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Frankfurter Buchmesse mit Hindernissen – Neonazis, Unwetter und Seuchen

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Die Frankfurter Buchmesse ist 2021 nach einem Jahr Pause zurück.Bild: dpa / Sebastian Gollnow
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Neonazis, Seuchen und Unwetter: Frankfurter Buchmesse mit Hindernissen

26.10.2021, 09:0227.10.2021, 07:59
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Irgendetwas hatte mich dieses Jahr umgetrieben, die Frankfurter Buchmesse zu besuchen. Vielleicht war es einfach der Trotz, mir von Katastrophen und Kontroversen nichts vorschreiben zu lassen. Zum Teil sicher auch einfach nur der Wunsch, nach zwei Jahren Literatur im Lockdown auch einfach mal wieder andere Lesende zu sehen und persönlich über Bücher zu sprechen.

Die erste Probe kam bereits während der Zugfahrt: Sturmtief "Hendrik II" schien darauf zu bestehen, eine Anreise nach Frankfurt zu behindern: Schon auf halber Strecke, irgendwo zwischen Wolfsburg und Fulda, blieben wir liegen. Und endlich in Frankfurt angekommen legte der Sturm am Abend noch einmal nach - und für einige Zeit den Nahverkehr nach Mainz lahm.

Mich hielt das nicht auf. Aber ein paar alte Bekannte sind dieses Jahr auf der Strecke geblieben. Der Diogenes-Verlag ist beispielsweise nicht auf der Buchmesse anzutreffen. Auch viele außereuropäische Verlage haben es nicht durch die Grenz- und Corona-Kontrollen geschafft. Wie PublishersWeekly berichtete, erklärte Harper Collins etwa schon im Sommer, man werde „Dienstreisen dieses Jahr zum Wohle der Gesundheit der Mitarbeiter reduzieren“ und daher nicht an der Buchmesse teilnehmen.

Die Hallen sind zum Teil wie verwaist: Beton, wo sich früher hunderte weitere Aussteller tummelten. Statt der letztmals 7500 sind es dieses Jahr gerade einmal 1500. Und dann sind da die Prachtalleen, die „Aufmarschstraßen“, wie sie die Kollegen von der FAZ nennen: Acht Meter trennen C.H.Beck von den Regalen des Aufbau-Verlags. Genug Platz, um sich als Messeveteran der fehlenden Menschenmengen so richtig bewusst zu werden.

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Die ersten Messetage sind die Fachbesucher vor allem eines: Unter sichBild: imago images / Chris Emil Janssen

Auf der Frankfurter Buchmesse wurde 2021 damit vor allem deutlich, wie viel Raum die so oft totgesagte Literatur weiterhin einnimmt.

Einerseits wörtlich, denn streng genommen ist das Gelände der Frankfurter Messe für die diesjährige Buchmesse zu groß. 2019 vermeldete das Börsenblatt noch insgesamt 302.267 Besucher, coronabedingt waren es dieses Jahr etwas unter 75.000. Viele Hallen blieben gänzlich frei von Ausstellern oder besetzten nur einen Bruchteil der verfügbaren Fläche.

Zudem hatten viele Verlage die Lust der Besucher nach Büchern unterschätzt und zu wenige Exemplare eingepackt. Fast leere Regale waren die Folge, auf denen wenige Exemplare sich umso stolzer präsentierten. Wer Sonntag noch Jasmina Kuhnkes „Schwarzes Herz“ erstehen wollte, das auch von anderen Verlagen als Rowohlt solidarisch ausgelegt worden war, musste bisweilen suchen.

Andererseits war da Raum auch im übertragenen Sinne. Besonders der Streit um die Präsenz rechter Verlage nahm viel Platz auf der Messe ein. Einige Autorinnen und Autoren – neben Jasmina Kuhnke unter anderem auch Ciani-Sophia Hoeder, Annabell Mandeng, Nikeata Thompson, Riccardo Simonetti sowie Judith und Christian Vogt– boykottierten aus Protest die Frankfurter Buchmesse. Andere kamen und entschieden sich für Protest vor Ort.

Der Greifswalder Verlag „Katapult“ plakatierte den Stand eines rechten Verlages mit ihrem Infomaterial über rechtsextreme Gewalt. Und für einen kurzen Vormittag informierte dieser rechte Verlag, wegen dem einige Künstler der Messe ferngeblieben sind, tatsächlich über das, was Rechtsextremisten in Deutschland so tun.

Der „Verband deutscher Schriftsteller“, dessen Stand direkt nebenan war, organisierte eine Protestlesung nach der anderen, las aus den Werken von politisch Verfolgten, von Exilanten und Antifaschistinnen. An vielen Ständen und Büchern klebten Sticker mit der Aufschrift #verlagegegenrechts. Das Gedenkprojekt „verbrannte Orte“ stellte seinen Onlineatlas zur nationalsozialistischen Bücherverbrennung aus. Und rief wieder in Erinnerung, was die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung mit Literatur taten.

Und die „Bildungsstätte Anne Frank“ widmete sich ganz dem tieferliegenden Problem: Wie rechte Parteien und Neonazis ihr Gedankengut mit Steuergeldern und Stiftungen in das demokratische Bildungswesen einträufeln wollen. Das berichtete unter anderem T-Online.de.

Endlich wieder Messe

Und neben alledem gibt es dann noch die unschuldige Begeisterung für Abenteuer und Träumereien. Denn trotz der Kontroversen, dem reduzierten Personal, den Absagen und den Boykotten überwiegt die Begeisterung für die Messe. Die Begeisterung dafür, all die Bücher, die wir im Lockdown und im Home Office gelesen und geschrieben haben, endlich mit anderen teilen zu können.

Endlich wieder Messe, das scheint die Devise vieler Besucher gewesen zu sein. Trotz der Debatte um rechte Verlage und der deshalb gedämpften Stimmung wollten viele sich die Freude über das Wiedersehen nicht verderben lassen, wie einige Autorinnen und Buchbloggerinnen sagten, die namentlich nicht genannt werden möchten.

Auch die Lesenden wissen ganz genau, was sie wollen. Vor den Ständen der rechten Verlage und von der nahen Bühne des „blauen Sofas“ hört man viel Kritisches. Die Leser, die sind alle bei den Publikumsverlagen: Der Comicstand beispielsweise – der einzige, der auch reine Unterhaltungscomics bot – war das gesamte Wochenende über durch eine dicke Wand aus Menschen abgeschirmt. Der Stand der Verlagsgruppe Droemer Knaur wurde schon am Samstag sein ganzes Sortiment queerer und diverser Fantastik los. Und als am Samstagmittag endlich die Signierbox auf der „Agora“, dem Festplatz zwischen den großen Messehallen, öffnet, warten Hunderte Lesende für Stunden, um sich ihre ergatterte Neuausgabe signieren zu lassen.

Die 73. Frankfurter Buchmesse hat so etwas von Postapokalypse: Alles war ein bisschen notdürftig, ein wenig Industrieruine und nicht mehr, was es einmal war. Aber das hat niemanden daran gehindert, dort sein Bestes zu geben.

(ps)

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