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Russisches Gas fließt noch immer durch die Ukraine und das bringt Probleme

26.08.2022, Polen, Strachocina: Teile der Gasverbindungsleitungen der Gasleitung zwischen Polen und der Slowakei sind abgebildet. Die Ministerpr
Russland führt einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine, während noch immer russisches Gas durch die Ukraine fließt.Bild: TASR / Roman Hanc
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Warum immer noch russisches Gas durch die Ukraine fließt – aber jetzt Eskalation droht

Die Nord-Stream-Röhren sind nach den Sabotageakten unbenutzbar. Ausgerechnet durch die Ukraine aber fließt weiterhin russisches Gas nach Westen. Nun aber droht eine Eskalation.
01.10.2022, 12:49
Peter Blunschi / watson.ch
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In jedem Krieg gibt es Entwicklungen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Es kann vorkommen, dass zwei Parteien, die sich auf dem Schlachtfeld bekämpfen, weiterhin miteinander im Geschäft sind. Im Fall des Ukraine-Kriegs betrifft dies die Lieferung von Erdgas aus Russland via die Transgas-Pipeline durch das angegriffene Land, die Ukraine.

Der Umfang wurde in den letzten Monaten deutlich reduziert, weil die Ukraine keine Zuflüsse mehr durch die südliche Versorgungsleitung akzeptiert, das durch die russisch besetzte Region Luhansk führt. Sie fordert, dass die Lieferung nur noch über die nördliche Leitung durch die ukrainisch kontrollierte Region Sumy erfolgt. Der Streit droht jetzt zu eskalieren.

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Beide Nord-Stream-Pipelines besitzen Lecks, die wohl durch Sabotageaktion verursacht wurden. Bild: IMAGO/ZUMA Wire

Noch aber fließt das Gas, was bemerkenswert ist angesichts der Lecks in den beiden Nord-Stream-Pipelines, die sehr wahrscheinlich durch Sabotageakte verursacht wurden. Der Verdacht fällt auf Russland. Obwohl zuletzt kein Gas (mehr) durch die Ostsee-Röhren floss, könnte Moskau versuchen, in Europa die Angst vor einer Energiekrise im Winter zu schüren.

Spannungen seit 2004

Vorerst ist das reine Spekulation, und der Transit durch die Ukraine funktioniert weiterhin. Er basiert der "NZZ" zufolge auf "einer jahrzehntelangen Abhängigkeit". Mit dem Bau der Transgas-Pipeline durch die Sowjetunion wurde in den 1960er-Jahren begonnen. Sie führt durch die Slowakei und Tschechien nach Deutschland und Österreich.

Auch nach der Auflösung der Sowjetunion blieb sie die "Lebensader" der russischen Gaslieferungen in den Westen. Seit einiger Zeit aber kam es vermehrt zu Spannungen. Nach der "Orangen Revolution" in Kiew 2004 verlangte der Gazprom-Konzern von der ukrainischen Regierung statt des bisherigen Vorzugstarifs auf einmal "Weltmarktpreise".

Putin und die "Gaswaffe"

Anfang 2006 kam es zu einem Lieferstopp. Allerdings floss das für das übrige Europa bestimmte Gas weiterhin durch die Ukraine, worauf diese einen Teil für sich abzweigte. Schließlich wurde ein Vertrag unterzeichnet, in dem Kiew die Preisaufschläge akzeptierte und im Gegenzug einen höheren Tarif für den Gastransit herausholen konnte.

Beigelegt aber wurde der Konflikt nie. Wladimir Putin versuchte weiterhin, die Ukraine mit der "Gaswaffe" unter Druck zu setzen. Diese wehrte sich erfolgreich. Ein Schiedsgericht in Schweden verurteilte Russland 2017 zu einer Zahlung von 2,5 Milliarden Dollar. Ende 2019 unterzeichneten Gazprom und der ukrainische Naftohaz-Konzern einen neuen Liefervertrag.

Kritik an der Schweiz

Gleichzeitig versuchte Russland, die Ukraine beim Gastransit zu umgehen, mit Nord Stream 1 und 2 sowie der 2020 eröffneten TurkStream-Pipeline durch das Schwarze Meer. Die Ukraine verfolgte diese Entwicklung mit Unbehagen. Ihr drohten Einnahmen zu entgehen, weshalb auch sie verdächtigt wird, hinter den Nord-Stream-Lecks zu stecken.

Noch aber scheint die Transgas-Leitung für Russland unverzichtbar zu sein. Denn trotz massiver Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur wurde die Pipeline bislang nicht zerstört. Naftohas-Chef Yuriy Vitrenko hatte dafür in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) im Mai eine einfache Erklärung:

"Die Russen bombardieren diese Pipeline nicht, denn sie bekommen ja viel Geld für ihre Lieferungen nach Westeuropa."

Allerdings hat Russland die Lieferungen stark reduziert. Auch Transitgebühren werden zurückgehalten. Naftohas klagte deshalb Anfang September wegen Verletzung des Liefervertrags von 2019. Dieser wurde nach schwedischem Recht abgeschlossen, als Gerichtsstand wurde Zürich bestimmt. Am Mittwoch wies Gazprom die Vorwürfe zurück.

KYIV, UKRAINE - OCTOBER 20, 2021 - Naftogaz of Ukraine CEO Yuriy Vitrenko answers reporters questions on the sidelines of the Ukraine Gas Investment Congress at the Kyiv International Convention Cente ...
Naftohas-Chef Yuriy Vitrenko fordert ein europäisches Gas- und Ölembargo.Bild: imago images/Ukrinform / Yevhen Kotenko

Es sei die Ukraine, die ihre Transitverpflichtungen nicht einhalte, heißt es in der Mitteilung mit Verweis auf die "Blockade" der südlichen Leitung. Außerdem würden Schweden und die Schweiz von der russischen Regierung als "unfreundliche Länder" eingestuft. Gazprom drohte stattdessen mit Sanktionen gegen Naftohas, inklusive Lieferstopp.

Vernichtende Sanktionen müssen Putins Position schwächen

Einen solchen würde Konzernchef Vitrenko jedoch in Kauf nehmen. Im RND-Interview unterstützte er ein westliches Gas- und Ölembargo gegen Russland:

"Wenn wir über Sanktionen reden, dann brauchen wir vernichtende Sanktionen, solche, die wirklich geeignet sind, Putins Position zu schwächen. Ein solcher Schritt sollte ein Schock für Russland sein, es könnte ein Schock für Europa sein. Aber es wäre eine bewusste Wahl, auf die man sich auch vorbereiten kann."

Ein Lieferstopp durch die Ukraine würde nach der Sabotage in der Ostsee wohl für zusätzliche Unruhe und Preissteigerungen auf dem Gasmarkt sorgen. Umso wichtiger sind die Anstrengungen des Westens, sich von russischem Gas unabhängig zu machen.

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