Demonstranten stehen vor belarussicher Polizei. Bild: AP
International
31.08.2020, 08:2531.08.2020, 08:26
Zehntausende Menschen haben das vierte
Wochenende in Folge in Belarus (Weißrussland) trotz beispielloser
Drohungen der Behörden bei Massenprotesten den Rücktritt von
Staatschef Alexander Lukaschenko gefordert. Die Polizei ging am
Sonntag, an Lukaschenkos 66. Geburtstag, gegen friedliche
Demonstranten vor. Uniformierte steckten vor allem Männer in
Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war.
Allein in der Hauptstadt Minsk wurden bis zum Nachmittag laut
Innenministerium 140 Menschen festgenommen. Medien berichteten auch
in anderen Städten von vielen Festnahmen.
Ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete aus Minsk,
dass der Unabhängigkeitsplatz komplett mit Metallgittern abgesperrt
war. Dorthin wollten die Demonstranten ursprünglich ziehen. Tausende
zogen in einen anderen Stadtteil zum Unabhängigkeitspalast, dem Sitz
Lukaschenkos. Seine Sprecherin veröffentlichte ein Foto, das den
Staatschef mit einer Maschinenpistole vor dem Gebäude zeigt. Er war
bereits vor einer Woche mit einer Kalaschnikow aufgetreten.
Im Stadtzentrum versuchten Uniformierte mit Geländewagen, die an
der vorderen Stoßstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen
zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf
die Straße legten.
Mit Großaufgebot vor Ort
Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer
wurden in Stellung gebracht. Demonstranten riefen den Polizisten
"Schande" entgegen. Bei Festnahmen waren auch Schreie zu hören.
Vereinzelt wehrten sich die Bürger dagegen.
Abschließende Zahlen zu den Festnahmen lagen zunächst nicht vor.
Nach heftigen Regenfällen gingen am Nachmittag viele Demonstranten
wieder nach Hause. Daraufhin wurde am Palast der Unabhängigkeit
Militärtechnik wieder abgezogen.
Zu dem Protest hatte die Demokratiebewegung aufgerufen.
Lukaschenko solle an seinem Geburtstag sehen, dass das Volk gegen ihn
und seine Zeit an der Macht abgelaufen sei, hieß es. Protestmärsche
gab es in Minsk an verschiedenen Stellen, aber auch in anderen
Städten.
An den beiden vergangenen Sonntagen waren im Land Hunderttausende
auf den Straßen zu Protesten gegen "Europas letzten Diktator", wie
sie Lukaschenko nennen. Die Polizei war nicht eingeschritten. Der
Sonntag gilt in Belarus als mittlerweile wichtigster Protesttag.
Proteste mit vielen Frauen
Bereits am Samstag gab es Proteste, an denen sich hauptsächlich
Frauen beteiligten. Sie nehmen in der Demokratiebewegung in Belarus
eine herausragende Stellung ein. Das Innenministerium sprach von
landesweit 8500 Teilnehmern. 29 Menschen wurden festgenommen. Zuletzt
waren die Sicherheitskräfte wieder verstärkt gegen Demonstranten
vorgegangen. Zu Beginn der Proteste gab es Tausende Festnahmen.
Seit der Präsidentenwahl vor drei Wochen gehen die Menschen in
dem zwischen Russland und EU-Mitglied Polen gelegenen Land jeden Tag
auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt Lukaschenkos nach 26 Jahren
an der Macht und Neuwahlen. Doch der beansprucht den Wahlsieg mit
80.1 Prozent der Stimmen für sich. Die Opposition hält dagegen
Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin.
Eine Frau kniet vor belarussischen Sicherheitsbeamten. Bild: AP
International steht die Abstimmung als grob gefälscht in der
Kritik. Kremlchef Wladimir Putin bekräftigte am Wochenende dennoch,
dass er Lukaschenko für den Wahlsieger hält. Mit Blick auf die
Fälschungsvorwürfe meinte er: In der Welt sei nichts "ideal".
Lukaschenko und Putin wollen sich treffen
Bei einem Telefonat am Sonntag zu Lukaschenkos Geburtstag
vereinbarten beide Präsidenten ein persönliches Treffen in Moskau,
wie der Kreml mitteilte. Ein Zeitpunkt wurde aber nicht genannt.
Putin hatte seinen unter Druck stehenden Kollegen in Minsk
zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im
Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines
Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. Moskau hatte zuvor dem
Westen davor gewarnt, sich in den Machtkampf einzumischen.
In den vergangenen Tagen gerieten auch Journalisten ins Visier
der autoritären Staatsführung. Mehreren Vertretern westlicher Medien
seien die Akkreditierungen entzogen worden, berichtete ein Reporter
der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. Einige seien bereits des
Landes verwiesen worden. Die Behörden wollen damit offenbar eine
Berichterstattung über die landesweiten Proteste verhindern.
Der Journalistenverband des Landes sprach von einem massiven
Entzug der Arbeitserlaubnisse auch für Medienvertreter aus Belarus,
die für ausländische Fernseh- oder Rundfunksender, Zeitungen oder
Nachrichtenagenturen arbeiteten. Betroffen war nach Angaben des WDR
auch ein ARD-Kamerateam, das über Stunden in einer Polizeiwache
festgehalten wurde. Es kam am Samstagvormittag wieder frei.
Internationale Kritik an Vorgehen
International gab es Kritik am Vorgehen der Behörden. "Wenn
Journalistinnen und Journalisten willkürlich und ohne jede
Rechtsgrundlage festgesetzt und durch den Entzug ihrer
Arbeitserlaubnis an ihrer wichtigen Arbeit gehindert werden, dann ist
das überhaupt nicht akzeptabel", sagte der deutsche Außenminister
Heiko Maas (SPD). Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian
sagte: "Die willkürlichen Maßnahmen der belarussischen Behörden gegen
Journalisten stehen im Widerspruch zur Pressefreiheit."
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rief die Bundesregierung
zu konkreten Strafen für die Regierung in Minsk auf. Der
WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn sagte, eine unabhängige
Berichterstattung in Belarus werde "beinahe unmöglich gemacht".
Tichanowskaja kritisierte die Annullierung der Akkreditierungen als
Versuch, die Gesellschaft zu verängstigen und einzuschüchtern.
Ungeachtet dessen setzte das belarussische Militär am Sonntag
seine Manöver bei Grodno im Westen des Landes fort. Dem
Verteidigungsministerium zufolge kommen dabei auch Panzer,
Fallschirmjäger und Artillerie zum Einsatz. Lukaschenko hatte damit
gedroht, notfalls auch das Militär gegen Demonstranten
einzusetzen.
(lin/dpa)
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