Leben
Familie & Freunde

Freundschaft: Wie finde ich Zeit, um alle Freunde zu treffen?

Bild
Bild: Photo by Melissa Askew on Unsplash
Familie & Freunde

Warum ich keine neuen Freunde mehr brauche

25.09.2018, 19:2707.03.2019, 08:31
Bianca Xenia Jankovska
Bianca Xenia Jankovska
Folgen
Mehr «Leben»
Hi!
Es gibt eine Person, die wohnt in meiner Nähe und schlägt immer wieder Treffen vor. Dass wir zusammen in den Park gehen könnten, oder mal etwas essen. Ich freue mich über die Nachrichten, aber in mir drinnen gibt es einen Widerwillen, tatsächlich zuzusagen.

Ich habe genug Freunde, die ich jetzt schon zu wenig sehe.

Klingt das blöd? Kann man überhaupt genug Freunde haben? Und: Was, wenn ich nur denke, dass ich genug Freunde habe, aber eigentlich schon bald alleine da stehen werde, weil ich immer wieder absage? Sollte ich vielleicht doch hingehen, die Person, um die es geht, ist an sich auch total nett.

Liebe Grüße
Selten Allein

Liebe Selten Allein,

entweder du gehst das wahnsinnig hohe Risiko ein, und weißt nach einer halben Stunde, ob das Treffen eine ganz, ganz schlechte Idee war und du jetzt lieber alleine im Open-Air-Kino sitzen würdest statt hier über der Rhabarberschorle. Oder du hast einen überraschend spritzigen Abend, an dem du eine interessante Person kennenlernst, die dir sonst entgangen wäre.

Ich persönlich finde nicht, dass wir "absichtlich" auf neue Freunde verzichten sollten, nur, weil der WhatsApp-Verlauf voll scheint.

Oder bist du einer dieser Menschen, die sich auch über "zu viel Pizza" beschweren, nur, weil der Bauch gerade voll ist?

Völlegefühl hin oder her: Ich verstehe schon, dass sich aktuell viele Menschen nicht mehr auskennen. Da gibt es ein paar enge Freunde und Bekannte vor Ort, ein paar Menschen, die wir nur zuhause wiedertreffen und eine Liste von Facebook-"Freunden" und Instagram-Followern, die auch ein Stück von uns in Anspruch nehmen.

Da prasseln Nachrichten von Fremden auf uns ein, die sich wegen eines Postings austauschen wollen, während wir selbst nicht schaffen, mit unserer ältesten Freundin in Berlin auf einen Kaffee zu gehen. Die Reaktion? Totale Abschottung. Handy aus, Decke über den Kopf – Netflix.

Klingt ungesund? Ist es auch. Jeder hat sein Kontingent an Allein-Tagen, die er in der Wohnung ausharren kann. Meiner liegt bei vier oder fünf, danach muss ich meine Nachbarn einladen. Oder mir anderweitig zu helfen willen.

Wie viele Freunde hast du?

Erst letztens hatte ich eine witzige Begegnung am Flughafen in Stockholm. Als ich dran war, meine Boardkarte vorzuzeigen, fiel mir auf, dass ich den Pass im Trolley versteckt hatte. Während ich die Schlange aufhielt und auf dem Boden nach meinem Pass kramte, erspähte ich eine Frau im äußeren Rand meines Blickwinkels, die ebenfalls die Schlange aufhielt.

Auch sie hatte die Regeln gebrochen. Wir lächelten uns zu – und setzten uns an Bord nebeneinander.

A. arbeitete als selbstständige Fotografin. Erst heute morgen, so erzählte sie es mir, wartete sie im Facebook-Messenger auf eine dringende Nachricht von einem Kunden, den sie vor dem Flug nach Berlin in Södermalm treffen wollte. "He wrote me back like five minutes ago", sagte sie, meinen verständnisvollen Blick erwartend. Sie bekam ihn.

Wir redeten den gesamten Flug über. Wir erzählten uns von unseren Familien. Sie kam gut rum und lernte außergewöhnliche Menschen in allen Ländern Europas kennen. Was weniger gut lief, war ihr Bekanntenkreis im temporären Zuhause Berlin. Erst letztens, so A., hatte sie einen Haufen Menschen verloren, als sie ihre Affäre mit einem fünf Jahre jüngeren Franzosen beendete.

Ich erzählte meine Versionen ähnlicher Geschichten und so saßen wir beisammen, über den Wolken und fühlten uns wenn schon nicht immer von unserem Umfeld, dann zumindest jetzt in diesem Moment voneinander verstanden.

Es war, als ob uns Easyjet zusammengeführt hatte für einen größeren Zweck. Obwohl ich rational betrachtet "genug" (hier wären wir wieder beim Wort!) Freunde und Dates offen hatte, um die nächsten fünf Wochen vollzupacken, nahm ich mir vor, uns eine realistische Chance zu geben. Gegen Ende des Fluges tauschten wir Nummern aus und versprachen, in Kontakt zu bleiben.

Ich lud sie zu meiner Party am kommenden Samstag ein. Sie sagte zu – und kam dann doch nicht. Einen Monat und ein paar lustlose Nachrichten später trafen wir uns unverbindlich auf einer Vernissage. Ich war ernüchtert. A. war ständig auf dem Sprung, schüttelte Hunderte Hände – während ich gelangweilt an einer Cola nippte.

Unsere Gespräche waren Verlängerungen bereits besprochener Ersteindrücke.

Hätte ich A. während der Ausstellung kennengelernt, ich wäre keine fünf Minuten interessiert gewesen. Und obwohl ich mir Mühe gab, konnte ich eines nicht fälschen: meine unendliche Müdigkeit, neue Freundschaften einzugehen, wenn sich der Aufbau wie beschrieben ereignete.

Ich ging früh nach Hause. These bestätigt. Vorerst.

Ein paar Wochen später, ich hatte eigentlich keine zu großen Erwartungen, traf ich mich mit einer Frau, die mir – so wie dir auch – schon öfters signalisiert hatte, dass sie mich gerne kennenlernen würde. Ich war nie drauf eingegangen. Bis zu diesem Wochenende, als ich wirklich Lust auf Neues hatte. Was für ein Glück.

Inzwischen hören wir uns beinahe jeden Tag, treffen uns sogar dann, wenn wir zeitgleich zuhause in Wien sind und unterstützen uns gegenseitig bei unseren Projekten.

Lange Story, langer Sinn: Es gibt zwei typische Szenarien und eine Million Abweichungen. Entweder, die Geschichte entwickelt sich, weil beide daran interessiert sind – oder nicht. Dort, wo A.s Effort nicht reichte, kam S. in mein vollgepacktes Leben und schaffte es trotz Rasmus und Lea und Sinah, zu bleiben.

Ich hoffe, du weißt jetzt, worauf du achten musst. Zuverlässigkeit – und ein bisschen Planung in deinem Terminkalender. Zumindest für die, die es wert sind.

xx, Bianca

Was hättest du geantwortet? Schreib uns deine Meinung in die Kommentare!

Freunde können manchmal auch ziemlich... anstrengend sein:

Video: watson/Marius Notter, Julia Knörnschild, Lia Haubner

Hast du eine Frage?

Dann schick sie uns per Mail! mindfucked@watson.de

Bianca Xenia Jankovska...
...hat bisher in vier Städten in drei Ländern gewohnt, die Sicherheit einer Festanstellung gegen konstante Ungewissheit getauscht und dabei unter anderem gelernt, dass man nicht ewig gegen seine inneren Neigungen arbeiten kann, ohne unglücklich zu werden. Als freie Autorin und Bloggerin schreibt sie über Machtstrukturen und persönliche Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt und Privilegien, die manchmal selbst enge Freunde entzweien. Ihr erstes Buch "Das Millennial Manifest" erscheint im Herbst 2018.
Restaurant wirbt mit Gratis-Wein – wenn Gäste sich an eine Regel halten

Vor allem in touristischen Regionen ist es für junge Gastronom:innen gar nicht so einfach, Kundschaft anzuziehen und auch langfristig bestehen zu können. Hat die Familie nicht zufällig ein seit Jahrzehnten bestehendes Traditionsrestaurant, braucht es neben gutem Essen meist auch innovative Ideen.

Zur Story