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Rietberg bei Gütersloh: 46-Jähriger stirbt bei Polizeieinsatz

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Bild: imago stock&people/montage: watson
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Tödlicher Einsatz in NRW: "Polizisten haben auf meinen Bruder eingetreten"

03.08.2018, 15:2403.08.2018, 15:25
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Polizisten wollen einen Mann festnehmen, der in einer Wohnsiedlung im nordrhein-westfälischen Rietberg randaliert. Sie fixieren den Mann auf dem Boden. Kurze Zeit später ist der 46-Jährige tot. Eine Obduktion ergibt später, dass er an inneren Verletzungen gestorben ist. So steht es zumindest im Polizeibericht. 

Doch der Fall wirft viele Fragen auf: Mehrere Zeugen berichten, die Polizisten hätten auf den Mann eingetreten, als er bereits gefesselt gewesen sei. Der Bruder des Verstorbenen fordert Aufklärung. Und auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sich drei Wochen nach dem tödlichen Vorfall eingeschaltet.

Die 5 wichtigsten Punkte zu dem Vorfall:

Das führte zum Polizeieinsatz:

Gegen 14.30 Uhr taucht Pawel I. am 9. Juli in dem Wohngebiet auf – so schildert die Polizei die Ereignisse einen Tag später in einer Mitteilung. Die Schilderungen der Polizei basieren auf den Aussagen der Viertel-Bewohner. (Polizei Bielefeld)

Demnach macht der 46-Jährige auf Anwohner einen hilflosen Eindruck. Sie hätten ihm Hilfe angeboten, I. habe jedoch abgelehnt.

Als er zweieinhalb Stunden später beginnt, Gully-Deckel aus der Straße zu heben, sprechen Anwohner ihn laut Bericht jedoch erneut an. I. habe aggressiv reagiert und die Anwohner mit Steinen beworfen. Einem Mann soll er ins Gesicht und in den Magen geschlagen haben.

Ein Anwohner ruft die Polizei. Schon vor dem Eintreffen der Beamten überwältigen mehrere Personen den Randalierer und bringen ihn zu Boden.

Ob das die ganze Geschichte des mehrstündigen Aufenthalts in der Wohnsiedlung ist, und was Pawel I. dazu gebracht hat sich so zu verhalten, ist unklar. Diese Fragen untersucht die Polizei derzeit.

Historisches Rathaus von Rietberg, Katholische Pfarrkirche St. Johannes Baptist, Rietberg, Ostwestfalen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland !ACHTUNGxMINDESTHONORARx60xEURO!

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So idyllisch sieht Rietberg aus.Bild: imago stock&people

So verläuft der Einsatz (aus Polizeisicht):

Als die Polizisten aus Gütersloh vor Ort eintreffen und versuchen, Pawel I. zu fesseln, leistet der laut Polizeiangaben "erheblichen Widerstand". Nachdem die Beamten ihn erfolgreich fixieren, beruhigt er sich dann jedoch wieder, ist ansprechbar – bis sich sein Gesundheitszustand "plötzlich verschlechtert". Rettungssanitäter versuchen nur noch, den Mann zu reanimieren. Kurze Zeit später wird jedoch sein Tod festgestellt.

Diese Version der Geschehnisse teilt die Polizei Bielefeld am Tag darauf der Öffentlichkeit mit. Die Behörde aus der Nachbarstadt wurde für eine Ermittlungskommission hinzugezogen – eine übliche Maßnahme, wenn bei einem Polizeieinsatz jemand stirbt. 

Zeugen berichten, die Polizisten hätten auf I. eingetreten:

Die Angehörigen des Verstorbenen ziehen die Polizei-Version  jedoch in Zweifel. Sein Bruder Oleg I. spricht eine Woche nach Pawels Tod mit einem Journalisten der Regionalzeitung "Neue Westfälische". Er sagt der Zeitung:

"Wir haben mittlerweile vier Zeugen, die uns gesagt haben, dass die Polizisten auf meinen Bruder eingetreten haben, obwohl dieser schon längst mit Fesseln fixiert war."

Eine der Zeuginnen bekräftigt ihre Beobachtung auch gegenüber dem Journalisten. Sie könne bezeugen, dass ein Polizist auf den am Boden liegenden Mann eingetreten habe. Andere Anwohner hätten nicht mit der Zeitung sprechen wollen. Der Tod des Mannes sei zwar ein Thema im Dorf, man habe aber untereinander abgesprochen, nicht mit der Presse zu sprechen, weil die Leute "mit dem Thema abschließen" wollen.

Eine Obduktion ergibt am Tag nach dem Tod, dass "von einer inneren Ursache auszugehen" sei. Es würden "keine Äußeren todeswürdigen Verletzungen vorliegen." (Polizei Bielefeld)

Auch das stellt Oleg I. in Frage:

"Wir mussten den Sarg geschlossen lassen. Der Bestatter hat uns geraten, dass wir diesen Anblick den Kindern ersparen."

Das Gesicht seines Bruders sei förmlich "zermatscht" gewesen. Die Angehörigen des Verstorbenen haben deshalb einen Anwalt eingeschaltet und Anzeige gegen die Polizisten erstattet. Pawel I. hinterlässt drei Kinder. ("Neue Westfälische")

Das ist der Stand der Ermittlungen:

Seit mehr als drei Wochen untersucht die Ermittlungskommission aus Gütersloher und Bielefelder Polizisten den Vorfall.

Die Ermittlungen sollen vor allem die Frage beantworten, ob die Polizisten sich korrekt verhalten haben. Aber auch das Verhalten der beteiligten Anwohner ist Teil der Ermittlungen, wie die Polizei Bielefeld in ihrem bislang letzten Statement vom 26. Juli mitteilt.

Dafür würden weiterhin Zeugen befragt. Auch solle es Videoaufnahmen vom Tag geben, die die Polizei bislang jedoch offenbar nicht erhalten hat. Und auch die Dashcams der Streifenwagen waren während des Einsatzes nicht eingeschaltet. (Polizei Bielefeld)

Weitere Fragen zum Stand der Ermittlungen will die Polizei Bielefeld auf watson-Anfrage nicht beantworten. 

Neue Aufmerksamkeit durch Amnesty International

Neue Aufmerksamkeit erhält der Fall jetzt auch durch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Deren "Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte" weist auf ihrer Website auf den Tod Pawel I.s hin.

Die Organisation setzt sich gegen Gesetzesverschärfungen wie durch das Polizeiaufgabengesetz in Bayern ein und fordert, dass Polizisten für rechtswidriges Handeln stärker zur Rechenschaft gezogen werden.

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