International
Die andere Perspektive

Fall Nawalny: Zwei Russlanddeutsche erklären, warum sie auf Putins Seite sind

ARCHIV - 29.02.2020, Russland, Moskau: Alexej Nawalny, Oppositionsf
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im Februar 2020, bei einem Gedenkmarsch für den 2015 ermordeten Kremlkritiker Boris Nemzow Bild: dpa / Pavel Golovkin
Die andere Perspektive

Fall Nawalny: Zwei Russlanddeutsche erklären, warum sie auf Putins Seite sind

12.09.2020, 19:4013.09.2020, 13:43
Mehr «International»

Der Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat in Deutschland und anderen Ländern viele Menschen entsetzt. Die Bundesregierung fordert Aufklärung von der Regierung um den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Politiker mehrerer Parteien vermuten entweder Putin oder mächtige Menschen in seinem Umfeld hinter der Attacke mit einem Nervengift auf der Nowitschok-Gruppe.

Die russische Regierung wirft westlichen Staaten "Hysterie" vor, vermutet ein Komplott gegen Russland, um die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. In Russland selbst bleibt es nach dem Anschlag auf Nawalny erstaunlich ruhig. Es gibt keine Berichte über größere Protestaktionen – anders als bei früheren Angriffen, etwa dem Mord am russischen Oppositionsführer Boris Nemzow im Februar 2015.

Warum glauben viele Menschen in Russland und Russlanddeutsche der Version der Fakten, die Präsident Putin liefert? Wir haben mit zwei Russlanddeutschen gesprochen – und ordnen ihre Aussagen mithilfe von Russland-Experte Stefan Melle ein.

Melle ist Geschäftsführer der deutsch-russischen Nichtregierungsorganisation Deutsch-Russischer-Austausch (DRA), die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft einsetzt.

Die beiden Russlanddeutschen sind rund 30 Jahre alt. Beide wollen ihren echten Namen nicht veröffentlicht wissen, wir nennen sie Aljoscha und Alexander.

Zur Wichtigkeit Nawalnys in Russland

Aljoscha sagt zur Rolle Alexej Nawalnys in Russland:

"Nawalny ist nur ein Blogger, der ständig Putin kritisiert, sonst nichts."

Experte Melle misst Nawalny eine größere Bedeutung zu – weist aber darauf hin, dass er auch bei Oppositionellen im Land umstritten ist:

"Nawalny ist in Russland sehr bekannt, aber auch umstritten. Für viele ist er ein Held, für viele aber auch nicht ganz durchschaubar. Auch Menschenrechtler sehen ihn teilweise kritisch, weil er für sie ein Nationalist ist.“

Mit seinen YouTube-Videos erreicht Nawalny teilweise millionenfache Abrufe. Seine Popularität, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung, erklärt Melle so:

"Er ist rhetorisch sehr gut, attraktiv und hat eine klare Agenda. Er schaut hinein in das Strukturen-Wirrwarr der russischen Elite und deckt deren Selbstbereicherung auf."

Zur Glaubwürdigkeit der Medien – und den Erzählungen zu Nawalnys Vergiftung

Aljoscha sagt:

"Die meisten Russen glauben dem Staatsfernsehen."

Alexander setzt die direkt von der russischen Regierung kontrollierten Medien mit den unabhängigen, öffentlich-rechtlichen wie privaten Medien in europäischen Staaten gleich:

"Klar lügen die Staatsmedien in Russland, aber die westlichen Medien ja auch. Fakt ist, dass man beim Fall Nawalny nichts sicher weiß."

Und Aljoscha vertritt die Erzählung der russischen Regierung (der auch manche Politiker von Linkspartei und AfD in Deutschland folgen) – dass der Fall Nawalny nur ein Instrument sei, um Russland zu diskreditieren und den Bau von Nord Stream 2 zu blockieren:

"Meiner Meinung nach hat das mit der Gaspipeline zu tun. Die USA wollen Russland daran hindern, sie zu bauen."

Für DRA-Geschäftsführer Melle passen solche Ansichten zum Narrativ, das die russische Regierung und die Staatsmedien verbreiten:

"Die russischen Regierungsmedien erzählen natürlich eine andere Geschichte. Dort wird immer wieder erklärt, dass es überhaupt nicht sicher sei, dass Nawalny durch die russische Regierung vergiftet wurde und es möglicherweise auch andere Geheimdienste gewesen sein könnten."

Es würden Spekulationen in unterschiedliche Richtungen gestreut, unter anderem auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel:

"Es zirkuliert auch das Gerücht, dass Frau Merkel ein Interesse daran gehabt hätte, Nawalny zu vergiften. Das ist zwar absurd, aber bleibt nicht spurenlos. Die zweite Ebene ist dann auch, dass man argumentiert, dass der Fall Nawalny vom Westen gezielt genutzt wird, um Stimmung gegen Russland und insbesondere Nord Stream 2 zu machen."

Wichtig sei auch die Botschaft, dass nichts über Nawalnys Vergiftung klar ist.

"Der generelle Tenor ist: Es lässt sich nichts beweisen. Und solange das so ist, gilt: Genaueres weiß man nicht."

Zur Frage, warum Putin so beliebt ist

Alexander erklärt die Beliebtheit von Präsident Wladimir Putin so:

"Putin hat Ordnung gebracht. Vorher herrschte Chaos. Und zumindest respektiert man Russland jetzt wieder.“

Russland-Experte Stefan Melle erklärt die (in Russland weit verbreitete) These, Putin habe für Ordnung gesorgt, mit den Zuständen in den 1990er-Jahren. Also der Zeit zwischen dem Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung der Sowjetunion und Putins Machtübernahme im Jahr 2000:

"Die damalige Zeit war traumatisch für viele. Es haben sich die Oligarchenstrukturen und auch kriminelle Banden entwickelt, zeitweise herrschte eine Versorgungskrise. Das war für viele eine bitterarme Zeit."
TAS18. MOSCOW,RUSSIA. MAY07. Russian President Vladimir Putin R and former President Boris Yeltsin L pictured reviewing the Kremlin regiment of the Presidential guards at the Cathedral square during t ...
Wladimir Putin neben seinem Vorgänger Boris Jelzin am 7. Mai 2000, dem Tag der Machtübergabe zwischen beiden.Bild: www.imago-images.de / imago stock&people

Und der Respekt, den Putin Russland in den Augen vieler in der Welt verschafft hat? Melle sieht ein Muster:

"Putin versucht, mit außenpolitischer Machtpolitik vom wirtschaftlichen Stillstand, der Konzeptionslosigkeit und Korruption abzulenken. Er schafft ein Freund-Feind-Denken und markiert den starken Mann. Für die wirtschaftliche und kulturelle Substanz im Landesinneren fand aber in zwanzig Jahren Regierungszeit keine nennenswerte Weiterentwicklung statt. Der Mittelstand wächst nicht und auch wirtschaftlich spielt Russland global keine große Rolle. Das versucht Putin mit Machtpolitik auszugleichen."
Russlands Wirtschaft ächzt: Putin quetscht für Kriegskosten Milliardäre aus

Krieg kostet. Nicht nur Soldaten und Kampfmittel, sondern auch Geld. Das bekommt Russlands Präsident Wladimir Putin immer mehr zu spüren.

Zur Story