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Lübcke und rechte Gewalt: Behandelt diesen Terror endlich so wie islamistischen!

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Bild: imago images/hartenfelser/montage: watson
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Lübcke und die rechte Gewalt: Behandelt diesen Terror endlich so wie islamistischen!

18.06.2019, 13:1418.06.2019, 13:28
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Ein Politiker wurde aus nächster Nähe erschossen. Der mutmaßliche Täter ist ein Neonazi, der bereits wegen rechter Gewalttaten vorbestraft ist. Und trotzdem ist aus der Bundesregierung und vor allem aus der Union bislang kaum ein Aufschrei zu hören. Die CDU-Parteispitze war in den letzten Tagen erstaunlich ruhig. Wirtschaftsminister Peter Altmaier zeigt in einem Tweet seine Ahnungslosigkeit.

Dabei ist klar: Rechtsextreme Gewalt und rechtsextremer Terror müssen endlich ernst genommen und entschlossen bekämpft werden.

So groß ist die Bedrohung durch rechtsextremen Terror:

  • Mindestens 169 Menschen wurden laut Recherchen von "Zeit" und "Tagesspiegel" zwischen 1990 und 2017 in Deutschland von rechtsmotivierten Tätern getötet. Das sind etwa doppelt so viele, wie in den offiziellen Statistiken der Behörden auftauchen.
  • Von 2000 bis 2007 ermordete der NSU zehn Menschen, verübte Sprengstoffanschläge und raubte Banken aus. Die Polizeibehörden verdächtigten Angehörige der Opfer, der Verfassungsschutz versagte über Jahre hinweg komplett. Die Mordserie wurde in vielen Medien unterdessen mit dem unpassenden Begriff "Dönermorde" beschrieben.
  • 2016 erschoss ein von rassistischem Hass getriebener Attentäter an einem Münchener Einkaufszentrum neun Menschen. Gutachter kamen zu dem Schluss: Bei der Tat handelte es sich um Rechtsextremismus. Das bayerische Landeskriminalamt stufte sie hingegen als unpolitischen Amoklauf ein.
  • 2016 schoss ein rechtsextremer "Reichsbürger" im Mittelfranken auf Polizisten, die bei einer Razzia die Waffen des Mannes sicherstellen wollten. Er tötete einen Beamten und verletzte mehrere weitere.
  • In den vergangenen Jahren wurden immer wieder rechtsextreme Terrorgruppen und -Netzwerke aufgedeckt, die teilweise schwere Gewalttaten geplant hatten. Diese Netzwerke reichen mitunter bis in die Sicherheitsbehörden, den Verfassungsschutz und die Bundeswehr.

Nach Lübcke-Tat: Verharmlosende Unkenntnis

Und trotzdem wird die Bedrohung durch rechtsextremen Terror von vielen immer noch nicht ernst genommen. Von manchen Behörden und vor allem von Teilen der deutschen Politik. Wirtschaftsminister Altmaier zeigte das am Montagabend geradezu exemplarisch.

Dabei schrieb er nicht nur den Namen des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke falsch. Er zeigte vor allem, wie falsch und verharmlosend seine Einschätzung der rechtsextremen Bedrohungslage in Deutschland ist.

Wer einen "kaltblütigen rechtsextremen Mord" seit den Taten des NSU nicht mehr für möglich gehalten hat, der hat sich in den vergangenen Jahren offenbar kaum mit der Realität befasst. Der hat verpasst, gegen wie viele rechte Terrorgruppen die Polizei vorgegangen ist – und wie viele neue rechtsterroristische Strukturen entstanden sind. Der hat verpasst, wie sich die Reichsbürgerszene radikalisiert hat und wie Attentate wie das von Christchurch auch Rechtsextreme in Deutschland beeinflussen.

Kurzum: Niemand, der sich mit dem Rechtsextremismus in Deutschland näher auseinandergesetzt hat, kann eine solche Aussage treffen.

Das lange Schweigen der Unions-Spitze

Unverständlich ist auch das laute Schweigen in Teilen der Bundespolitik. Besonders in der Unions-Spitze war es bislang erschreckend still dafür, dass ein CDU-Politiker mutmaßlich von einem rechtsextremen Attentäter getötet wurde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich am Montag zu den Ermittlungen und begrüßte, dass die vom Generalbundesanwalt übernommen wurden. Zur rechtsextremen Bedrohungslage verlor sie dabei jedoch kein Wort.

CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich seit der Verhaftung des Tatverdächtigen bislang gar nicht zu dem Fall.

Auch von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak: Funkstille.

Aus der CDU-Parteizentrale heißt es bisher auf Anfrage nur, man wolle sich für eine überlegte Reaktion auf den Vorwurf des Schweigens genügend Zeit nehmen. Es ist also nicht auszuschließen, dass da noch etwas kommt. Frei nach dem Motto: Besser spät als nie.

Wenn es um islamistischen Terrorismus geht, wird nicht so lange gewartet und abgewägt. Das lange Schweigen im Fall Lübcke ist ein fatales Signal. Es wird nicht nur von Rechtsextremen gesehen, sondern auch von deren potentiellen Opfern. Es bestätigt ihnen, was sie seit Jahren erleben: Wir werden bedroht, und der Staat tut nicht genug, um uns zu schützen.

Auf Horst Seehofers Ansage muss entschlossenes Handeln folgen

Innenminister Horst Seehofer äußerte sich nun am Dienstagmittag in einer Pressekonferenz in Berlin. Dort sagte er:

"Wir alle sind tief schockiert über die schreckliche Tat. Dass es als erste Reaktion in den sozialen Medien Häme für das Opfer und Beifall für die Täter gab, ist ein Beweis für die Verrohung der Sitten und der menschlichen Moral."

Der Rechtsextremismus sei eine erhebliche und ernstzunehmende Gefahr für die Freiheit unserer Gesellschaft. Er müsse mit allen Mitteln des Staates bekämpft werden. Die Bekämpfung von Terrorismus jeder Art bleibe ein Kernanliegen der Bundesregierung.

Das ist eine Ansage. Wichtig ist, dass dem nun auch wirklich ein entschlossenes Handeln folgt.

Behandelt rechtsextreme Terroristen so wie islamistische!

Anlässe dafür gab es in den vergangenen Jahren bereits zuhauf. Doch spätestens dieser tödliche Anschlag auf Walter Lübcke muss jetzt endlich zu einem wahren Umdenken führen.

Rechtsextremer Terror muss endlich genauso ernst genommen werden wie islamistischer. Die Reaktionen von Politik und Sicherheitsbehörden auf Morde durch Neonazis müssen genauso entschlossen ausfallen wie die Reaktionen auf Anschläge von Dschihadisten.

Nicht nur wenn Politiker die Opfer dieses Terrors sind, sondern auch wenn er sich gegen Antifaschisten richtet, oder gegen Menschen, die nicht in das völkisch-rassistische Weltbild der Neonazis passen.

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