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USA-Experte: "Aus diesem Dilemma kommt Trump nicht mehr heraus"

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US-Präsident Donald Trump hat in einem Interview Anthony Fauci (rechts) widersprochen, nach dem der festgestellt hatte, die USA steckten "knieftief" in der ersten Welle der Coronapandemie.Bild: abaca / Gripas Yuri/ABACA
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"Aus diesem Dilemma kommt Trump nicht mehr heraus"

Während in den USA inzwischen über drei Millionen Corona-Infektionen bestätigt sind, legt sich der Präsident öffentlich mit seinen Wissenschaftlern und der Seuchenschutzbehörde an. Was dahinter steckt – und wie sich Trump in eine Sackgasse manövriert.
10.07.2020, 08:4110.07.2020, 08:42
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Anthony Fauci ist in den USA das, was in Deutschland Christian Drosten ist: eine angesehene wissenschaftliche Stimme im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Bekannt geworden in den berühmt-berüchtigten Pressebriefings des Weißen Hauses, ist der Immunologe inzwischen aber beim US-Präsidenten Donald Trump in Ungnade gefallen.

Als Fauci in dieser Woche in verschiedenen Interviews und Social-Media-Auftritten darauf hinwies, die USA steckten noch immer "knietief in der ersten Welle", angesichts von inzwischen drei Millionen Infizierten eine durchaus zutreffende Beschreibung der Zustände in den USA, da widersprach ihm Trump öffentlich in einem TV-Interview und sagte:

"Ich denke, wir sind an einem guten Ort. Ich sehe das anders als er."

Dann lamentierte Trump, Fauci sei erst gegen das Tragen von Masken gewesen, jetzt sei er dafür. Er sei gegen einen Einreisestopp für Chinesen gewesen, den er, Trump, dennoch eingeführt habe. "Ich habe nicht auf meine Experten gehört, und den Einreisestopp verhängt. Wir wären sonst in einer viel schlechteren Position jetzt", lobte Trump sich selbst. Warum stellt sich der Präsident so gegen einen seiner führenden Experten in der Pandemie-Bekämpfung?

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Anthony Fauci leitet das National Institute of Allergiy and Infectious Diseases.Bild: abaca / Pool/ABACA

Was Trump fürchtet...

"Trump steckt in der Klemme", sagte der US-Politik-Experte Thomas Jäger zu watson. Der Präsident habe mit starken Wirtschaftszahlen in den Wahlkampf ziehen wollen, die Pandemie sei aber dazwischen gekommen. Nun forciere Trump Lockerungen und Öffnungen, um die Wirtschaft schnell wieder anzukurbeln. "Trump fürchtet, dass er bis zur Wahl im November keine boomende Wirtschaft vorlegen kann", erklärte Jäger. Anthony Fauci, der weiterhin auf Abstand-halten, Social Distancing und Maske-tragen pocht, steht dem dabei entgegen – (regionale) Lockdowns und anziehende Wirtschaftszahlen vertragen sich nicht.

Weil aber Trump niemand mehr einen Kurswechsel in der Coronapolitik abnehmen würde, könne der Präsident nicht anders, als seine Gesundheitspolitik der Wirtschaft unterzuordnen. Entsprechend müsse sich Trump auch von Fauci distanzieren und werfe ihm daher vor, er habe schon zu Beginn der Pandemie falsche Ratschläge erteilt, so Jäger weiter.

... und was Schulen damit zu tun haben

Fauci ist bei weitem nicht der einzige Wissenschaftler in den USA, der aktuell damit zu tun hat, dass Trump anderer Meinung ist. Das Center for Disease Control and Prevention (CDC), die US-Seuchenschutzbehörde, veröffentlichte in dieser Woche Richtlinien für die in den USA anstehenden Schulöffnungen – und kassierte einen wütenden Tweet des Präsidenten.

"Sehr streng und teuer", seien die Richtlinien, außerdem "unpraktisch". "Ich werde mich mit dem CDC treffen", schloss Trump seinen Tweet ab und schob in einem zweiten hinterher, in Deutschland oder Schweden seien die Schulen ja auch ohne Probleme wieder geöffnet worden.

Wenig später verkündete Vizepräsident Mike Pence, das CDC werde neue Richtlinien herausgeben. Der Präsident hat Druck gemacht, die Behörde spurte. Warum hat Trump die Schulen so für sich entdeckt?

Auch in diesem Fall steckten wirtschaftspolitische Interessen hinter Trumps Handeln, sagte Experte Jäger zu watson. "Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den USA haben, wie in Europa auch, das Problem, dass ihre Kinder tagsüber nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen können." Die Öffnung der Wirtschaft aber hänge daran ab, dass Kinder betreut werden. "Das treibt Trump an, obwohl die US-Regierung auf dem Feld überhaupt nichts zu sagen hat." Schulen sind in den USA, ähnlich wie in Deutschland, Sache der Bundesstaaten – die Regierung kann nur Empfehlungen abgeben und gegebenenfalls Anreize schaffen, damit die einzelnen Staaten diese auch umsetzen.

"Aus diesem Dilemma kommt Trump nicht mehr heraus"

Angesichts der weiter stark ansteigenden Zahlen von Neuinfektionen in den USA – die Zahl hat sich in den letzten Wochen von 20.000 täglichen Ansteckungen auf rund 60.000 verdreifacht – stellt sich die Frage, ob Trump im Wahlkampf nicht auf das falsche Pferd setzt, wenn er bei den Wählern vor allem mit einer starken Wirtschaft punkten will, diese aber vor allem an einer effektiven Pandemie-Politik interessiert sind.

Zumal mehr Infektionen eher dazu führen werden, dass die Wirtschaft weiter lahmt, weil etwa Eltern nicht arbeiten können, Kranke zu Hause bleiben müssen oder ganze Fabriken ihre Tore schließen. Es sieht aktuell so aus, als habe sich Trump in eine Sackgasse manövriert.

Experte Jäger stimmt dem zu. "Aus diesem Dilemma kommt Trump nicht mehr heraus", sagte er zu watson. Dazu hätte der Präsident von Anfang an eine andere Pandemie-Politik machen müssen, die ihn in die Lage versetzen hätte können, abwägend vorzugehen. Nun sei es dafür zu spät: "So einen Strategiewechsel kann er den Wählern jetzt nicht mehr verkaufen." Links wie rechts habe die Zahl der Wütenden zugenommen. Die einen seien unzufrieden, weil aus ihrer Sicht zu spät gelockert wurde – die anderen, weil die Lockerungen zu früh kamen.

"Deswegen versucht Trump, wegzukommen von der Beurteilung seiner Pandemie-Politik." Abzulesen sei das etwa seinen Äußerungen zu Identitätspolitik oder zuletzt in geschichtspolitischen Fragen, in denen Trump sich klar gegen jene positionierte, die etwa Denkmäler für Bürgerkriegsgeneräle gerne aus der Öffentlichkeit verschwinden sähen. "Auf diesen Ebenen muss Trump jetzt Symbole finden und klarmachen, wofür er steht."

Denn weder Pandemie- noch Wirtschaftspolitik könne der Präsident bis zum Wahltag am 3. November so in den Griff bekommen, dass er den Wählern einen Erfolg verkaufen kann, meint USA-Experte Thomas Jäger.

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