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2G-Regel auch für Jugendliche? Was Kinderärzte und Ethiker dazu sagen

Portrait of a young teenage girl in a room by the window in the evening.
Nicht einmal die Hälfte der 12- bis 18-Jährigen in Deutschland wurde inzwischen geimpft.Bild: iStockphoto / Svetlana Gustova
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"2G-Regel bei Jugendlichen ist ethisch nicht vertretbar": Was Experten zur Impflücke unter Teenagern sagen

19.11.2021, 14:06
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Steigende Infektionszahlen bei sinkenden Temperaturen: Das Unglücks-Szenario zur vierten Corona-Welle ist eingetreten und vielerorts wird reagiert: Der sogenannte "Lockdown für Ungeimpfte", wie er bereits in Österreich angewendet wird, ist das Thema Nummer Eins unter Politikern. Das Problem: Auch viele Jugendliche in Deutschland sind noch ungeimpft. Und obwohl inzwischen bekannt ist, dass sie besonders unter der Pandemie zu leiden hatten, trifft es sie nun wieder hart.

Bislang waren 12- bis 18-Jährige von 2G-Regelungen ausgenommen, um ihnen die soziale Teilhabe an der Gesellschaft weiter zu ermöglichen. Diese Zeiten sind nun offenbar vorbei. Der landesweite Lockdown, den das Nachbarland Österreich ab Montag für Ungeimpfte beschlossen hat, gilt ab 12 Jahren. Auch Bayern bezieht ungeimpfte Jugendliche inzwischen in die meisten 2G-Regeln mit ein.

Kann dieser Druck auf ungeimpfte Jugendliche die Impfquote unter ihnen erhöhen? Wäre es überhaupt vertretbar? Darüber hat watson mit Experten gesprochen.

Die Mehrheit der 12- bis 18-Jährigen ist noch ungeimpft

Fakt ist: Die aktuellen Zahlen des RKI (vom 18.11.) zeigen, dass die Impfquote bei Jugendlichen derzeit weit unter jener der Erwachsenen liegt, und zwar sowohl was die Erst- als auch die Zweitimpfung angeht. Die Erstimpfung erhielten bundesweit 49,4 Prozent der über 12-Jährigen (bei Volljährigen sind es 81), die zweite Spritze bekamen 44,4 Prozent (im Vergleich zu 78,4). Demnach ist über die Hälfte der 12- bis 17-Jährigen noch völlig ungeimpft.

So sieht es in den Bundesländern aus

RKI Impfquote Altersgruppen
RKI-Angaben vom 18.11.2021Bild: RKI / screenshot

In Sachsen erhielt gerade einmal jeder dritte Jugendliche seine Impfung, dahinter folgt Sachsen-Anhalt (33,6), Thüringen (34,6) und Brandenburg (36,3). Sachsen ist momentan auch deutscher Spitzenreiter, wenn es um die Inzidenz geht. Die alarmierende Zahl am Donnerstagmorgen: 761,4. Vier sächsische Landkreise liegen sogar über der 1000er-Inzidenz.

Am höchsten ist die Teenager-Impfquote hingegen in Schleswig-Holstein (63,4 Prozent erhielten die Erst-, 57,4 Prozent die Zweitimpfung). Dem deutschen Bundesland, dass derzeit auch die niedrigsten Inzidenzen vorweisen kann, nämlich 116,1.

Gibt es also einen direkten Zusammenhang? Und: Nimmt das Jugendliche in die Pflicht, sich zum Wohl der Gesellschaft impfen zu lassen?

Kinderarzt sagt, Druck auf ungeimpfte Jugendliche sei "unethisch"

Nein, sagt zumindest Kinderarzt Burkhard Rodeck gegenüber watson, "da das Problem der zurzeit mit Macht laufenden vierten Infektionswelle die ungeimpften Erwachsenen sind." Und weiter: "Eine Impfung der Kinder zu fordern, um nicht impfwillige Erwachsene zu schützen, ist unethisch."

Denn die vierte Corona-Welle trifft nicht so sehr die Jugendlichen, sondern insbesondere die ungeimpften, älteren Deutschen derzeit mit voller Wucht. Sie sind es, die auf den Intensivstationen landen. Zudem kommt es inzwischen immer häufiger zu Impfdurchbrüchen, die vor allem für betagte Menschen und Vorerkrankte eine Gefahr darstellen.

"Eine Impfung der Kinder zu fordern, um nicht impfwillige Erwachsene zu schützen, ist unethisch."
Kinderarzt Burkhard Rodeck

Jugendliche und Kinder erleben zwar sehr selten schwere Corona-Verläufe, dennoch rät Rodeck, der als Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) fungiert, allen 12- bis 17-Jährigen grundsätzlich zur Impfung. "In der Nutzen-Risiko-Bewertung liegt der Nutzen klar aufseiten der Impfung", sagt er im Gespräch mit watson. Zwar gäbe es sehr selten das Risiko einer Herzmuskelentzündung nach einer Impfung, die aber "in der Regel leicht verläuft und folgenlos ausheilt", so der Mediziner.

Besorgten Eltern müsse klar kommuniziert werden, dass "das Risiko einer Herzmuskelentzündung bei einer SRAS-CoV-2-Infektion um ein Vielfaches höher liegt." Wer sich also scheue, die Impfung zu nutzen, müsse sich erst recht scheuen, Corona zu riskieren. Die Risiko-Nutzen-Abwägung sei auch das vorherrschende Thema in den Impf-Gesprächen mit Eltern, berichtet er aus der Praxis.

Impfentscheidung für die Kinder zu fällen ist schwieriger, als für sich selbst

Es fällt vielen Eltern allerdings offenbar schwerer, die Impfentscheidung für ihre Schutzbefohlenen zu fällen, als für sich selbst. Das sei verständlich, sagt Kerstin Schlögl-Flierl dazu gegenüber watson. Sie ist Mitglied des Deutschen Ethikrats. "Kinder sind uns anvertraut. Wir müssen für sie entscheiden – wie in vielen anderen Angelegenheiten –, aber ab einem gewissen Alter können wir es auch mit ihnen gemeinsam tun", so die Professorin der Universität Augsburg. Sie könne die elterliche Verunsicherung verstehen, da die Empfehlung der Ständigen Impfkommission verhältnismäßig spät kam, "umso besser ist es, wenn nun aufgeklärt wird und die Impfbusse an die Schulen kommen."

Der späte Start der Freigabe ist auch laut Rodeck ein Hauptgrund für die schleppend anlaufenden Jugend-Impfungen: "Die Impfung der ab 12-Jährigen wurde nach der Stiko-Empfehlung ab August 2021 angeboten, somit viele Monate nach dem Start bei Erwachsenen", so der Mediziner. Dadurch ist die Impfkampagne bei den jungen Deutschen im Rückstand.

Sollten Jugendliche auch schon von der G2-Regel betroffen sein?

Entsprechend hoch ist die Inzidenz in der Altersgruppe 12 bis 18 Jahre, auch deshalb werden an einigen Stellen derzeit Rufe nach Restriktionen im öffentlichen Leben laut. Das Bundesland Bayern ging bereits soweit, den Impf- oder Genesungsnachweis für Freizeitstätten wie Kinos, Stadien, Theater, Zoos, Konzerträume und Hallenbäder auch schon ab 12 Jahren einzufordern. Flächendeckende 2-G-Regelungen werden ab Dienstag (16.11) bayernweit gelten. Für die Jugendlichen gibt es nur eine Ausnahme: Bis Jahresende sind zumindest "sportliche und musikalische Eigenaktivitäten und Theatergruppen" auch Ungeimpften zugänglich.

"Die 2-G-Regel bei Jugendlichen anzuwenden, ist ethisch nicht vertretbar", so Schlögl-Flierl dazu deutlich. "Erstens haben sie noch nicht so lange die Empfehlung von der Ständigen Impfkommission für die Impfung und zweitens haben sie in den ersten Wellen der Pandemie sehr viel zurückstecken müssen." Die sozialen und psychischen Folgen der Pandemie und auch die Auswirkungen auf die Bildungsverläufe der Kinder und Jugendlichen würden gerade erst sichtbar und aufgearbeitet, so die Ethikerin weiter: "Die Jugendlichen verdienen wie die Kinder unter 12 Jahren nun unser besonderes Augenmerk und keine Anwendung der 2G-Regel, die vor allem den so wichtigen Sozialkontakt mit der Peergroup in der Freizeit und im Sport betrifft."

"Die sozialen und psychischen Folgen wie auch die Auswirkungen auf die Bildungsverläufe für Jugendliche und Kinder werden erst langsam aufgearbeitet, sichtbar und behandelt."
Kerstin Schlögl-Flierl, Deutscher Ethikrat

Es sei zwar aus individueller Perspektive nachvollziehbar, sich impfen zu lassen, um wieder "ungehindert am sozialen Leben" teilnehmen zu können, sagt Kinderarzt Rodeck dazu, es wäre aber der falsche Impuls: "Grundsätzlich sollte der Eigennutz des Impflings im Vordergrund stehen, das heißt der Schutz vor der Infektion."

Diesen Eigennutz betont auch Schlögl-Flierl: "Eine Corona-Erkrankung ist im Regelfall immer schwerwiegender als die möglichen, aber auch sehr seltenen Nebenwirkungen bei einer Impfung", sagt sie. "Jugendliche impfen sich also für sich, aber auch für andere. Wie wir alle." Der Weg zu einer höheren Impfquote unter Jugendlichen darf nicht über Druck erfolgen, wie dem Verbot eines Kino-Besuchs, sind sich beide einig. Stattdessen hilft allein: Aufklärung und Vernunft.

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