Am Montag haben Bund und Länder in einer neuen Ministerpräsidentenkonferenz zur Bewertung der Corona-Lage in Deutschland unter anderem neue Regeln für PCR-Tests beschlossen. Um die mit PCR-Testungen überlasteten Labore zu entlasten und die kritische Infrastruktur im Land aufrechtzuerhalten, wurde nun beschlossen, den Einsatz der Labortests einzuschränken.
Nur noch Menschen mit erhöhtem Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung und ein Teil der Beschäftigten im Gesundheitswesen sollen einen kostenlosen PCR-Test erhalten. PCR-Tests sollen auch nicht mehr nötig sein, um bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus in Isolation zu gehen – und um sich nach Ende der Ansteckung freizutesten. Ein Antigen-Schnelltest soll dafür reichen.
Im Klartext heißt das: Die meisten Menschen in Deutschland müssen künftig, selbst bei einem positiven Schnelltest, für einen PCR-Test selbst zahlen. Oder, wenn sie das nicht wollen oder können, darauf verzichten. Dabei sind PCR-Tests erheblich zuverlässiger als Schnelltests.
Ein PCR-Test kostet hierzulande in aller Regel mindestens 40 Euro und kann auch mehr als hundert Euro kosten – vor allem, wenn die Getesteten ein schnelles Ergebnis wünschen. Woher kommt dieser hohe Preisunterschied der PCR-Tests?
Günstige PCR-Tests sind nach Angaben von Experten eigentlich nicht legal. Dass es sie immer noch gibt, erklärt Jens Philipp Michalke, Geschäftsführer des Berufsverbands Deutscher Laborärzte (BDL), gegenüber watson damit, dass von "spezialisierten gewerblichen Anbietern gezielt juristische Graubereiche ausgelotet" wurden. Vielerorts seien Klagen gegen diese Anbieter aber noch nicht entschieden worden, außerdem seien die Kontrollinstanzen derzeit überlastet.
Michalke erklärt die hohen Preise für die Coronavirus-PCR-Tests als Selbstzahlerleistung mit der Gebührenordnung für Ärzte (GÖA):
Michalke erläutert: "Diese Vorgabe der GOÄ müssen die durchführenden Fachärztinnen und Fachärzte für Laboratoriumsmedizin in den medizinischen Laboren zwingend beachten und dürfen die Leistungspreise der GOÄ nicht unterschreiten." Damit solle eine Preiswettbewerb der Ärzte und Ärztinnen verhindert werden, mit Folgen auch für die Untersuchungsqualität oder den Datenschutz.
"Wichtig ist noch zu wissen, dass PCR-Tests gemäß Rechtsverordnung (hier zahlt in der Regel der Bund) oder über die gesetzlichen Krankenversicherungen viel niedriger vergütet werden, da man hier v. a. von einem deutlich geringeren Aufwand in der Prä- und Postanalytik (Probennahme, Beratung, Übermittelung des Ergebnisses etc.) und von großen Fallzahlen ausgeht", sagt der BDL-Geschäftsführer.
Dass die kritische Infrastruktur und Menschen mit Vorerkrankung bei PCR-Testungen bevorzugt werden, klingt erstmal vernünftig. Doch was bedeutet das für Menschen mit wenig Geld, also Studierende, Obdachlose oder Hartz-IV-Beziehende?
Die Hartz-IV-Aktivistin und ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann vertritt hier eine deutliche Meinung: "Das ist ein klare Zweiklassengemeinschaft", sagt sie gegenüber watson. "Impfen kann man sich ja derzeit fast überall, aber es gibt einfach zu wenige – und vor allem keine mobilen – Testzentren." Was das konkret bedeutet, erfährt Hannemann als Bewohnerin des ländlichen Raums am eigenen Leib: "Am Wochenende ist die nächste Teststation 15 Kilometer von mir entfernt."
Dafür brauche man eigentlich ein Auto, dass Menschen mit geringem Einkommen oft nicht haben. Für eine lange Zugfahrt fehlt dagegen die Zeit. Die nämlich wird für die Erwerbsarbeit benötigt. Schlussendlich würden arme Menschen "bei allem einsparen, was Geld kostet", sagt Hannemann. Folglich auch bei Corona-Symptomen keinen PCR-Test machen sondern lieber zur Arbeit gehen.
Gerade Obdachlose sind durch Corona besonders gefährdet, da sie oft nicht ausreichend geimpft sind. Bei einem positiven Schnelltest werden Menschen ohne Obdach in einem Quarantäne-Hotel untergebracht und dort PCR-getestet, erklärt Anna Sofie Gerth von der Berliner Stadtmission watson das Vorgehen. "Ist auch dieser Test positiv, bleiben die Obdachlosen im Quarantäne-Hotel, bis sie gesund sind", sagt Gerth.
Doch derzeit sind diese Hotels überlastet, die Obdachlosen müssen oft mit Fieber und Corona-Symptomen auf der Straße schlafen, wie die Berliner Tageszeitung "BZ" berichtet. Erst letzte Woche wurden drei von neun Menschen mit positivem Test abgewiesen.
Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen-Jugendorganisation Grüne Jugend, sieht in der Neuregelung zu PCR-Tests ein erhebliches soziales Problem. Sie erklärt gegenüber watson:
Heinrich fordert die Regierenden auf, die Testkapazitäten auszuweiten. Wörtlich erklärte sie:
Die Linken-Sozialpolitikerin Jessica Tatti stimmt Lee-Heinrich zu:
Gerade für Leute in Hartz IV würden Mehrausgaben durch Corona nicht berücksichtigt. Aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern drohen gravierende Nachteile. "So ist zum Beispiel bei der gesetzlichen Unfallversicherung der PCR-Test ein wichtiges Beweismittel für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit. Gerade bei Long Covid kann es verheerende Folgen haben, wenn man aus Kostengründen auf einen PCR-Test verzichtet."
Ihr Fazit: "Ich halte das für unverantwortlich. Die PCR-Testkapazitäten müssen sofort ausgebaut werden, zur Not auch mit Hilfe ausländischer Labore. Die Stadt Wien macht Deutschland vor, wie es funktioniert, dass jeder Anspruch auf kostenfreie PCR-Tests hat."
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verweist auf watson-Anfrage darauf, dass die neue Testverordnung noch nicht draußen ist – und möchte sich daher noch nicht äußern.
Die VdK-Präsidentin Verena Bentele verweist auf Nachfrage gegenüber watson darauf, dass besonders gefährdete Menschen weiter Zugang zu PCR-Tests haben müssten, unabhängig vom Geldbeutel. Wörtlich meint Bentele: "Oberste Priorität muss sein, dass Risikogruppen wie Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen und alle, die mit ihnen zu tun haben zum Beispiel Pflegepersonal, sich weiterhin kostenlos PCR-testen können."
Wenn für alle anderen als Nachtestung nur noch ein zweiter positiver Antigen-Schnelltest von einer zertifizierten Teststelle erforderlich sein solle, müsse sichergestellt sein, dass dieser auch tatsächlich wie ein positiver PCR-Test behandelt werde.
Dafür fordert Bentele: "Die Gesundheitsämter müssen also von der Teststelle entsprechend informiert und die Nachweise über eine Infektion und später den Genesenen-Status unkompliziert ausgestellt werden." Jedoch mahnt die VdK-Präsidentin an, auch an die Menschen im ländlichen Raum zu denken, deren Infrastruktur nicht so gut ausgebaut ist.
"Wichtig ist aber auch, dass etwa auf dem Land Testzentren gut erreichbar sind. Wenn im öffentlichen Nahverkehr schon ein negativer Test verlangt wird, können Menschen ohne Auto gar nicht erst zum Testzentrum kommen. Deshalb muss es auch Test-Angebote geben, die die Menschen zu Hause aufsuchen", sagt sie.
Auf die Nachfrage von watson, ob der Sozialverband diese Regelung nicht als Ungleichbehandlung für ärmere Menschen empfindet, sagt eine Sprecherin: "Der Sozialverband VdK hält es nur dann für unproblematisch, wenn die zu beschließenden Alternativen auch wirklich leicht für alle Menschen zugänglich sind – es also nicht auf das eigene Bezahlen ankommt - und sie von allen relevanten Behörden als gleichwertig erachtet werden. Wenn Laborkapazitäten tatsächlich begrenzt sind, muss entsprechend priorisiert werden."