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"Markus Lanz": Psychiater stellt die Angst vor dem Virus infrage

Markus Lanz: Er zeigte sich fassungslos von den Ansichten des Kochs Attila Hildmann.
Markus Lanz: Er zeigte sich fassungslos von den Ansichten des Kochs Attila Hildmann.Bild: screenshot zdf
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"Markus Lanz"-Talk: Psychiater stellt die Angst vor dem Virus infrage

14.05.2020, 11:06
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Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) haben in Deutschland rund 148.700 Menschen eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus überstanden. Experten gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle aus. Bayern gilt mit mehr als 45.100 nachgewiesenen Fällen und mindestens 2231 Toten als am meisten betroffenes Bundesland.

Derweil mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag an, dass nicht mit zu schnellen und weitreichenden Öffnungen das bislang Erreichte aufs Spiel gesetzt werden solle. Die Rückkehr zur Arbeit, in Schulen, Kitas und in Gaststätten sei möglich, wichtig sei aber weiterhin die strikte Einhaltung der Regeln. Die Pandemie und das Virus seien weiterhin existent. Das werde in absehbarer Zeit so bleiben.

Am Mittwochabend diskutierte Markus Lanz mit seinen Talkshow-Gästen weiter über die Corona-Krise, Verschwörungstheorien und die Lockdown-Strategien. Mit dabei waren Moderator Dirk Steffens, Politikerin Simone Lange (SPD), Amerikanistikprofessor Michael Butter und Psychiater Michael Schulte-Markwort. Dabei standen besonders die jüngsten Ereignisse der Demos gegen die Corona-Maßnahmen im Mittelpunkt.

Die Gäste sprachen in der Talkrunde besonders über Verschwörungstheorien.
Die Gäste sprachen in der Talkrunde besonders über Verschwörungstheorien.Bild: screenshot zdf

Psychiater Schulte-Markwort stellt die Angst vor dem Virus infrage

Als die Bilder von den Demonstrationen in Deutschland eingeblendet wurden, stellte Michael Butter fest: "Ich fühle mich an Mahnwachen und Pegidaproteste erinnert. Wir haben es mit einer typischen populistischen Bewegung zu tun." Im Gegensatz zu Pegida sei hier allerdings anzuführen, dass die Anzahl der Verschwörungstheoretiker dominierender sei. Corona sei nun der letzte Baustein, das neueste Kapitel in der Geschichte.

Dirk Steffens: Der Naturfilmer ist für seine Recherchen auf der ganzen Welt unterwegs.
Dirk Steffens: Der Naturfilmer ist für seine Recherchen auf der ganzen Welt unterwegs.Bild: screenshot zdf

Tier- und Naturfilmer Dirk Steffens meinte: "Es fängt bei den Flacherdlern (Menschen die meinen, die Erde sei eine Scheibe, Anm. d. Red.) an. Es gibt jeden Irrsinn. Hier wird immer denselben Leuten die Schuld gegeben. Alles, was passiert, wird als zusätzlicher Beweis für den gelernten Algorithmus genutzt." Psychiater Michael Schulte-Markwort hätte zunächst gesagt, dass mit der Angst vor dem Virus Politik gemacht werde. Von dem Gedanken sei er mittlerweile abgekommen: "Wir haben uns alle jeden Tag weiterentwickelt. Ich war eine Zeit lang ungehalten, ich habe mich provozieren lassen." Dennoch machte er klar, dass die große Angst vor dem Virus zu den tatsächlichen Auswirkungen unverhältnismäßig sei.

Michael Schulte-Markwort: Der Psychiater hat die Lockdown-Strategie kritisiert.
Michael Schulte-Markwort: Der Psychiater hat die Lockdown-Strategie kritisiert.Bild: Screenshot zdf

Die Krankheit sei überhaupt nicht so dramatisch. Das würde Schulte-Markwort auch als Arzt sagen. Seinen Standpunkt verdeutlichte er noch mal: "Ich will nicht klüger sein als Virologen, aber ganz am Ende sehe ich keine Zahl weltweit, die mich so ängstigen könnte." Dennoch wurde schnell der Lockdown entschieden. Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg, erklärte dazu:

"Unsere Kommunen waren fremdgesteuert. Man muss dann solidarisch sein. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich gar keine Zeit eine Beurteilung wahrzunehmen. Man wusste über das Virus nichts. Weil ich nichts weiß, finde ich es legitim, dass die Bundesregierung sagt, die Gesundheit geht vor."

Michael Butter erläutert die Gefahr der Verschwörungstheorien

Die Menschen hätten allerdings ein Stück weit Vertrauen verloren. Als Grund dafür führt Lange die Wirtschaft an. Dort hätte es an einem Plan gefehlt. Lanz stellte die Frage, ob dieses tiefe Misstrauen ausschlaggebend dafür sei, was die Menschen auf die Straße treibe. Butter erläuterte:

"Eine Verschwörungstheorie wird es dann, wenn man annimmt, dass es jemanden im Hintergrund gibt, der alles geplant hat. Es ist etwas anderes zu sagen, dass es das Virus überhaupt nicht geben würde. Wenn man so argumentiert, ist man bei der Verschwörungstheorie. Verschwörungstheorien antworten auf Angst."
Michael Butter: Der Amerikanistikprofessor ist Experte für Verschwörungstheorien.
Michael Butter: Der Amerikanistikprofessor ist Experte für Verschwörungstheorien.Bild: scrennshot zdf

Diese Theorien suggerieren somit, dass man verstanden hätte, wer die Strippen ziehen würde. "Ich sehe auch die Gefahr, dass Angst in Wut und Protest umschlägt", so der Professor. Die Verschwörungstheorien können gefährlich sein, weil sie zur politischen Radikalisierung führen könnten. Die Verschwörungen gegen Bill Gates würden damit zusammenhängen, weil er sich seit Jahren mit seiner Stiftung fürs Impfen einsetze. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) würde die zum Teil finanzieren. Ihm werde unterstellt, dass er die Weltbevölkerung reduzieren wolle.

Lanz antwortete prompt: "Ich kann kaum glauben, was ich aus Attila Hildmanns Mund höre. Ist das ein Beispiel dafür?" Butter erklärte dazu den Hintergrund: "Ich vermute, Hunde, die bellen, beißen nicht. Ein Drittel der Menschen ist anfällig für Verschwörungstheorien. In Amerika glaubt jeder Zweite daran. Sie waren früher normal." Und weiter:

"Nach dem Zweiten Weltkrieg werden Verschwörungstheorien stigmatisiert und richten sich auf einmal gegen die Eliten. In den USA ist die Gesellschaft viel polarisierender als unsere."

Naturfilmer Steffens spricht über das Labor in Wuhan

Hierzulande hingegen bewegten sich die Medien noch in der Wirklichkeit. 40 Prozent der Amerikaner seien davon überzeugt, dass das Virus in einem Labor entwickelt wurde. Lanz wollte darüber hinaus wissen, ob Verschwörungstheorien ein harmloses Ventil sein können. Für den Psychiater war klar: "Eine Gruppe reguliert sich über Außenfeinde." Auch das Labor in Wuhan ist immer wieder Gegenstand von Verschwörungstheorien.

Dirk Steffens: Der Moderator hat bereits zum Hochsicherheitslabor in Wuhan recherchiert.
Dirk Steffens: Der Moderator hat bereits zum Hochsicherheitslabor in Wuhan recherchiert.Bild: screenshot zdf

Naturfilmer Steffens betonte: "Man kann in der Forschung feststellen, ob es ein gebautes Virus oder ein natürliches Virus ist. Die Wahrscheinlichkeit für ein gebautes ist total gering." Wo Menschen arbeiten, passierten Pannen. Daraus eine Verschwörungstheorie zu bauen, sei nicht schwer. Steffens These ist allerdings eine andere: "Naturzerstörung produzieren Seuchen. Sie werden jetzt häufiger und sie treffen uns härter." Auch das RKI habe übrigens ein Labor wie in Wuhan mit der höchsten Schutzstufe, wo mit Coronaviren gearbeitet werde.

Politikerin Lange kritisiert die Gesundheitspolitik

Lanz mahnte an, dass es keine Blaupause gebe. Oberbürgermeisterin Lange stellte klar: "Wir müssen aufpassen, dass wir das System nicht überfordern. Wir reden fast schon, als wären wir am Ende. Ich habe aber das Gefühl, wir stehen am Anfang." Das große Problem in der Pandemie sei nach wie vor die richtige Kommunikation, um die Menschen gut durch die Krise zu führen.

Simone Lange: Die Politikerin sieht besondere Herausforderungen in der Kommunalpolitik.
Simone Lange: Die Politikerin sieht besondere Herausforderungen in der Kommunalpolitik.Bild: screenshot zdf

Butter erklärte dazu:

"Die Verschwörungstheoretiker wissen im Grunde immer, was vor sich geht. Es gibt niemals was Neues zu wissen. Die wissen, dass das Virus nicht gefährlich ist."

Die Fakten sehen allerdings anders aus. Lanz sagte zum Grippe-Vergleich, der oft herangezogen wird: "Gefährlich, was wäre, wenn wir nicht die Maßnahmen ergriffen hätten? Den Influenza-Vergleich finde ich nicht zulässig. Da haben wir einen Impfstoff und können was tun." Was dieses Virus anrichten könne, hätten wir so noch nicht gesehen. Das müsse man schon ernst nehmen.

Zum Schluss zeigte sich besonders Politikerin Lange besorgt: "Ich wünsche mir eine Debatte über Gesundheitspolitik. Wir haben es nie geschafft, die Alten zu schützen. Wir haben noch nicht mal Schutzkleidung für die Leute, die da arbeiten. Das war schon beschämend für Deutschland, dass wir kein Schutzmaterial hatten und dann in den Lockdown mussten." Die Krise sei noch nicht vorbei. Dabei solle beachtet werden, dass Transparenz bei jeglicher Kommunikation ganz weit oben stehen müsse.

(iger)

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