Paket verschwunden? Nicht die Boten sind schuld – Vorwurf des Betrugs am Kunden
Online bestellen ist längst Alltag. Gerade jetzt, wenn die ersten Herbst-Sales anrollen und in ein paar Wochen der Weihnachtsstress beginnt, fahren Paketbot:innen auf Anschlag. Doch immer wieder liest man von angeblich nicht zustellbaren Sendungen – und Kund:innen, deren Bestellung einfach verschwindet. Viele kennen die Nachricht im Tracking-System: "Zustellung nicht möglich."
Nur: Stimmt das immer? Neue Informationen aus Berlin werfen ein anderes Licht auf die Paketbranche. Es geht um überforderte Zusteller:innen, ein System, das an Grenzen stößt – und um Vorwürfe des Betrugs.
Eine aktuelle Recherche zeigt: Das Narrativ der faulen Zusteller:innen hält nicht.
Pakete ausliefern: Vorsätzlich Touren, die nicht zu schaffen sind?
Ausgangspunkt der aktuellen Debatte war ein Fall, der im November 2023 Schlagzeilen machte. Ein Zusteller hatte Pakete im Wert von 75.000 Euro unterschlagen. Ergebnis: elf Monate Haft, wie aus der Antwort des Berliner Senats auf die parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Antonín Brousek hervorgeht und der "Berliner Zeitung" vorliegt.
Ein zweiter Fall – Zusteller sollen dort auf einem Parkplatz Pakete geöffnet und Ware entnommen haben – blieb dagegen ungeklärt. Der Senat erklärte demnach, über den Ausgang sei nichts bekannt, auch wegen "beschränkter Suchmöglichkeiten".
Der Fall führt zu einer größeren Frage: Wo endet individuelles Fehlverhalten und wo beginnt Systemversagen? Genau das wollte Brousek wissen und fragte: Werden Fälle von Leistungsbetrug bei Logistikunternehmen erfasst? Antwort des Senats: nein. Zuständig sei die Bundesnetzagentur. Sie überwacht den Markt, aber systematisch dokumentierte Fälle von bewusst falschen Zustellmeldungen gibt es nicht.
Gewerkschafter wirft Paketdiensten gewerbsmäßigen Betrug vor
Marcel Luthe, Vorsitzender der Good Governance Gewerkschaft (GGG) und früher FDP-Abgeordneter, findet deutliche Worte. Er spricht von Unternehmen, die zu wenig Personal einplanen, überzogene Touren vergeben und Zusteller:innen damit Unmögliches abverlangen:
Luthe berichtet laut "Berliner Zeitung" von Fahrer:innen, die Überstunden nicht bezahlt bekommen und regelmäßig Touren fahren sollen, die "vorsätzlich" nicht zu schaffen seien. "Mein Eindruck ist, dass die Paketzustellsituation in den letzten eineinhalb Jahren dramatisch schlechter geworden ist."
Luthe verweist auch auf politische Rahmenbedingungen. Die Menschen bestellten mehr, "weil die Leute nicht mehr selbst irgendwohin fahren sollen". Damit sei die Entwicklung "politisch gewollt", findet er. Das treffe kleine Händler:innen besonders hart.
Parallel würden Paketdienste an Fahrzeugen und Personal sparen, selbst wenn schwere Ware transportiert werden müsse. Seine Kritik: Zusteller schleppen heute Kühlschränke oder riesige Fernseher, eigentlich Speditionsgut. Luthe: "Durch diesen Bruch des Arbeitsschutzes – und dadurch unrealistische Kampfpreise – werden mittelständische Speditionen aus dem Markt gedrängt und die Zusteller ruinieren sich die Knochen."
Und wer trägt die Verantwortung? Formell liegt die Aufsicht über die Paketbranche bei der Bundesnetzagentur. Laut Senat prüft sie Verstöße jedoch nicht systematisch. Für Verbraucher:innen heißt das: Beschwerden stellen können sie zwar, aber Transparenz über echte Zahlen im System gibt es nicht.
Zusteller:innen berichten regelmäßig, wie hoch der Druck ist, wie knapp Touren getaktet sind und wie schnell sie bei der Kundschaft als "faul" gilt, wenn sie nicht klingeln. Das Bild vom Paketboten, der keine Lust hat, greift jedoch offenbar zu kurz. Oder wie es ein Gewerkschafter formuliert: Ein System, das am Limit läuft, lässt die Schwächsten dafür bezahlen.
