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Hartz 4: RTLShow-Teilnehmer wütend auf Sender: "Fühle mich verarscht"

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Hartz-IV-Show-Teilnehmer erhebt schwere Vorwürfe gegen RTL: "Ich fühle mich verarscht"

21.10.2019, 11:18
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Familie Traut ist in die Geschichte der Sendung "Zahltag" eingegangen als die Familie, die sich nicht traut. Das zumindest war das Urteil Ilka Bessins (ehemals "Cindy aus Marzahn"), die die RTL-Armutsshow als Expertin begleitet hat.

Bei "Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" geht es darum, dass Hartz-IV-Empfänger einen Koffer voller Geld geschenkt bekommen und sich damit selbstständig machen sollen. Kommentiert wird das Geschehen von drei Experten, die nur einschreiten, wenn sie von den Protagonisten explizit um Hilfe gebeten werden: Das sind Ilka Bessin, die selbst schon von Hartz IV gelebt hat, Gründerberater Felix Thönnessen und der Ex-Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky.

Eine der teilnehmenden Familien in der vergangenen Staffel war Familie Traut aus Siegen: Michael und Melanie sind 29 und 28 Jahre alt, haben drei Kinder und leben seit Jahren von Hartz IV.

Die Trauts waren das Negativ-Beispiel der letzten "Zahltag"-Staffel. Zumindest hat RTL sie so gezeigt. Etwas hilflos wirkend steht Melanie Traut zwischen mehreren Wäschebergen, als Ilka Bessin bei einem Besuch durch die Wohnung stapft und darüber spricht, wie überfordert Melanie sei. Michaels Baseball-Kappe, von einer nackten Frau geziert, lässt die Jury beschämt etwas tiefer in die Sessel rutschen. Seine Vorhersagen, in ein paar Jahren Millionär zu sein, sorgen für Kopfschütteln.

Die Trauts lebten von Hartz IV – und wurden von den Experten viel kritisiert

Dass die Trauts wankelmütig schienen in ihren Geschäftsideen, störte die Experten ebenfalls: Erst Hotdog-Bar, dann doch Einkaufsservice, und am Ende der Staffel hatte Melanie plötzlich ein Tattoo-Studio.

Und: Als Michael ein Gründerseminar vorzeitig verließ, zu dem Felix Thönnessen ihn vor laufender Kamera eingeladen hatte, lästerte er hinterher darüber, wie schlimm der Kurs war. Beim "Zahltag"-Finale dann, bei dem die Experten gemeinsam auf die vergangenen Monate zurückblickten und nach dem aktuellen beruflichen Stand fragten, fehlte von Michael und Melanie jede Spur.

Nun hält Michael dagegen: Er ist der Meinung, er und seine Familie seien nicht richtig dargestellt worden. Er schildert watson, wie er die Zeit der Dreharbeiten empfand und wie er die finale Sendung beurteilt. Zufrieden ist er mit dem Ergebnis nicht – er sagt: "Ich fühle mich verarscht von RTL".

Die Darstellung seiner Familie bei "Zahltag" stimmt nicht, meint Michael

Entgegen der RTL-Darstellung lebten er und seine Frau Melanie nicht schon seit der Teenager-Zeit von Hartz IV: "Ich habe zwischenzeitlich über zwei Jahre bei einem Getränkehandel gearbeitet", erklärt Michael dann. Den Job habe er aufgeben müssen, als er und seine Familie von ihrem damaligen Wohnort weggezogen seien.

Michael spricht nicht gerne darüber, dass er und seine Familie von Hartz IV gelebt haben. Mit seiner Geschichte ist er trotzdem an die Öffentlichkeit gegangen – weil er in seiner "Zahltag"-Bewerbung eine Chance gesehen habe: "Ich wollte vor allem wegen des Geldes mitmachen und um Beratung von den Experten zu bekommen."

Einen Businessplan für die geplante Bar samt Hotdogs, die er zunächst gründen wollte, habe er bereits vor der Bewerbung erstellt. Von seinem ehemaligen Chef vom Getränkemarkt habe er Getränke gestellt bekommen. Vor allem für die Pacht habe er noch einen Finanzierungszuschuss gebraucht.

Mit dem Hotdog-Laden wurde es in der ersten "Zahltag"-Folge, in der die Familie auftrat, nichts: Der Vermieter der Location, in der die Trauts ihre Bar aufmachen wollten, habe abgesagt. In der Show entschieden sich Michael und Melanie scheinbar kurzfristig um, einen Einkaufsservice zu gründen – zum großen Erstaunen der Experten. Eine einzige Absage – und schon geben die Trauts ihren Traum auf?

Nicht ganz richtig, meint Michael: Laut ihm hat der Vermieter vor allem abgesagt, weil das Kamera-Team sich trotz erwünschter Bedenkzeit mehrmals pro Woche bei ihm gemeldet habe. Das Team wollte offenbar dringend wissen, wann er seine Entscheidung treffen würde. Dem Vermieter sei der RTL-Rummel zu viel geworden, deswegen habe abgesagt. Michael sagt dazu:

"Einen anderen Laden haben wir nicht mehr gefunden, weil die Mieten zu hoch oder die Läden einfach nicht genügend ausgestattet für Gastro waren. Also mussten wir auf unsere andere Geschäftsidee zurückgreifen."

Parallel habe das Paar angefangen, an Melanies Tattoo-Studio zu arbeiten. Zwei Wochen nach Erhalt des Koffers etwa kauften sie, nach ihren Angaben, die Tättowiermaschine und fingen an, einen Raum in ihrem Haus den gesundheitlichen Verordnungen entsprechend umzubauen. Melanie habe parallel tätowieren geübt. Ein halbes Jahr hätten die Vorbereitungen des Studios bis zu Eröffnung gedauert. Trotzdem ist erst in der letzten Folge der "Zahltag"-Staffel die Rede vom Tattoo-Studio. Laut Michael hätten die Experten also keinen Grund gehabt, überrascht zu sein.

Der Ex-Hartz-IV-Empfänger hätte sich mehr Beratung gewünscht

Michael erzählt weiterhin, dass er und seine Familie möglichst schnell in die Selbstständigkeit starten wollten und deswegen schon mehrere Geschäftsideen parat gehabt hätten. Schließlich seien die 28.000 Euro Koffergeld für eine fünfköpfige Familie, die gründen will, nicht sonderlich viel Geld. Alleine die Mietkosten von fast 1000 Euro pro Monat müssten bezahlt werden, plus Lebenskosten, Versicherungen und Weiteres.

Insofern sei es keine besonders gute Idee gewesen, einen neuen Smart für fast 10.000 Euro zu kaufen. Das weiß Michael heute auch. Die Trauts hätten den Wagen, der als Geschäftsauto für den Einkaufsservice dienen sollte, nach wenigen Monaten wieder verkauft. Allerdings wirft Michael ein:

"In genau solchen Fällen hätte ich auf die Beratung der Experten gehofft, und die kam nicht."

Das Konzept der Sendung lässt aber nicht zu, dass die Experten von sich aus eingreifen. Sie müssen gerufen werden. Ob Michael das nicht in den Sinn gekommen ist? Doch, und zwar zeitnah, nachdem die Familie den Koffer erhalten habe.

"Ich wollte eigentlich gleich, nachdem wir den Koffer erhalten haben, Felix kontaktieren und mich von ihm beraten lassen. Das habe ich dem Kamera-Team auch mehrfach gesagt. Es hieß dann allerdings über Wochen immer nur, Felix hätte keine Zeit."

Erst als Michael Felix über seine Website kontaktiert habe, sei ein Termin zustande gekommen.

Drama bei "Zahltag": Michael und das Gründerseminar von Felix Thönnessen

Als das Treffen schließlich stattfand, etwa zwei Monate nach Erhalt des Koffers, lud Felix Michael vor laufender Kamera zu einem seiner Gründerseminare ein. Szenen, die bei den Experten im Nachhinein für besonders viel Unmut sorgten, wie in der Folge vom 1. Oktober gezeigt wurde: Denn Michael verließ das Seminar frühzeitig. Der Grund waren angeblich Bauchschmerzen – in Wahrheit aber hat Michael das Seminar schlichtweg nicht gefallen.

Was ihm allerdings nicht gepasst habe, wird in der Sendung ebenfalls nicht gezeigt, wie Michael meint: Er habe nicht dieselben Vorteile des Seminars genießen können wie alle anderen Teilnehmer. Eine besondere Leistung des Kurses war, dass jeder Teilnehmer eine individuelle Beratung bekommen würde von den, neben Felix, anwesenden Experten: zum Beispiel einem Online-Marketing-Spezialisten oder einem Programmierer. Michael ging allerdings leer aus:

"Von Felix’ Sekretärinnen wurde mir mitgeteilt, es gäbe keinen Slot mehr für mich."

Felix Thönnessen, den watson zu diesem Fall ebenfalls befragt hat, schildert die Vorfälle etwas anders – ein Termin zur individuellen Beratung sei für Michael reserviert gewesen. Allerdings erst am zweiten Tag – und da war Michael schon abgereist:

"Da Michael spontan dazukam, mussten wir etwas umorganisieren – aber am zweiten Seminartag hätte auch er Einzelgespräche bekommen."

Trotzdem habe Michael während des Seminars Beratung von einem Programmierer erhalten. Das erwähnt auch Michael im Gespräch mit watson – allerdings in einer leicht anderen Version:

"Als einer der Experten, ein Programmierer, gerade in keinem Beratungsgespräch war, habe ich ihn schließlich selbst angesprochen und mir Rat zu meiner Website eingeholt."

Michael findet, dass der Experte nicht besonders motiviert schien, ihm zu helfen. Auch habe er die Beratung nicht planmäßig, sondern lediglich auf Eigeninitiative hin bekommen.

Ebenfalls gestört hat es Michael, dass mit Felix kein wirkliches Gespräch zustande gekommen sei – und wenn, dann nur abgesprochen vor der Kamera.

Das Kamera-Team wollte die Trauts ständig zum Geldausgeben überreden

Das Kamera-Team empfand Michael grundsätzlich als übergriffig. Irgendwann war er genervt, weil er und Melanie sich angeblich regelmäßig so oft wiederholen und ihre Worte leicht abändern mussten, "bis das Team die Story so hatte, wie sie ihnen gefiel". Dementsprechend schlecht gelaunt wirkt er auch im Interview, kurz nachdem er Felix' Seminar abgebrochen hat. Auch da soll Michael so lange mit Fragen gelöchert worden sein, bis die harschen Kommentare von ihm kamen.

Das sei laut Michael nicht der einzige Moment gewesen, in dem das Kamera-Team ins Geschehen eingegriffen habe. Zum Beispiel seien die Trauts angewiesen worden, das Koffergeld erst nach drei bis vier Tagen zur Bank zu bringen, weil das Team noch Szenen mit dem Geld drehen wollte. Solange hätten sie die große Summe zu Hause behalten müssen. Oder Melanie sei gesagt worden, sie sollte die Wäsche, die sie einräumen wollte, während Michael in einem anderen Raum gefilmt wurde, liegen lassen. Als dann mit Melanie gedreht wurde und die Wäsche noch herumlag, zeigte sich Ilka irritiert über das Chaos. Die Experten kommentierten, wie überfordert die junge Frau sei.

Auch habe das Kamera-Team immer wieder versucht, die Trauts zum Kaufen unnötiger Gegenstände anzustiften:

"Zum Beispiel haben sie vorgeschlagen, dass wir uns eine neue Couch holen – aber die brauchten wir nicht. Als ich dann tatsächlich einen Bürostuhl benötigte, hat das Team gleich mehrere Möbelhäuser antelefoniert, um Drehgenehmigungen einzuholen, damit sie uns beim Einkaufen filmen können. Aber dann ist Melanie eingefallen, wir könnten einen Bürostuhl von ihrer Oma bekommen, gratis."

Selbst als Melanie beim Einkauf von Büromaterialien wie Aktenordnern und anderen Kleinigkeiten gefilmt wurde, soll das Filmteam gefragt haben, ob sie nicht doch einen Bürostuhl kaufen wolle – für nur 100 Euro. Aber Melanie sei hart geblieben. In der Sendung waren solche Szenen nicht zu sehen.

Beim "Zahltag"-Finale fehlten die Trauts – allerdings aus gutem Grund, meint Michel

Bleibt noch das Finale der Sendung: Stimmt es, dass Michael und Melanie überraschenderweise nicht aufgetaucht sind? Laut Michael hätte das gar nicht so eine große Überraschung sein sollen – denn er habe das Abschlussgespräch im Finale schon Wochen vorher abgesagt. Begründung: ein Termin zur Darmspiegelung im Krankenhaus. Michael sagt:

"Ich habe den Redakteuren persönlich und telefonisch mindestens vier Wochen vorher mitgeteilt, dass ich am Drehtag des finalen Gesprächs eine Darmspiegelung habe. Sie haben uns dann versucht, zu überreden, dass nur Melanie mit den Kindern kommt. Das ging aber aus organisatorischen Gründen nicht. Und nach der Darmspiegelung reinzukommen, wie die Macher der Sendung außerdem vorschlugen, war auch nicht möglich."

Auch sei es nicht möglich gewesen, den Termin zu schieben, wie Michael vorgeschlagen habe.

Felix Thönnessen, den wir auch dazu befragt haben, wusste nichts von Michaels Absage – am Telefon sagt Felix:

"Ob Michael das Finale abgesagt hat, kann ich nicht bewerten. Ich habe davon nichts mitbekommen."

Das sagen RTL und die Produktionsfirma zu den Aussagen der Trauts

Haben die Redakteure den Experten nicht kommuniziert, dass Familie Traut nicht kommt? Dazu wollen sich sowohl RTL als auch die Produktionsfirma Endemol Shine Germany nicht äußern. Auch alle anderen Fragen und Aussagen Michaels, mit denen watson den Sender und die Produzenten konfrontiert hat, bleiben unbeantwortet und unkommentiert. Ein Sprecher von RTL schreibt uns per E-Mail dazu:

"Zu redaktionellen und produktionstechnischen Abläufen äußern wir uns nicht."

Was also genau passiert ist, wie die Absprachen getroffen wurden, ob den Experten vielleicht bewusst Informationen vorenthalten wurden oder es schlichtweg zu Missverständnissen in der Kommunikation kam – ist nicht bekannt.

Was gut ist: Die Zeiten von Hartz IV sind vorbei

Was nach der Sendung jedoch positiv auffällt: Familie Traut kann sich mit ihrer Selbstständigkeit über Wasser halten.

Michaels Einkaufsservice und Melanies Tattoo-Studio bringen den beiden zwar kein Vermögen ein, aber ein wenig mehr als Hartz IV haben die beiden und die drei Kinder nun zum Leben. Für Michael ist am wichtigsten: "Endlich weg von Hartz IV."

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Jede:r kennt es: Man hat einen langen Tag vor sich, muss zwischendurch den Weg auf Google Maps nachschauen, telefonieren, Mails schreiben und noch die neuesten Storys auf Instagram und Tiktok auschecken. Einfach gesagt: Man braucht sein Handy, unbedingt. Aber wie sollte es anders sein: Der Akku macht schlapp und die Powerbank liegt natürlich zu Hause. Mist!

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