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Fast Fashion: Expertin hält Bedingungen in Textilindustrie für "moderne Sklaverei"

Beim Einsturz des Rana Plaza Gebäudes 2013 starben mehr als 1100 Menschen, über 2400 wurden verletzt.
Beim Einsturz des Rana Plaza Gebäudes 2013 starben mehr als 1100 Menschen, über 2400 wurden verletzt.Bild: NurPhoto / Rehman Asad
Interview

"Moderne Sklaverei" in der Textilindustrie: Mode-Aktivistin spricht über die dunklen Seiten von Fast Fashion

03.05.2022, 12:3603.05.2022, 18:32
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"Wir wollten raus, aber sie ließen uns nicht. Unser Manager sagte, wir werden alle irgendwann sterben. Wenn ihr hier sterbt, dann ist es so. Aber ihr könnt hier nicht raus. An die Arbeit" sagt Jhorna in die Kamera eines TV-Teams von ICCO/Red Orange. Jhorna und ihre Tochter arbeiteten in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh, die am 24. April 2013 einstürzte. Die weltweite Entrüstung war groß.

"Ich muss meine Familie ernähren. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll", erklärte die Frau liegend auf einer Matratze, denn Jhorna und ihre Tochter haben sich bei der Katastrophe den Rücken gebrochen. Die beiden gehören zu den über 2400 Menschen, die an diesem Tag verletzt wurden. Über 1100 starben. Die schlimmste Industriekatastrophe des Landes passierte, weil Menschenrechte teurer sind als Billigmode.

Ein T-Shirt für fünf Euro, eine Hose für 20: Den Preis für billige und schnelle Mode zahlen nicht die Verbraucher, sondern die Textilarbeiterinnen und -arbeiter. Seit Jahren ist das Problem bekannt und trotzdem ändert sich kaum etwas. H&M, Zara, Primark und Shein, aber auch hochpreisige Marken lassen ihre Kleidung weiterhin in Billiglohnländern produzieren – auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt.

Wie genau erkennt man als Verbraucher, ob Unternehmen unter menschenrechtswidrigen Bedingungen produzieren und was kann man dagegen machen? Darüber hat watson mit Carina Bischof von Fashion Revolution gesprochen. Fashion Revolution wurde nach der Rana Plaza Katastrophe gegründet und ist die weltweit größte Bewegung für Modeaktivismus, die Bürger, Marken und politische Entscheidungsträger durch Forschung, Bildung und Interessenvertretung mobilisiert.

watson: Wie erkennt man Fast Fashion?

Carina Bischof: Je schneller ein Brand eine Kollektion umsetzt, desto mehr "Fast" steckt in dem Label. Denn durch die Schnelligkeit leiden die Produktionsbedingungen, die Qualität und demzufolge auch die Langlebigkeit der Kleidungsstücke.

Was ist Fast Fashion?
Fast Fashion ist das textile Äquivalent zum Fast Food. Mode, die schnell, günstig und überall für jeden verfügbar ist, hat zu einem veränderten Konsumverhalten geführt. Statt Nähen, Flicken oder Upcycling werden Kleidungsstücke vermehrt weggeworfen, weil sie ohnehin nicht teuer waren. Zudem suggerieren die sogenannten Mikrotrends, also kurzlebige Modeerscheinungen, dass man jeden Monat oder sogar jede Woche neue Kleidung bräuchte. Großunternehmen wie Zara und H&M bringen beispielsweise jede Woche neue Kleidungsstücke in den Onlineshop, der Ultra Fast Fashion Konzern Shein sogar knapp 6.000 jeden Tag.

Warum ist Fast Fashion problematisch?

Zum einen ist es extrem umweltschädlich und zum anderen leiden die Menschen, die die Kleidung unter gefährlichen Arbeitsbedingungen herstellen müssen. Wenn Kleidung so günstig produziert wird, zahlen andere Parteien den Preis. Letztendlich ist die Lebensdauer dieser Kleidungsstücke auch nur kurz und die Kleidung landet auf dem Müll.

Was hat sich seit Rana Plaza verändert?

Es ist sehr schade, dass es immer erst dieser Katastrophen bedarf, damit sich etwas verändert. Durch Rana Plaza und der Fashion Revolution Bewegung hat sich ein gewisses Grundverständnis für das intransparente Modesystem entwickelt. Die Verbraucher fragen mehr nach und haben auch erkannt, dass es Wege gibt, durch das eigene Konsumverhalten und besonders das Nachfragen selbst etwas zu verändern.

Brauchen wir also mehr Umdenken bei Verbrauchern?

Ja und nein, das alleine ist noch zu wenig und besonders sollte die Verantwortung nicht nur auf den Schultern der Verbraucher liegen. Die Firmen müssen endlich in die Pflicht genommen werden und auch die Politik muss durchgreifen, um eine grundlegende Verbesserung durchzusetzen.

Überkonsum als umweltschädlicher Trend
Durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft ein Deutscher im Jahr, nur etwa die Hälfte davon wird regelmäßig getragen. Die andere Hälfte wird im besten Fall recycelt, im schlechtesten Fall landet sie auf dem Müll: In Europa werden jährlich 5,8 Millionen Tonnen Kleidung weggeworfen. 75 Prozent davon enden auf der Müllkippe oder werden verbrannt.
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Ist die Textilindustrie eine moderne Form der Sklaverei?

Wenn ich unter Lebensgefahr und zu menschenunwürdigen Bedingungen arbeite, nur damit ich am Ende des Monats noch nicht mal genug Geld bekomme, um die Familie zu ernähren, dann ist das in meinen Augen moderne Sklaverei. Natürlich sind die Formen sehr unterschiedlich und es gibt auch hier eine Bandbreite an Produktionsstätten, aber die Kontrollen sind einfach noch zu schwach.

Was ist euer Ziel?

Wir möchten mit Fashion Revolution die positiven Seiten der Modeindustrie hervorheben und zeigen, dass Mode auch im Einklang mit der Natur und dem Menschen hergestellt werden kann.

Ist Greenwashing ein Thema in der Modeindustrie – und Teil des Problems?

Beim Greenwashing werden Produkte bzw. Mode als besonders nachhaltig verkauft, obwohl sie es beim genaueren Hinschauen gar nicht sind. Es ist eine Art von 'sich grün waschen', dabei wird gezieltes Marketing betrieben, damit der Verbraucher den Eindruck bekommt, dass das Unternehmen etwas Gutes für die Umwelt tut, obwohl es eigentlich nur mehr Umsatz machen möchte.

Was ist Greenwashing?
Angelehnt an die Definition des Oxford Dictionary bezeichnet Greenwashing (auf Deutsch „Grünwaschen“ oder „Grünfärben“) eine Strategie, mit der sich Akteure und Akteurinnen durch die gezielte Verbreitung von Desinformationen ein Image ökologischer Verantwortung zu verschaffen suchen.
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Was sagt ihr zum grünen Knopf?

Wir finden jegliche politische Aktivitäten wie den Grünen Knopf oder die Initiative Lieferkettengesetz grundsätzlich sehr gut und unterstützenswert. Das Thema steht auf der Agenda der Politik und nun gilt es, die Feinheiten so abzustimmen, dass sich auch wirklich etwas verändert. Seit Februar dieses Jahres liegt der Entwurf für das EU-Lieferkettengesetz vor und dieser soll sogar noch strenger und weitreichender gehen als das deutsche Lieferkettengesetz, das 2023 in Kraft trat.

Aktivistin und Angehörige von Opfern des Rana Plaza Unglücks bei einer Demonstration im Jahr 2019.
Aktivistin und Angehörige von Opfern des Rana Plaza Unglücks bei einer Demonstration im Jahr 2019.Bild: NurPhoto / Sony Ramany

Wie kann jeder Einzelne tätig werden?

Der Kassenzettel ist eine Art Stimmzettel. Mit jedem Kauf eines Kleidungsstückes stimmen wir als Verbraucher ab, welchen Firmen wir unser Geld und damit auch Macht geben. Das heißt, wir sollten uns wirklich mehr damit beschäftigen, wem wir vertrauen. So kann jeder Einzelne einen relevanten Beitrag leisten, um die verwobene Modeindustrie etwas zu verbessern.

Die Macht von Fast Fashion
Der chinesische Fast Fashion Riese Shein erreichte kürzlich den Marktwert von 100 Milliarden Dollar und ist damit mehr wert als die zwei größten Fashionkonzerne Zara und H&M zusammen. Shein bringt täglich 6.000 neue Kleidungsstücke in den Onlineshop, von denen die meisten aus plastikbasierten Materialien bestehen. Negativ aufgefallen ist der Konzern, der vor allem bei Influencern und auf TikTok sehr beliebt ist, zuletzt wegen dreister Greenwashing-Methoden.

Warum sollte man seine Kleider nicht in die Sammelcontainer werfen? Ist eine Kleiderspende gar nicht so wohltätig wie gedacht?

Viele Sammelcontainer sind unseriös und die Kleiderspenden werden leider nicht dem guten Zweck gespendet, sondern dienen dazu, dass sich andere bereichern. Wir empfehlen hier den A-gain Guide, der zeigt, wie man alte, ausgetragene Kleidung richtig entsorgt.

Woran kann man erkennen, dass ein Kleidungsstück unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurde?

Mit dem bloßen Auge ist das leider nicht zu erkennen, aber wir empfehlen grundsätzlich sich die Website der Labels genauer anzuschauen. Wie transparent sind die Angaben der Produktionsbedingungen sowie der Materialien und legt das Label offen, in welcher Fabrik produziert wurde? Zusätzlich geben auch Siegel und Standards wie GOTS oder Fairtrade Auskunft über bestimmte Produktions- und Handelsbedingungen.

Welche Labels sind vetrauenswürdig?
Die aktuelle Bandbreite an Gütesiegeln ist mehr als verbraucherunfreundlich. Oft erfinden Unternehmen selbst Labels, die sie auf ihre Produkte drucken, um Vertrauen zu gewinnen. Bei Kleidung sind folgende Zertifizierungen zuverlässig: GOTS, C2C, B Corp, Oeko-Tex, Bluesign oder der grüne Knopf.

Und wenn sich dazu nichts findet?

Wenn man selbst ganz konkrete Fragen zu einem Material oder einem Produktionsland hat und keine Antworten darüber findet, dann lohnt es sich auch immer wieder, das Unternehmen direkt anzuschreiben. Das ist heutzutage durch die sozialen Medien einfacher denn je. Bei Fashion Revolution fordern wir jeden Einzelnen dazu auf, in seine Pflegeetiketten zu schauen, und dann das Brand zu verlinken und mit dem Hashtag #whomademyclothes direkt nachzufragen, wo die Kleidung hergestellt wird.

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Fair produzierte Kleidung ist meist teurer als Fast Fashion? Was rätst du denjenigen, die sich das nicht leisten können?

Sich "fair" zu kleiden geht auch einher mit weniger konsumieren und dies kostet weniger bis gar nichts. Man kann auf Kleidertauschparties oder im Secondhandladen oft sehr günstig viel bessere Qualitäten bekommen als Fast Fashion.

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