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Oppenau – "Ausnahmslos Männer": Terror-Experte erklärt das Phänomen einsamer Wolf

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Polizisten suchen im Schwarzwald nach dem untergetauchten Yves R.Bild: dpa / Philipp von Ditfurth
Interview

"Ausnahmslos Männer" – Terror-Experte erklärt das Phänomen einsamer Wolf

18.07.2020, 09:23
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Im Schwarzwald sucht man immer noch vergeblich nach Yves R., dem Mann, der am Wochenende vier Polizisten entwaffnete und dann im Tarnanzug in die Wälder verschwand. Was man über ihn weiß, liest sich wie der Steckbrief jedes Amokläufers, der die letzten Jahre bekannt wurde: Männlich, alleinstehend, waffenverliebt, eigenwillig.

Aber woher kommen all die Einzeltäter? Was treibt sie an? Und: Kann man sie erkennen, bevor sie in Aktion treten? watson sprach darüber mit Florian Hartleb. Er ist Politikwissenschaftler, Terrorismus-Gutachter und hat ein Buch über "Einsame Wölfe" geschrieben.

Florian Hartleb, Terrorismus Experte, Einsame Wölfe

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Florian HartlebBild: privat

watson: Ein Mann zieht sich in eine Waldhütte zurück, bastelt sich ein eigenes Weltbild und bewaffnet sich schließlich. Ist Yves R. ein typischer "einsamer Wolf"?

Florian Hartleb: Mit dem Begriff "einsamer Wolf" ist das Phänomen gut erfasst. Wir sprechen hier von vereinsamten Männern, die alleine eine Tat planen und dann losschlagen. Sie leben tatsächlich in einer eigenen Welt, schnitzen sich eine Ideologie zurecht. Dabei isolieren sie sich zunehmend von Freunden und Familie, sind dafür aber oft stark vernetzt in einer Online-Community mit ähnlichen Interessen.

Welche Motive treiben einsame Wölfe an?

Die Motive können sehr unterschiedlich sein, mischen sich aber meist mit persönlichen Frustrationen. Einsame Wölfe handeln manchmal politisch motiviert, wie in Halle, wo es einen rassistischen Hintergrund gab. Andere leiden unter Verfolgungswahn, haben eine psychische Störung, wie in Hanau. Manchmal handelt es sich auch um Anarchisten, die einen Einzelakt planen, wie die Ermordung des Politikers Kurt Eisner 1919. Aber wie man an Yves R. sieht, spielen auch unpolitische Motive mitunter eine Rolle.

Inwiefern?

Da geht es um Protest an der modernen Zivilisation: Seiner zurückgelassenen Botschaft kann man entnehmen, dass er sich gegen die Modernität der Welt auflehnt und sich deshalb im Wald verkroch. Da sehe ich viele Ähnlichkeiten zu dem Amerikaner Theodore Kaczynski, der sogenannte Unabomber, der sich in den 70er Jahren ebenfalls in den Wald zurückzog und von dort aus Briefbomben verschickte, um gegen die moderne Welt zu revolutionieren.

"Yves R. hat sich nicht einfach nur in den Wald zurückgezogen, um allein zu sein. Er ist schwer bewaffnet. Das spricht schon dafür, dass es zu Gewalt kommen wird."

Warum sind es immer Männer?

Es ist wirklich ein Phänomen. Die einsamen Wölfe sind ausnahmslos Männer, bindungsunfähige Männer zumeist, die einen gewissen Frauenhass haben. Das liest man aus den Manifesten der Täter von Halle und Hanau, aber auch Yves R. ist ja auf eine Freundin losgegangen. Frauenhass und das Abwenden von ihnen spielt offenbar als Motiv eine wichtige Rolle für viele Einzeltäter. Auffällig ist auch, dass Yves R.s Mutter sagte, ihr Sohn sei gar kein gewalttätiger Mensch. Ähnliches hat auch die Mutter des Täters von Halle gesagt; dass er ganz lieb sei, überdurchschnittlich intelligent sogar. Da scheint es also auch ein ungesundes Verhältnis zwischen Müttern und Tätern zu geben, eine Art blinde Hassliebe.

Spielen psychische Probleme auch eine Rolle?

Ja. Sehr häufig haben diese Menschen psychische Erkrankungen, paranoide Schizophrenie zum Beispiel, oft neigen sie auch zu Narzissmus, wollen durch ihre Aktionen berühmt werden. Es gibt auf jeden Fall psychische Auffälligkeiten, die dabei helfen, Gewalttaten zu begehen.

Was meinen Sie?

Dafür braucht es eine gewisse Empathielosigkeit. Der Norweger Anders Breivik hat damals Steroide genommen, um während seiner Taten ruhig zu bleiben. Eine Gewaltaktion zu tun, sich zu bewaffnen und dabei damit zu rechnen, erschossen zu werden – dazu gehört eine gewisse Gefühlskälte. Nichtsdestotrotz sind diese Täter natürlich nicht völlig verrückt. Sie gehen in ihrer Vorbereitung ja überaus planhaft vor, bereiten sich zum Teil jahrelang akribisch vor.

Bislang fiel im Schwarzwald nicht ein einziger Schuss. Könnte es sein, dass die ganze Aktion noch friedlich endet?

Yves R. hat sich ja nicht einfach nur in den Wald zurückgezogen, um alleine zu sein. Er ist schwer bewaffnet. Das spricht schon dafür, dass es zu Gewalt kommen wird. Auch dass er eine Botschaft hinterließ, deutet darauf hin, dass er selbst den Tod zumindest einkalkuliert. Es könnte zu einer Schießerei kommen, wenn er gefunden wird, es könnte auch zu einem Suizid kommen. Seine Botschaft zeigt seine allgemeine Zivilisationsmüdigkeit, auch seine Frustration gegen den Staat und die Polizei. Ein friedliches Ende scheint mir zumindest unwahrscheinlich.

"Die einsamen Wölfe sind ausnahmslos Männer, bindungsunfähige Männer zumeist, die einen gewissen Frauenhass haben."

Kann man von außen erkennen, ob sich ein Mensch still und einsam radikalisiert?

Da wäre das nähere Umfeld gefragt, aber da sich die Täter zunehmend selbst isolieren, ist es für Familie und Freunde meist schwierig, sie zu erreichen oder Veränderungen wie einen zunehmenden Internetkonsum überhaupt wahrzunehmen. Bei Yves R. war es vielleicht absehbar: Nachbarn haben ihn als komischen Kauz beschrieben, bei ihm gab es außerdem Vorstrafen in der Vergangenheit. Das sind Warnhinweise. Viele Einzeltäter kann man jedoch kaum entdecken, weil sie nicht einmal vorbestraft sind, wie Breivik damals.

Aktuell zu Oppenau

Was tun, wenn man mit einem bewaffneten Menschen konfrontiert wird?
In Anbetracht der Lage in Oppenau fragten wir beim zuständigen Ministerium für Inneres nach, wie sich ein Bürger verhalten sollte, der einem Bewaffneten begegnet.

Ein Sprecher empfiehlt: "Wir raten, sich möglichst ruhig und besonnen zu verhalten und den etwaigen Anweisungen der bewaffneten Personen so gut es geht Folge zu leisten. Verbale und körperliche Auseinandersetzungen mit der bewaffneten Person sollten vermieden werden. Sollte es der betroffenen Person gefahrlos möglich sein, wird zunächst die Flucht aus dem Gefahrenbereich, die Warnung anderer Personen und das Alarmieren der Polizei empfohlen."
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