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Interview

EU und Belarus: Experte sagt, wie Europa jetzt mit Lukaschenko umgehen sollte

A minute of scream in solidarity with Belarusian oposition Photo: Jakub Kaminski/East News A minute of scream - a demonstration against the regime ruling Belarus organized by Polish-Belarusian artist  ...
Demonstrantinnen auf einer Protestveranstaltung gegen das belarussische Regime in der polnischen Hauptstadt Warschau. Bild: imago images / Jakub Kaminski
Interview

"Politische Aufmerksamkeit rettet Leben": Experte sagt, was Europa jetzt für Menschen in Belarus tun sollte

27.05.2021, 08:3127.05.2021, 12:49
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Belarus spielt seit Jahren eine besondere Rolle in Europa. Das Land ist ein autoritäres Regime, seit 1994 steht an der Spitze der Regierung Alexander Lukaschenko. Seit Monaten brodelt es im Land: Bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 siegte Lukaschenko nach Regierungsangaben mit über 80 Prozent – doch sie gilt als Scheinwahl: Mehrere Gegenkandidaten Lukaschenkos wurden festgenommen, Wahlmanipulationen nachgewiesen.

Hunderttausende Menschen in Belarus sind seither auf die Straße gegangene, hunderte von ihnen wurden verletzt, von Spezialeinheiten festgenommen, einige wurden gefoltert. watson hat im vergangenen Herbst mit einer jungen Aktivistin gesprochen, die sich für demokratische Rechte einsetzt. Die Europäische Union hat auf die Lage mit mehreren Sanktionspaketen gegen Lukaschenko und andere führende Mitglieder des Regimes reagiert.

Am vergangenen Sonntag ist die belarussische Regierung einen Schritt weiter in Richtung Eskalation gegangen: Ein Flugzeug der Fluggesellschaft Ryanair, das auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius war, wurde über Belarus abgefangen und zur Landung in der belarussischen Hauptstadt Minsk bewegt. In Minsk verhafteten Polizisten den Journalisten und Oppositionellen Roman Protassewitsch und seine Freundin, beide waren an Bord der Maschine. Die Europäische Union hat mit weiteren Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime reagiert.

Doch wie wirksam sind solche Strafmaßnahmen? Was hilft das gegen ein Land, das ohnehin seit Jahren weitgehend isoliert ist in Europa? Und was sollte Deutschland jetzt tun? watson hat darüber mit András Rácz gesprochen, Außenpolitik-Experte und Senior Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Außen- und Sicherheitspolitik (DGAP).

watson: Herr Racz, wie können die Regierungen in der EU auf das reagieren, was am Sonntag im Luftraum über Belarus geschehen ist?

Andras Racz: Da muss man erst einmal unterscheiden zwischen den Möglichkeiten auf EU-Ebene – und denen auf nationaler Ebene.

Was kann auf europäischer Ebene getan werden?

Es ist wichtig, dass der europäische Luftraum sofort für belarussische Linienflüge gesperrt wurde – und europäische Airlines aufgefordert wurden, den Luftraum über Belarus zu meiden. Vor allem, weil das sehr schnell geschehen ist – und weil es verheerende Auswirkungen auf Belarus hat.

Verheerend? Wie meinen Sie das?

Die meisten Ziele, die Belavia, die belarussische Airline, angeflogen hat, liegen in Mittel- und Westeuropa. Diese Verbindungen sind jetzt dicht. Belavia hat das Präsidialamt schon informiert, dass sie wegen der entgangenen Einnahmen aus Tickets und Transitgebühren Personal entlassen und alle nicht unverzichtbaren Dienste herunterfahren müssen. Das ist öffentlich, weil es durchgestochen wurde. Wir wissen also, dass Belavia in ernsten Schwierigkeiten steckt.

26.05.2021, Hessen, Frankfurt/Main: Eine Maschine der belarussischen Fluggesellschaft Belavia - Belarusian Airlines f�hrt �ber die Rollbahn des Flughafen Frankfurt. Viele europ�ische L�nder haben ihre ...
Ein Flugzeug der belarussischen Airline Belavia auf dem Flughafen in Frankfurt am Main. Bild: dpa / Andreas Arnold

Sie meinen also, dass die EU-Sanktionen diesmal tatsächlich funktioniert haben.

Ja, die EU-Sanktionen haben schon ernsthafte Schäden verursacht.

Was sollte sonst noch auf europäischer Ebene getan werden?

Die Staats- und Regierungschefs haben sich im Europäischen Rat am Montag auf weitere Sanktionen gegen die staatlichen Vertreter geeinigt, die am Abfangen des Ryanair-Flugs beteiligt waren: auf Einreisesperren und Sanktionen anderer Art. Das sollte durchgesetzt werden. Und für die Sperre von Flugreisen gilt: Je länger wir sie aufrechterhalten, desto größer werden die Schäden auf belarussischer Seite. Bildlich gesagt: Dadurch blutet der belarussische Staatshaushalt.

"Die Menschen aus der russischen Elite, die nicht mehr nach Europa reisen dürfen, sind extrem genervt davon. Wer zur russischen und belarussischen Elite gehört, ist es gewohnt, in hübschen Hotels und Ferienanlagen in Europa Urlaub zu machen, in Vilnius zu shoppen und in Berlin Partys zu feiern."

Belarus ist schon weitgehend isoliert in Europa. Tun Sanktionen wie die von Ihnen genannten den Menschen an der Spitze des Regimes dann überhaupt noch weh?

Wenn Sanktionen gegen Einzelpersonen richtig gezielt sind, dann funktionieren sie auch. Das wissen wir aus der Erfahrung mit Russland: Die Menschen aus der russischen Elite, die nicht mehr nach Europa reisen dürfen, sind extrem genervt davon. Wer zur russischen und belarussischen Elite gehört, ist es gewohnt, in hübschen Hotels und Ferienanlagen in Europa Urlaub zu machen, in Vilnius zu shoppen und in Berlin Partys zu feiern. Und bei der Wirkung der Sanktionen geht es ja nicht nur um Roman Protassewitsch, den Journalisten und Oppositionellen, der auf dem Ryanair-Flug war.

Wie meinen Sie das?

Es geht um die Freiheit des Flugverkehrs. Stellen Sie sich vor, wenn jetzt jedes autoritäre Regime Flugzeuge stoppt, die seinen Luftraum durchqueren, wenn der Iran, Ägypten, Syrien oder wer auch immer das macht. Das wäre das Ende der freien Luftfahrt. Hier muss ein Exempel statuiert werden.

"Wenn das Schicksal eines Gefangenen zur politischen Angelegenheit wird, dann ist es für ein Regime irgendwann sinnvoller, diesen Menschen am Leben zu lassen als ihn loszuwerden."

Sie meinen, man muss verhindern, dass andere autoritäre Herrscher auch auf diese Idee kommen?

Ich würde es klarer ausdrücken: Man muss sie davon abhalten. Die Botschaft muss sein: Wenn ihr das macht, dann werdet ihr darunter leiden. Das ist ganz wichtig. Und die EU sollte noch etwas tun.

Nämlich?

Einfach gesagt: Politische Aufmerksamkeit rettet Leben. Wir haben diese Erfahrung schon mit politischen Gefangenen in Russland und Belarus gemacht – und mit Ukrainern, die entführt und in Russland gefangen genommen wurden. Wenn die EU die Namen dieser Menschen zu einer politischen Angelegenheit macht, hilft das diesen Menschen, zu überleben.

Sie meinen, dass etwa der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny schon tot wäre, wenn es nicht so viel Aufmerksamkeit für ihn gegeben hätte?

Das wissen wir nicht sicher, man kann das ja auch nicht überprüfen. Aber die Aufmerksamkeit für ihn ist groß, sein Fall wird bei jedem Treffen zwischen russischen und europäischen Vertretern erwähnt. Viele Medien berichten über ihn und erhöhen so den Druck, Sanktionen wurden mit seinem Schicksal verbunden. Was ich sagen will: Es ist jetzt wichtig, den belarussischen Oppositionellen Protassewitsch und seine Freundin auf der Agenda zu halten. Wenn das Schicksal eines Gefangenen zur politischen Angelegenheit wird, dann ist es für ein Regime irgendwann sinnvoller, diesen Menschen am Leben zu lassen als ihn loszuwerden. Wenn wir die politischen Gefangenen vergessen, dann verschwinden sie einfach in einem Gefängnis.

ARCHIV - 25.03.2012, Belarus, Minsk: Roman Protassewitsch (M), Oppositionsaktivist und Blogger, nimmt an einer Kundgebung der Opposition in Minsk teil. Auch einen Tag nach der erzwungenen Landung eine ...
Roman Protassewitsch, belarussischer Oppositioneller und Blogger, bei einer Demonstration in Minsk im Jahr 2012. Bild: dpa / Uncredited

Was sollte die deutsche Regierung tun?

Erstens den Konsens hinter den EU-Maßnahmen erhalten, das ist das Wichtigste. Zweitens die belarussische Zivilgesellschaft unterstützen – oder was von ihr noch übrig ist. Das kann schon auf EU-Ebene geschehen, aber einzelne Staaten können sich weiter engagieren: Polen und Litauen sind da schon sehr aktiv, Lettland und Schweden auch. Das ist wichtig, auch für die freien Medien in Belarus. Vor allem seit vergangener Woche.

Warum gerade seit vergangener Woche?

Das größte unabhängige Nachrichtenportal Tut.by wurde abgeschaltet. Drei Millionen Menschen haben es täglich besucht – in einem Land mit 9,5 Millionen Einwohnern. So eine Website zu sperren hat desaströse Auswirkungen.

Wie stark ist der Einfluss der russischen Regierung um Präsident Wladimir Putin auf Belarus?

Nach der Präsidentschaftswahl 2020 und den niedergeschlagenen Protesten dagegen ist Lukaschenko nur mit russischer Hilfe an der Macht geblieben. Seither ist der Einfluss Russlands größer als je zuvor geworden. Vor allem, weil Belarus seit vergangenem Jahr völlig vom Westen isoliert ist.

"Ich bin mir sicher, dass Russland Bescheid wusste, dass sich Belarus und Russland abgestimmt haben."

Wie unterstützt die russische Regierung Lukaschenko und sein Regime konkret?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein paar Tage nach den gefälschten Wahlen im August 2020 haben sogar im belarussischen Staatsfernsehen hunderte Leute gekündigt und erklärt, dass sie nicht mehr mitmachen. Lukaschenkos wichtigster Kommunikationskanal war also am Rand des Zusammenbruchs. Russland hat daraufhin hunderte TV-Spezialisten geschickt, die die Jobs übernommen haben. Das belarussische Staatsfernsehen konnte nur deshalb weiter funktionieren.

Wie hat Russland Belarus sonst noch geholfen?

Russland hat Ausrüstung für die Sicherheitskräfte gestellt, Dinge wie Tränengas und Blendgranaten. Kräfte der russischen Nationalgarde wurden an die Grenze zu Belarus geschickt – für den Fall, dass den Kräften in Belarus die Leute ausgehen. Und Russland hat sich um Lukaschenkos persönliche Sicherheit gekümmert: Auf dem Höhepunkt der Proteste haben auch russische Spezialisten quasi als Bodyguards Lukaschenko geschützt.

22.04.2021, Russland, Moskau: Alexander Lukaschenko (l), Pr�sident von Belarus, spricht mit Wladimir Putin, Pr�sident von Russland, bei einem gemeinsamen Treffen. Bei dem Treffen der beiden Machthaber ...
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin im April 2021. Bild: dpa / Mikhail Klimentyev

Welche Rolle hat Russland bei der Flugzeugentführung am Sonntag gespielt?

Schwer zu sagen, das ist die Millionen-Dollar-Frage.

Haben Sie Hinweise darauf, wie der Einfluss vielleicht ausgesehen hat?

Kurz gesagt: Ich bin mir sicher, dass Russland Bescheid wusste, dass sich Belarus und Russland abgestimmt haben. Aber ich habe keine Beweise dafür, dass Russland aktiv mitgewirkt hat.

Aber Sie meinen, es ist quasi unmöglich, dass Belarus so etwas Großes unternimmt, ohne dass Russland davon weiß.

Genau. Das wäre das erste Mal. Belarus stimmt viel, viel kleinere Angelegenheiten mit Russland ab. Schauen Sie: Einen Flug zwischen zwei EU-Staaten abfangen, das ist doch Wahnsinn. Und dafür tragen sie jetzt eben die Konsequenzen.

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