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Thüringen: Experte erklärt Bodo Ramelow und sein Erfolgsrezept – "Es klingt banal"

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Landtagswahl in Thüringen: Warum Ramelow alles richtig macht – und trotzdem zittern muss

Fünf Jahre lang haben Linke, SPD und Grüne in Thüringen gemeinsam regiert. Am Sonntag ist Landtagswahl. Mehr als 1,7 Millionen Thüringer können entscheiden, wer künftig die Regierung bildet. Fest steht nur: Es wird spannend – wegen Bodo Ramelow.
26.10.2019, 18:07
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Viel gesprochen wird vor dieser Landtagswahl wieder einmal über die AfD. Kein Wunder, denn mit der Landes-AfD und ihrem Vorsitzenden Björn Höcke steht in Thüringen die (rechts-)extremste Form der AfD zur Wahl. Jeder Vierte Thüringer, so prophezeien Umfragen, könnte die Partei um Flügel-Anführer Höcke wählen, der laut Gerichtsentscheid als "Faschist" bezeichnet werden darf.

Angesichts des rasanten Aufstiegs der AfD ist es beinahe eine Sensation, dass sich die rot-rot-grüne Koalition ernsthafte Hoffnungen auf ein Weiterregieren machen darf und die Wahl so spannend bleibt. Das ist jedoch nicht der besonderen Strahlkraft der SPD, der Linken und der Grünen in Thüringen geschuldet. Sondern einzig und allein dem Mann, der an der Spitze des Landes steht: Linken-Politiker Bodo Ramelow. Während die Linken in Sachsen und Brandenburg zuletzt schwere Verluste hinnehmen musste, ist die Ramelow-Linke stabil stark.

Die Umfrage vor der Wahl:
Nach dem am Donnerstagabend veröffentlichten ZDF-"Politbarometer" käme die Linke auf 28 Prozent, die CDU läge bei 26 Prozent und die AfD bei 21 Prozent. Die SPD käme auf neun Prozent, die Grünen würden sieben Prozent erreichen, die FDP fünf.

Am 5. Dezember 2014 sprach Bodo Ramelow im Landtag in Erfurt seinen Amtseid. Seitdem ist er ein politisches Unikat: Der 63-Jährige ist der einzige Ministerpräsident, den die Linke in Deutschland stellt. Viele Befürchtungen wurden geäußert, als Ramelow vor fünf Jahren übernahm. Heute sind 62 Prozent der Thüringer zufrieden mit seiner Arbeit. In einem Forsa-Trendbarometer vom Juli kamen nur Winfried Kretschmann (Grüne, 73 Prozent) und Daniel Günther (CDU, 66 Prozent) auf Werte, die Ramelows aktuelle Beliebtheit übersteigen.

Was ist also das Geheimnis von Ramelow?

"Ramelow ist kein gewöhnlicher Linker. Er ist jemand, der sehr viel dafür tut, nicht als normaler linker Politiker zu erscheinen. Das ist sein Erfolgsrezept", sagt der renommierte Parteienforscher Oskar Niedermayer im Gespräch mit watson. Ramelow ist Christ, Legastheniker und Dieselfahrer – er will kein Parteisoldat sein.

Der Linken-Politiker nimmt clever die Rolle des gütigen Landesvaters ein, für den das Land deutlich vor der Partei steht. "Er sagt, er macht Politik für Thüringen, nicht für die Linkspartei. Deswegen ist er über die eigene Wählerklientel hinaus gut angesehen", so Niedermayer. Sogar die Mehrheit der CDU-Anhänger beurteilt seine Arbeit positiv. Das ist nicht nur außergewöhnlich für einen Linken-Politiker – es ist auch immens entscheidend für den Wahlerfolg, so Niedermayer. Aufgrund seiner breiten Beliebtheit sehe ihm die Partei auch vieles nach. Bei anderen wäre dies nicht so.

Was Ramelow außerdem in die Karten spielt:

"Ramelow ist jemand, der gut auf die Leute zugehen kann und auch ein sehr gutes Gedächtnis hat. Es klingt banal, aber: Es hilft als Politiker, wenn man auf Leute trifft, sie erkennt und auch ansprechen kann. Ramelow kann gut mit den Bürgern und spielt das im Wahlkampf auch aus."
Oskar Niedermayer

Das geht soweit, dass es mittlerweile Wahlplakate gibt, die nur Ramelow zeigen – ohne das Parteilogo. "Das hat es bisher nur bei Joschka Fischer gegeben", so der Politikwissenschaftler. Ein Allheilsbringer ist Ramelow jedoch nicht. Kretschmer wurde in Sachsen vor der Wahl noch wesentlich besser beurteilt, sagt Niedermayer. Bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September bekam die CDU lediglich 32,1 Prozent, ein Verlust von 7,3 Prozent im Vergleich zu 2014.

Über Ramelow
Geboren wurde Ramelow im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck. In Hessen absolvierte er eine Ausbildung zum Kaufmann. Mit 25 Jahren wurde er Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. Von dort ging er 1990 nach Thüringen und stieg zum Landeschef der damaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) auf. 1999 begann seine politische Karriere: Ramelow zog für die PDS in den Thüringer Landtag ein – zwei Jahre später war er ihr Fraktionschef. Nach einem Zwischenspiel im Bundestag und als Fusionsbeauftragter der Linken mit der WASG profilierte er sich als Oppositionsführer im Landtag. Ministerpräsident ist nach eigenem Bekunden sein Traumjob.

"Ramelow hat nur einen Fehler gemacht", sagt Niedermayer weiter: Als er sich weigerte, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen – obwohl er das zuvor schon mal getan hatte. "Ansonsten bietet er wenig Angriffsfläche."

Warum es trotz Ramelows Beliebtheit womöglich nicht reicht für Rot-Rot-Grün?

Das liegt unter anderem an der Schwäche der Linkspartei im Bund, die nicht den besten Zustand hat. Umfragen sehen die Partei eher auf dem absteigenden Ast. "Gut wäre es daher, wenn die Linken in Thüringen ihr Ergebnis von letztem Mal halten", sagt Niedermayer. Der andere große Faktor ist jedoch die Schwäche von SPD und Grünen.

Während die Grünen in Thüringen einfach einen schweren Stand haben – noch schwerer als in Sachsen und Brandenburg zuvor – so war es bei der SPD laut Experteneinschätzung ein handfester Fehler, der Prozentpunkte kostete.

Niedermayer sagt:

"Bei der SPD konnte ich noch nie verstehen, wieso sie ihren Vorsitzenden Wolfgang Tiefensee nicht prominent nach vorne stellten. Tiefensee war bis vor wenigen Monaten beliebtester Politiker, noch vor Ramelow. Dieses Pfund hätte man nutzen müssen. Das war ein Riesenfehler der SPD."
Campaign posters of the party Die Linke, left, and the Social Democratic Party, SPD, right, stand in front of a high-rise housing estate in Erfurt, Germany, Friday, Oct. 25, 2019. The words read: &#03 ...
Der Mann im Hintergrund: Wolfgang Tiefensee.Bild: AP

Und die CDU?

"Im Gegensatz zu Brandenburg und Sachsen ist mit Mike Mohring immerhin ein Herausforderer da, der neuer Ministerpräsident werden könnte", sagt Niedermayer.

Mohring ist jemand, der politisch austeilen kann – zeitweise attackierte er Kanzlerin Angela Merkel, früher gern die Thüringer SPD. Die Sozialdemokraten fühlten sich so verletzt, dass sie auch wegen Mohring 2014 keine Neuauflage von Schwarz-Rot mehr wollten.

Mike Mohring, top candidate of the Christian Democratic Union (CDU) for the upcoming Thuringia state elections attends a CDU election campaign event in Weimar, Germany, October 24, 2019. REUTERS/Micha ...
Mike Mohring.Bild: X90041

Ende 2018 erkrankte Mohring an Krebs, im Januar machte er seine Krankheit und die Chemotherapie öffentlich. Inzwischen gilt er als geheilt. Nur acht Wochen nach Behandlungsende wählte die CDU ihren Parteichef zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Die Krankheit habe ihn verändert, sagt Mohring. "Ich sehe die Dinge reflektierter, gelassener." Er will die CDU, die von 1990 bis 2014 die Regierungschefs stellten, zurück in die Staatskanzlei bringen.

"Wenn man sich die Entwicklung seiner Beliebtheitswerte anguckt, konnte er im Wahlkampf nicht sonderlich punkten", sagt Parteienforscher Niedermayern. "Insofern dürfte sich der Personenfaktor bei der CDU in Grenzen halten, in deutlich engeren Grenzen als in Sachsen etwa."

Schon jetzt scheint jedoch festzustehen: Die Linke wird stärkste Partei

Der Abstand auf CDU und AfD ist einfach zu groß. "Das könnte auch zum Problem für die Linken werden", erklärt Niedermayer. In Sachsen und Brandenburg hatten die CDU und SPD davon profitiert, dass plötzlich nicht mehr sicher war, dass sie die stärksten Partei werden. "Diese Mobilisierung fällt bei der Linken weg, ihre starken Werte in den Umfragen könnten der Partei auf den letzten Metern eher mehr schaden als helfen", sagt er.

Die Regierungsbildung jedenfalls dürfte schwierig werden. In Thüringen könnte es nach der Wahl am Sonntag auch zu einer Minderheitsregierung kommen. Ramelow hatte bereits angedeutet, auch bei einem Verlust der parlamentarischen Mehrheit womöglich weiterhin im Amt zu bleiben. Hintergrund ist Artikel 75 der Thüringer Landesverfassung. Dieser ermöglicht es dem Ministerpräsidenten und der gesamten Landesregierung, "die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen". Nur so viel steht schon jetzt fest: Die Thüringer Bürger hätten wohl mehrheitlich nichts dagegen.

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