Interview
Best of watson

Greta Thunberg und Klimaschutz: Kann Atomenergie ein Teil der Lösung sein?

March 29, 2019 - Berlin, Germany - Swedish environmental activists GRETA THUNBERG attends the Fridays for Future climate demonstration in Berlin. Some 22,000 people, many of them are striking high sch ...
Greta Thunberg ist kein Fan von Atomkraft.Bild: imago/watson-montage
Interview

Klimaschutz: Kann Atomenergie ein Teil der Lösung sein?

Das steht zumindest in einem Bericht des Weltklimarats, den die Klimaaktivistin Greta Thunberg zuletzt bei "Anne Will" zitierte. Demzufolge Atomenergie ein kleiner Teil einer Lösung ohne fossile Brennstoffe sein könne. Aber ist das so? Wir haben einen Experten gefragt.
03.04.2019, 10:1921.05.2019, 17:18
Mehr «Interview»

watson: Greta Thunbergs Aussagen zur Atomenergie sorgten vor allem unter ihren Anhängern für mächtig Verwirrung. Sie sprach sich zwar explizit gegen Atomkraft aus, zitierte aber den Weltklimarat, wonach die Atomkraft ein kleiner Teil einer Lösung ohne fossile Brennstoffe sein könne. Kann sie das?
Manfred Fischedeck:
Im Prinzip ist die Nutzung der Kernenergie im Vergleich zu fossilen Kraftwerken mit deutlich weniger Treibhausgasemissionen verbunden, bezogen auf den reinen Umwandlungsprozess am Kraftwerk sogar mehr oder weniger CO2-frei. Vor diesem Hintergrund kann sie theoretisch – unter Ausblendung der mit ihr verbundenen Risiken – einen Beitrag leisten. Und in der Tat setzen einige Ländern wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Finnland, Südkorea oder China immer noch (zumindest anteilig) auf diese Optionen. Auch wenn dies aus energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten unter heutigen Bedingungen mehr als fraglich ist.

Manfred Fischedick ist...
Energie- und Klimaforscher, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und Professor an der "Schumpeter School of Business and Economics".
Energieexperte Manfred Fischedick
Energieexperte Manfred FischedickBild: imago

Warum? Im Bericht des Weltklimarates von 2014 heißt es, Atomenergie könne einen zunehmenden Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung leisten.
Die Internationale Energieagentur (IEA) macht regelmäßig Berechnungen, in denen aufgezeigt wird, welche zusätzlichen Minderungsoptionen welchen Beitrag leisten müssen, um die Pariser Klimaschutzziele (2°C-Ziel) zu erreichen. Mit jeweils etwa 40 Prozent schlagen dabei eine zusätzliche Verbesserung der Energieeffizienz und der verstärkte Ausbau erneuerbarer Energien zu buche. Die Kernkraftwerke spielen bei diesen Berechnungen so gut wie keine Rolle: Der Anteil durch zusätzliche Kernkraftwerke in diesem Szenario, um das 2°C-Ziel zu erreichen, liegt nur etwa bei 6 Prozent.

Dafür müssen aber mehr als 1.000 neue Kernkraftwerke gebaut werden – auch und gerade in Ländern, in denen dies aus Sicherheitsgründen nicht passieren sollte.

Ich meine, diese Zahlen sprechen für sich.

Atomkraft ist das traditionelle Feindbild der Umweltbewegung in Deutschland. Doch international werden die Stimmen auch aus dem Lager der Umweltschützer lauter, im Zuge des Klimawandels auf CO2-freie Atom-Technik zu setzen. War die deutsche Energiewende ganz ohne Atomkraft ein Fehler?
Nein, ich denke das war sie nicht, schon allein vor dem Hintergrund, dass man die Notwendigkeit der substantiellen Veränderung des Energiesystems nicht ausschließlich auf die Klimaschutzfrage fokussieren darf. Mit dem Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie war nicht zuletzt das Signal verbunden, den Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich der Stromerzeugung massiv voranzutreiben. Dies ist auch erfolgreich geschehen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat den Rückgang der Kernenergie in den letzten Jahren überkompensiert. Dass es dennoch nicht zu einem deutlichen Rückgang der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung gekommen ist, liegt im Wesentlichen an den bis dato niedrigen Kosten für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandelsystem. Die haben dazu geführt, dass insbesondere die kohlenstoffintensive Braunkohleverstromung nicht rückläufig ist und Deutschland heute rund 10 Prozent des im Land erzeugten Stroms netto in die Nachbarländer exportiert.

Das Problem mit den CO2-Zertifikaten
Der Emissionshandel in der EU existiert seit 2005. Die Idee dahinter: Unternehmen, die sehr viel CO2 verbrauchen, müssen Zertifikate erwerben – und überlegen es sich in Zukunft zweimal, ob sie weiterhin auf einen hohen CO2-Ausstoß setzen. Die Preise für diese Zertifikate waren allerdings bis 2017 zu gering, so dass der gewünschte Effekt zunächst nicht eintrat.

Weltweit sind ca. 450 Atomkraftwerke in 30 Ländern in Betrieb. Gebaut werden etwa 50 Reaktoren in 15 Ländern, darunter China, Indien oder Russland. Auch Bill Gates setzt sich für neue Atomreaktoren ein und investiert in die Technik. Ist das schon die Renaissance der Atomenergie, von der oft zu lesen ist?
Schaut man sich die gleichen Zahlen aus den Vorjahren an, dann stellt man fest, dass die Anzahl der Neubauten und vor allem der neuen Planungen rückläufig ist, von einer Renaissance kann daher nicht gesprochen werden. Bill Gates setzt unter anderem auf einen Reaktortyp, der sich noch früh im Entwicklungsstadium befindet und nicht vor 2040 oder gar 2050 einsatzfähig erscheint. Dies ist für die Lösung der Klimaschutzprobleme zu spät.

Was sind aus ihrer Sicht die Hauptgründe, die gegen Atomenergie sprechen?
Es sind die Risiken im Betrieb, die nicht völlig auszuschließen sind. Ich erinnere an die Reaktorunfälle im japanische Fukushima. Oder nehmen Sie die Verknüpfung der zivilen Kernenergienutzung mit militärischen Plänen (Proliferation) in einigen Ländern. Dann die nach wie vor weltweit ungelöste Endlagerfrage und die Verschiebung der Problematik auf nachkommende Generationen. Was absolut unfair wäre, zumal heute bessere und billigere Optionen verfügbar sind. Letztlich sind es energiewirtschaftliche Gründe, die gegen die Kernenergie sprechen. Neue Kernkraftwerke sind schlicht zu teuer. Die Kosten für erneuerbare Energien sind heute um den Faktor 3 geringer.

(ts)

Schulstreik für das Klima
1 / 12
Schulstreik für das Klima
quelle: felix huesmann/watson / felix huesmann/watson
Auf Facebook teilenAuf X teilen
#FridaysForFuture: Schüler erklären, warum sie demonstrieren
Video: watson