele Fragen können wir Politiker gar nicht beantworten."

(pb/mit dpa)

Reckers' Videobeweis: Wirbel um HSV-Spieler Jatta
Video: watson
"Markus Lanz": ZDF-Moderator lässt Grünen-Chef Nouripour auflaufen

Der Plan der Regierung, bis 2030 mindestens 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren zu lassen, wackelt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hieß es: "Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen werden wir darauf ausrichten, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität mit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030 ist." Mit der Förderung allerdings ist es seit diesem Jahr aus.

Zur Story