Fußball-Kolumne
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Wie der deutsche Fußball 2023 vor seiner größten Herausforderung steht

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Manuel Neuer (r.) muss Jamal Musiala trösten. Die DFB-Elf schied in Gruppenphase der Weltmeisterschaft aus.Bild: www.imago-images.de / imago images
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Wie der deutsche Fußball 2023 vor seiner größten Herausforderung steht

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In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
31.12.2022, 10:0028.01.2023, 09:18

Während der Fußball weltweit boomt und in vielen Ländern neue Wege in die internationale Spitze gefunden werden, fehlt dem Deutschen Fußball eine Vision. Der DFB befindet sich seit vielen Jahren in der Dauerkrise. Sportlich wie sportpolitisch. Die WM in Katar hat diesen Negativtrend nochmals merklich beschleunigt.

Sportlich ist die Nationalmannschaft endgültig ins Mittelmaß abgerutscht. Das ideenlose Aus in der Vorrunde bestätigt nach der WM 2018 und der EM 2021, das man seit langem schlicht die falschen Entscheidungen trifft. Gleiches gilt für die DFB-Sportpolitik. Auch in dieser Hinsicht hat man sich unter anderem wegen der peinlichen Symbolaktionen ("OneLove Kapitänsbinde" und "Mund zu Mannschaftsfoto") schwungvoll und naiv ins Abseits gestellt.

Fans und Zuschauer quittieren diese Negativserie durch Abwendung und zuletzt wurden sogar einige der Sponsoren unruhig. Der international tätige Handelskonzern Rewe hat den DFB vorzeitig verlassen.

"Wenn wir uns nicht an das Scheitern gewöhnen wollen, brauchen wir einen radikalen Perspektivenwechsel."

Der deutsche Fußball ist von Angst und Unsicherheit geprägt

Die Schwäche des DFB beschert uns bereits in den ersten Tagen nach dem WM-Aus eine viel kritisierten Taskforce aus mächtigen Sportmanagern der Bundesliga. Die sollen den Rücktritt des sportlichen Architekten und Ideengebers Oliver Bierhoff kompensieren und die Eckpunkte für einen Neuanfang setzen.

Wer auch immer diese Idee hatte: Diese Entscheidung passt ins Bild der seit Langem bestehenden Angst und Unsicherheit. Mit Mut und Vision hat das nichts zu tun. Dabei brauchen wir im deutschen Fußball genau das! Enorm viel Mut und eine ansteckende Vision, die in diesem großartigen Fußballland zünden kann!

"Fans in Asien oder Nordamerika stufen die Liga eher als eine Ansammlung von Farmteams ein."

Die Bundesliga wird mehr und mehr zur Ausbildungsliga internationaler Talente degradiert und schafft es nur viel zu selten, Talente für die Nationalmannschaft zu entwickeln. Sie erwirtschaftet auf nationaler Ebene solide Zahlen. International hinkt die Vermarktung weit hinterher. Fans in Asien oder Nordamerika stufen die Liga eher als eine Ansammlung von Farmteams ein. Talentierte Spieler wechseln früher oder später zu den Bayern oder in die großen Klubs nach England, Spanien oder Frankreich. Spannender Wettbewerb geht anders.

Deutscher Fußball will weiter im eigenen Saft schmoren

Die Baustellen für den erfolgreichen Fußball der Zukunft sind gewaltig. Zuletzt waren die Einschaltquoten bei der WM um mehr als 50 Prozent eingebrochen und die Fußballstimmung im Land ist unterirdisch. Deshalb sei die Frage erlaubt, weshalb dieser DFB so beharrlich im eigenen Saft schmoren möchte?

Weshalb scheut ihr euch vor einer schonungslosen und offenen Analyse? Wer ist in der Lage, die Fehler der Vergangenheit klar anzusprechen und wer vermag dem Verband neue Wege aufzeigen? Wer ist in der Lage, über den Tellerrand hinauszuschauen? Wer hat ein Gespür für die Erwartungen der Fans? Wer kann von anderen Sportarten und anderen Fußballigen lernen? Wer schafft es, eine tragfähige Vision zur Zukunft des Fußballs zu formulieren? Eine Vision, die nicht sofort als Produkt einer PR-Agentur enttarnt wird? Wir brauchen eine Vision zum Fußball, die von der Idee des Wettkampfsports getragen wird!

Wenn wir uns nicht an das Scheitern gewöhnen wollen, brauchen wir einen radikalen Perspektivenwechsel. Mehr Sport und weniger Kommerz. Mehr ideelle als materielle Werte. Mehr Gier nach Erfolg als nach Geld. Mehr Mut, Kreativität, Solidarität und Gemeinschaftssinn. Im Grunde ist das gar nicht so schwer. Es sei denn, man möchte weiterhin so beharrlich im eigenen Saft schmoren.