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Ein Jahr Ampel-Regierung: Wie junge Abgeordnete auf ihr erstes Jahr blicken

26.10.2022, Berlin: Das Reichstagsgebäude in der Morgendämmerung. Foto: Christoph Soeder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Vor gut einem Jahr startete die Ampelregierung mit ihrem Koalitionsvertrag in die Legislaturperiode.Bild: dpa / Christoph Soeder
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Ein Jahr Ampel-Regierung: Wie junge Abgeordnete auf ihr erstes Jahr blicken

07.12.2022, 18:40
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Am 8. Dezember 2021 hat die Ampelkoalition den Regierungsauftrag übernommen. Im Bundestag sitzen seit dieser Legislaturperiode so viele junge Menschen, wie noch nie. Bei einigen von ihnen hat watson nachgefragt, wie ihr erstes Jahr gelaufen ist.

Jessica Rosenthal (SPD)

Juso-Chefin Jessica Rosenthal erklärt, sie hätte an ihrem ersten Tag im Bundestag nicht erwartet, drei Monate später mit einem Krieg in Europa konfrontiert zu sein. "Plötzlich mussten wir über Waffenlieferungen, Energiepreisbremsen und Entlastungspakete sprechen, damit alle gut durch den Winter kommen", sagt die 30-Jährige.

Jessica Rosenthal, Bundesvorsitzende der Jusos Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD. Berlin, 25.01.2021 Berlin Deutschland *** Jessica Rosenthal, Federal Chairwoma ...
Eine der jungen Abgeordneten ist Juso-Chefin Jessica Rosenthal.Bild: imago images / Thomas Trutschel/photothek.de

Trotz allem sei sie mit dem ersten Ampeljahr zufrieden. Die Ampel habe wichtige Projekte auf den Weg gebracht – insbesondere für junge Menschen. Als Beispiel nennt Rosenthal die Bafög-Reform. Sie fährt fort:

"Und wir machen jetzt Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, um künftig mit Windkraft und Fotovoltaik statt mit Kohle unseren Strom zu produzieren. Damit reduzieren wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und treiben die Energiewende voran."

Was Rosenthal jedoch nicht erwähnt: Wegen der Energiekrise hat die Ampel Kohlekraftwerke reaktiviert.

Carmen Wegge (SPD)

"Nach einem Jahr im Bundestag bin ich sicher, dass ich genau dort angekommen bin, wo ich sein möchte", fasst Carmen Wegge zusammen. Warum das so ist? "Hier hat man die Chance, die Welt zum Besseren zu verändern." Die 33-Jährige sitzt ebenfalls für die Sozialdemokrat:innen im Parlament.

Carmen Wegge bei der 5. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 08.12.2021
Eines der Schwerpunktthemen von Carmen Wegge ist die Cannabis-Legalisierung.Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Der schönste Moment sei für Wegge die Streichung von Paragraf 219a – dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – gewesen. "Ich durfte das verhandeln und umsetzen, wofür Frauen und Verbände jahrzehntelang gekämpft haben."

Und noch etwas hat Wegge froh gemacht:

"Auch, dass ich zusammen mit meinem Kollegen Dirk Heidenblut die Cannabislegalisierung umsetzen darf, bedeutet mir viel. Wer kann schon von sich sagen, dass er oder sie eine progressive Drogenpolitik in Deutschland umgesetzt hat?"

Überrascht hätte Wegge, dass sie mit den Telefonen im Plenarsaal nach draußen telefonieren. Und, dass die jungen Abgeordneten ihrer Fraktion "stabil dabei blieben", weiße Sneaker zu tragen.

Emilia Fester (Grüne)

Emilia Fester ist aktuell die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie beschreibt ihr erstes Jahr im Parlament als "unfassbar vielfältig, spannend, aber manchmal auch ernüchternd." Sie habe in der Zeit mehrere kleine und einen großen Erfolg feiern können, erklärt sie.

Emilia „Milla“ Fester aus Hamburg von Bündnis 90/Die Grünen fährt die Rolltreppe der U-Bahnstation Bundestag hinauf. Fester ist mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete im neugewählten Deutschen Bundesta ...
Emilia Fester ist die jüngste Abgeordnete im Bundestag.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Welcher das war?

"Jugendliche ab 16 Jahren dürfen bei der nächsten Europawahl mitwählen."

Ein Recht, das 1,3 Millionen junge Menschen in Deutschland betreffe. Die 24-Jährige sagt: "Dieser Erfolg zeigt, wie wichtig die Repräsentation junger Stimmen ist. Ich bin froh darüber, genau diese Stimmen im Bundestag vertreten zu können."

Hanna Steinmüller (Grüne)

Auch für Hanna Steinmüller waren der Krieg in Europa und die Monate im Krisenmodus eine Herausforderung. Die 29-Jährige ist trotzdem froh, dass sie in ihrem Fachbereich – der Wohnungspolitik – einiges erreichen konnte. Sie nennt den Heizkostenzuschuss und die Wohngeldreform. "Dennoch stehen auch in Zukunft harte Debatten innerhalb der Koalition an", befürchtet sie.

Steinmüller stellt klar: Kompromisse seien wesentlich für eine Demokratie – auch wenn das manchmal frustrierend sei.

Hanna Steinmüller
Hanna Steinmüller vertritt ihren Wahlkreis Berlin-Mitte im Bundestag.Bild: Sascha Hilgers

Besondere Freude mache Steinmüller die Arbeit im Wahlkreis. "Ich lerne viele tolle Menschen, Initiativen und Unternehmen kennen und versuche ihre Ideen in das politische Berlin zu bringen oder sie auf anderen Wegen zu unterstützen." Das mache ihren Alltag abwechslungsreich und lebendig. Und es helfe über manche kurze Nacht. Die Grünen-Politikerin räumt ein:

"Trotzdem freue ich mich auch auf die Weihnachtspause, um etwas Energie zu tanken."

Jamila Schäfer (Grüne)

Die Klimakrise und der Krieg in Europa, sagt die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer, zwängen auch die Abgeordneten in vielen Bereichen zum Umdenken.

Jamila Schäfer von Bündnis 90/Die Grünen blickt in die Kamera. Schäfer ist in München mit einem Direktmandat in den Bundestag gewählt worden. Zum ersten Mal seit dem Jahr 2009 gehen nicht mehr alle Di ...
Die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer ist trotz aller Krisen guter Dinge.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Die 29-Jährige führt aus:

"Wir müssen unser Wohlstandsmodell und die internationale Friedensordnung krisenfest machen und dafür in hoher Geschwindigkeit vieles aufräumen, was vergangene Regierungen versäumt haben."

Es sei nicht einfach, unter diesem Druck gemeinsame Prioritäten zu finden. "Das führt zu harten Debatten und ja, die können wirklich frustrierend sein." Trotzdem hat sie den Eindruck, dass die Ampelkoalition die Gesellschaft abbildet und zu guten Kompromissen in der Lage ist.

Ria Schröder (FDP)

Was FDP-Politikerin Ria Schröder besonders überrascht hat: "Die Bürokratie im Bundestag." Es gebe sogar ein Formular, das man ausfüllen müsse, um einen Nagel in die Wand hauen zu dürfen. Besonders gefreut hat sich die 30-Jährige über die Bafög-Erneuerung.

Der Countdown zur Bundestagswahl läuft: Die FDP Hamburg lud ein zur Wahlkampf-Veranstaltung mit dem FDP-Bundesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Christian Lindner (MdB), dem Hamburger Landesvorsitzend ...
Ria Schröder setzt sich seit ihrer Zeit als Juli-Vorsitzende für Bildungsgerechtigkeit ein – jetzt kann sie diese umsetzen.Bild: picture alliance / Public Address / Mirko Hannemann

Schröder sagt:

"Ich habe als Juli-Vorsitzende 2020 die Öffnung des BAföG für Studierende gefordert, die ihre Nebenjobs wegen Corona verloren haben. Die damalige Große Koalition hat das nicht umgesetzt. Deswegen hat es mich wirklich glücklich gemacht, dass ich den Nothilfemechanismus dieses Jahr selbst umsetzen konnte."

Die damalige Entscheidung, zu kandidieren, würde die FDP-Politikerin auch heute noch immer wieder genauso treffen. "Es ist eine großartige Chance, dass ich mich im Bundestag für junge Menschen und Bildungsgerechtigkeit einsetzen kann." Dafür sei sie sehr dankbar.

Maximilian Funke-Kaiser (FDP)

Bevor er für die FDP in den Bundestag eingezogen ist, hat Maximilian Funke-Kaiser als Landesvorsitzender der Julis Bayern die konstruktive Oppositionsarbeit unterstützt. Jetzt aber habe er die Möglichkeit – gerade im Bereich Digitalisierung – konkret mitzuwirken. Und Verbesserungen voranzutreiben.

Maximilian Funke-Kaiser in der 54. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgeb�ude. Berlin, 22.09.2022 *** Maximilian Funke Kaiser at the 54 session of the German Bundestag in the Reichstag bui ...
Bevor Maximilian Funke-Kaiser Bundestagsabgeordneter wurde, brachte er sich als Juli-Landesvorsitzender ein.Bild: imago images/ Future image

Der 29-Jährige sagt:

"Es freut mich, dass bei dringenden Reformen Tempo gemacht wird und wir schon jetzt nahezu mehr erreicht haben als andere Regierungen zuvor."

Natürlich gebe es auch Kritik und manche Kompromisse seien nötig: "Entscheidungen müssen aber endlich mal auf langfristigen und nachhaltigen Erfolg ausgerichtet sein", macht Funke-Kaiser deutlich. Und dafür würde er jedes Mal wieder kandidieren.

Philipp Hartewig (FDP)

Das erste Jahr im Bundestag, meint Philipp Hartewig, war spannend und vielseitig. In vielen Bereichen aber auch herausfordernd. Denn: Gesetzgebung ist komplex. Vor jeder Entscheidung, erklärt Hartewig, stehe ein Abwägungsprozess. Es sei nicht immer leicht, diesen Prozess nach außen hin nachvollziehbar darzustellen.

13.06.2022, Sachsen, Dresden: Philipp Hartewig, Generalsekret�r der FDP in Sachsen, spricht in der Landespressekonferenz im Landtag nach den Landrats- und B�rgermeisterwahlen in Sachsen. Foto: Robert  ...
Philipp Hartewig ist seit einem Jahr der sportpolitische Sprecher seiner Fraktion.Bild: dpa / Robert Michael

Der 28-Jährige sagt:

"Zufrieden bin ich mit meinem Fachbereich, der Sportpolitik. Sport ist wichtig für ein gesundes Leben und ein gutes Miteinander."

Im Bundestag setze sich Hartewig deshalb für gute Sportanlagen und die Förderung der Athlet:innen ein. Die Entscheidung zu kandidieren, würde er heute erneut treffen.

Heidi Reichinnek (Linke)

"Der Job nimmt wirklich das komplette Leben ein", stellt Heidi Reichinnek klar. Ihre Fraktion habe einen Nachteil gegenüber den anderen: Dadurch, dass die Linke im Bundestag so wenige Abgeordnete hat, muss "jede:r den Workload übernehmen, den in anderen Fraktionen drei bis vier MdB (Mitglieder im Bundestag, Anm. d. Red.) machen." Privatleben gebe es zwischen Plenum, Ausschuss und Terminen kaum noch.

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Obwohl ein Privatleben neben dem Job kaum möglich ist, würde Heidi Reichinnek immer wieder kandidieren.Bild: dpa / Swen Pförtner

Die 34-Jährige macht aber deutlich: Trotz allem sieht sie ihren Job als riesiges Privileg an. Ihre Partei sei die einzige Fraktion, die die Perspektive von Menschen einbringe, die sonst übersehen werden. Sie zählt auf: "Menschen, die nicht mehr wählen gehen, Menschen, die Angst vor den Rechnungen im Briefkasten haben. Dafür lohnt sich das alles."

Allein dafür würde sie noch einmal kandidieren.

Hinweis zur Transparenz
Watson hat natürlich auch bei den jungen Abgeordneten der Unionsfraktion im Bundestag nachgefragt. Allerdings hat die Politikredaktion hier keine Rückmeldung erhalten.
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