Interview
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Coronavirus: Wie Forschende in der Antarktis mit Isolation und Heimweh umgehen

Die deutsche Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III
Zu Hause und Arbeitsplatz in einem: Homeoffice Polarforschungsstation.Bild: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann
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Homeoffice Antarktis: "Jonglieren ist eine wahnsinnig gute Ablenkung"

Durch das Coronavirus werden wir gezwungen, uns weitgehend von der Außenwelt abzukapseln. Eine neue und ungewohnte Situation. Arktisforscher kennen das von ihrer Arbeit. Watson hat mit einem telefoniert und sich erklären lassen, wie man im Ewigen Eis mit Gefühlen wie Heimweh und Isolation umgeht.
04.04.2020, 18:48
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Seit gut zwei Wochen liegt Deutschland in einer Art künstlichem Winterschlaf. Öffentliches Leben findet kaum noch statt, die Wirtschaft hat den Puls heruntergefahren. Der Kampf gegen die zu schnelle Ausbreitung des Coronavirus ist in vollem Gange und verlangt von uns, über Wochen auf Freunde und Familie zu verzichten. Ersten forsch vorgetragenen Forderungen, nach Ostern müsse auch mal wieder Schluss sein mit Ausgangsbegrenzungen und sozialer Distanzierung, erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jüngst eine Abfuhr. Vor dem 20. April werde es keine Lockerungen geben.

Das ist bitter, denn dann haben wir alles in allem gut fünf Wochen den größten Teil der Zeit zu Hause verbracht, dort gearbeitet, wo wir normalerweise Essen, da Stress gehabt, wo normalerweise Entspannung angesagt ist. Aber immerhin: Eine ansatzweise Rückkehr zu etwas Normalität scheint nur noch wenige Wochen entfernt.

Klaus Guba muss da etwas länger warten, bis es für ihn zurück in einen "normalen" Alltag geht. Der 53-Jährige lebt zurzeit an einem der abgeschiedensten Orte der Welt: der Antarktis. Dort, in der Atka-Bucht, steht bei 70 Grad und 40 Minuten südlicher Breite und 8 Grad und 16 Minuten westlicher Länge die Neumeyer-Station III. Gebaut auf 200 Meter dickem Schelfeis, dient sie dem deutschen Alfred-Wegener-Institut als Station für die Erforschung von Gletschern, Pinguin-Kolonien und Reisen zum Mars.

Seit dem 20. Dezember 2019 arbeitet Guba in der Station als Arzt und Basecommander. Er ist Vorgesetzter von insgesamt acht Mitarbeitern. Zu neunt bilden sie das 40. Überwinterungsteam der Station und werden den arktischen Winter dort verbringen. Bis Ende Oktober 2020 bleiben sie im Ewigen Eis.

Ein antarktisches Satelliten-Telefonat mit unerwartet gutem Empfang:

Watson: Herr Guba, Sie sind Stationsarzt und Basecommander. Was bedeutet das?

Klaus Guba: Ich bin für alle medizinischen Probleme zuständig, warte unser medizinisches Equipment und bin der Vorgesetzte hier in der Station. Da gehören zum Beispiel Brandschutzaufgaben dazu, aber auch die Stimmung in der Gruppe aufrechtzuerhalten. In Streitfällen treffe ich gegebenenfalls die letzte Entscheidung, falls eine einvernehmliche Lösung des Problems nicht möglich sein sollte. Außerdem bin ich dem Umweltbundesamt gegenüber für die Station verantwortlich.

Wann kommt es denn zum Streit?

Beispielsweise könnte ich einem Wissenschaftler, der bei ungünstigen Wetterverhältnissen unbedingt zu einem Außenseinsatz die Station verlassen möchte, dies verbieten. Um solche Differenzen zu vermeiden, führen wir wöchentliche Besprechungen durch, in denen ein Wochenplan der Arbeitseinsätze unter Berücksichtigung der Wettervorhersagen besprochen wird. Aber bei plötzlichem Wetterwechsel kann die Planung schnell über den Haufen geworfen werden. Und das passiert öfters.

Das Überwinterungsteam: Von li. nach rechts: Klaus (Stationsarzt und Base Commander), Roman (IT und Funk), Anna-Marie (Meteorologin), Wanderson (Koch), Julia (Luftchemikerin), Mario (Ingenieur), Ina ( ...
Das Überwinterungsteam, von links nach rechts: Klaus (Stationsarzt und Base Commander), Roman (IT und Funk), Anna-Marie (Meteorologin), Wanderson (Koch), Julia (Luftchemikerin), Mario (Ingenieur), Ina (Geophysikerin), Andreas (Elektrotechniker) und Noah (Geophysiker).Bild: Alfred-Wegener-Institut / Almeida Wanderson
"Wir machen hier unseren Traumjob, jeder wollte einmal im Leben die Antarktis erleben."

Sie leben tausende Kilometer von der Heimat entfernt, können Ihre Familie und Freunde nicht sehen. Hier in Europa müsste man dazu zwar Ausgangssperren brechen, aber es wäre prinzipiell möglich. Wie gehen Sie mit dieser Situation um, fühlen Sie sich isoliert?

Mit meinen Töchtern kann ich über Satellitenverbindung telefonieren. Mit meiner Tochter in Deutschland habe ich neulich Skype ausprobiert, wobei die Internetverbindung sehr schlecht ist. Daher kommunizieren wir hauptsächlich über Whatsapp, vor allem mit meiner Tochter in den USA. Diese neuen Kommunikationsformen führen dazu, dass ich mich hier in der Antarktis gar nicht so isoliert fühle.

Nein?

Zum Vergleich: 1989 war ich auf einer mehrmonatigen Weltreise. Da habe ich mit meiner Familie über Briefe Kontakt gehalten, die wir uns alle paar Monate schrieben. Gut, ich kann niemanden in den Arm nehmen, das fehlt mir. Aber insgesamt geht es uns allen hier auf der Station ganz gut. Wir haben hier einen Vorteil: Jeder hat im Vorfeld gewusst, worauf er oder sie sich einlässt. Wir machen hier unseren Traumjob, jeder wollte einmal im Leben die Antarktis erleben. In Deutschland ist das mit der sozialen Distanzierung sicher anders, die findet ja nur bedingt freiwillig statt.

Vor unserer Abreise sind wir in Kursen außerdem darauf vorbereitet worden, dass Gefühle von Isolation oder starkem Heimweh aufkommen können. Da ging es zum Beispiel um die ersten Anzeichen dafür, dass sich jemand aus der Gruppe isoliert und zurückzieht. Hier wurde uns empfohlen, solche Gefühle erst einmal zuzulassen und die Person erst dann aktiv aus ihrer Isolation zurückzuholen, wenn dies nicht von selbst stattfindet. Das kann zum Beispiel über gemeinsame Aktivitäten passieren.

U1 - Cold Store der deutschen Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III
Der einzige Ort, an dem Lebensmittelhamsterei okay ist: die Antarktis.Bild: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann
"Setzt euch Ziele, die ihr euch vor Augen haltet. Sonst vergeht ein Tag, wie der andere."

Welche Gefühle empfinden Sie denn bei so einer langen Zeit fernab von zu Hause?

Richtig traurig war ich bisher noch nicht. Mit kommt dabei entgegen, dass ich weiß, dass meine Zeit hier in der Antarktis zeitlich begrenzt ist. Aber das gilt ja auch für Deutschland oder ganz Europa. Der aktuelle Zustand ist nicht von Dauer. Er wird vorübergehen. Ab und zu schleicht sich ein melancholisches Gefühl ein, bei mir im Moment vielleicht so alle zwei Wochen. Das kann etwa von einem bestimmten Lied ausgelöst werden, bei dem ich an frühere Zeiten denken muss.

Haben Sie einen Tipp, wie man mit Gefühlen von Heimweh oder der Drang danach, Freunde und Familie zu sehen, umgehen kann? Gab es vielleicht einen Moment, an dem solche Empfindungen besonders stark sind, und was hilft Ihnen da besonders?

Was mir persönlich hilft, ist Ablenkung. Wir haben hier auf der Station jede Menge Arbeit und arbeiten in einer 7-Tage-Woche. Am Sonntag etwas weniger. Da ist man beschäftigt. Wenn ich traurig bin oder Zeit für mich habe, dann setze ich mich ans Klavier oder jongliere mit Bällen, das macht den Kopf frei. Das hilft mir wirklich viel, ich liebe das. Früher hatte ich dafür wenig Zeit.

Badezimmer in deutschen Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III
Ein Waschraum auf der Station.Bild: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann

Dafür sehe ich hier in der Antarktis weniger Fern. Ansonsten schreibe ich einen Blog für das Alfred-Wegener-Institut. Mit dem Schreiben kommt das Gefühl auf, dass ich den Leuten etwas mitteile, das bekämpft Gefühle wie Heimweh. In meinem Zimmer habe ich außerdem Fotos von meiner Familie aufgehängt und schlafe in meiner eigenen Bettwäsche.

Was mir auch aufgefallen ist: Ein strukturierter Tagesablauf ist sehr wichtig. Am Anfang unserer Zeit hier waren wir noch relativ planlos, was zum Beispiel der nächste Tag bringen wird. Inzwischen strukturieren wir sogar unsere Wochen. Setzt euch also Ziele, die ihr euch vor Augen haltet. Sonst vergeht ein Tag, wie der andere. Das kann dann eher melancholisch stimmen, wenn sich jeder Tag gleich anfühlt.

"Erfreut euch an den kleinen, schönen Dingen."

Wie gehen Ihre Mitforschenden mit solchen Situationen um?

Wir lenken uns mit gemeinsamen Aktivitäten ab, etwa mit einem Film- oder Spieleabend und vor allem mit Musik. Mal machen wir sie selbst, mal hören wir nur zu. Das hilft sehr. Natürlich sollen wir uns in Deutschland gerade nicht persönlich treffen, aber über das Internet kann man gemeinsam musizieren. Auch Brettspiele lassen sich über das Internet spielen. Da gibt es viele Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme, ohne dass das Haus oder die Wohnung verlassen werden muss.

Neben der Musik gehen manche zum Beispiel in unseren Kraftraum und trainieren an den "Folterinstrumenten". Einer meiner Kollegen vollzieht etwa ein rigoroses Hanteltraining. Eine Mitarbeiterin jongliert sogar mit Keulen auf einem Einrad. Ihre Gedanken sind dann fokussiert und schweifen nicht ab. Das ist eine wahnsinnig gute Ablenkung. Wir versuchen auch bei schönem Wetter, aus der Station rauszukommen. Bei stürmischem Wetter gehen wir nur für notwendige Arbeiten vor die Tür – um zum Beispiel Observatorien zu warten. Dann haben wir noch ein Gewächshaus, das heißt "Eden". Da gehen manche Kollegen rein, um ganz bewusst ein wenig zu gärtnern.

U1 - Sportraum der deutschen Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station III
Die "Folterinstrumente".Bild: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann

Welche Botschaft möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern für die kommende Zeit mit auf den Weg geben?

Erfreut euch an den kleinen, schönen Dingen. Dem Sonnenuntergang zum Beispiel. Wenn ihr die Sonne für ein paar Tage nicht gesehen habt, dann freut ihr euch richtig, wenn ihr sie wiederseht. Gefällt euch der Mond besser, dann erfreut euch an dem. Was ich im Endeffekt sagen will: Es geht uns eigentlich noch ganz gut, auch wenn wir jetzt manche Sachen vermissen. Daran müssen wir uns einfach auch mal erinnern.